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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Der Unfried.
Nachdruck verboten.
Alle Rechte vorbehalten.
Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.
(Fortsetzung.)

Inzwischen hatte Karli seine Kammer erreicht. Eilfertig packte er Alles, was für seine Reise nöthig war, in eine kleine hölzerne Truhe. Dabei dachte er an die eben überstandene Begegnung mit Kuni, kam von einem Gedanken auf den anderen, und so lebte der ganze vergangene Abend wieder in ihm auf. Da kam es ihm plötzlich so vor, als ob die sonderbare Fürsorge, welche sein langes Verweilen in der Stube bei Kuni erweckt hatte, immerhin zu einer näheren Untersuchung herausfordere. Mit kritischen Augen betrachtete er Kuni’s Verhalten während all der letzten Wochen; er dachte an die Art und Weise, in welcher sie die Nachricht von seiner Einberufung aufgenommen hatte; es fiel ihm ein, daß es Kuni gewesen, welche die kleine Kneiperei am vergangenen Abend veranlaßt hatte; er besann sich auf die Emsigkeit, mit welcher sie ihm das Glas gefüllt; er dachte an den doch etwas gar zu lustigen Aufzug, in dem sie vor ihm gestanden, er stellte sich ihr ganzes Benehmen vor und wiederholte sich all ihre Worte, in denen er nun mit einem Male einen recht merkwürdigen Doppelsinn zu ergründen vermeinte – und während er so sann und dachte, ging ihm – langsam, aber doch – nicht nur ein Kerzenlicht, sondern gleich ein ganzes Großfeuer auf. „Jetzt da schau – das is aber amal Eine,“ nickte er lächelnd vor sich hin. Und ganz allein seiner „G’scheitheit“ galt dieses Lächeln. Er hatte wohl seine kleine Portion Eitelkeit; die reichte aber doch nicht aus, um alle Beweggründe für Kuni’s angelnde Pläne lediglich in einer etwaigen Unwiderstehlichkeit seinerseits zu finden.

Der schöne Pointnerhof und so und so viel Tagwerk Wald und Wiesen – das war’s! „Ah, da legst Dich nieder!“ Und wie schlau sie das eingefädelt hatte! Da wurde zuerst der alte Bauer verhätschelt und verwöhnt, dann der heirathsfähige Sohn ins Netz gesponnen und zugleich mit ihm der ganze stattliche Hof. Aber sein guter Schutzengel war denn doch noch schlauer gewesen. Freilich hatte sie es gar geschickt verstanden, sich den Rückzug zu decken – das mußte sich Karli zugestehen, besonders wenn er an Kuni’s letzte Worte dachte.

„Beweisen kann ich ihr allweil nix! Aber es is bloß, daß man sich auskennt! Und unter vier Augen will ich’s ihr auch zum Merken geben.“

Mit dieser Meinung und Absicht schloß er seine kritische Thätigkeit, packte die Truhe bei den eisernen Henkeln und trug sie hinunter in den Hof, wo er sie dem Stoffel zur Verladung auf die Kutsche übergab. Während er über die Treppe niedergestiegen war, hatte ihm Kuni aus der Küche zugerufen, daß er zum Frühstück kommen möchte. Mit selbstbewußtem Lächeln und erhobenem Kopfe – er fühlte sich ja nun als Herr der Situation – betrat er die Stube. Da dampfte auf dem Tische schon die Kaffeeschüssel zwischen zwei riesigen Semmeln. Er rückte in die Bank und schaute mit lustig blinzelnden Augen auf Kuni, die seinen Löffel aus der Lade hervorsuchte. Als sie ihm denselben reichte, sagte sie: „Der Kaffee muß aber jetzt gut sein – drei Stund’ steht er schon in der Röhren drin.“

„No weißt – a g’sunder Hunger und a gut’s G’wissen, da schmeckt Ei’m Alles!“ lachte Karli.

Es war ein herausforderndes Lachen.

Kuni machte die Augen klein und etwas Drohendes zuckte um ihre Lippen. Aber wortlos kehrte sie dem Burschen den Rücken und legte sich mit den Armen in die Fensternische.

„Was is denn, siehst noch nix vom Vater?“ frug Karli unter Kauen und Löffeln.

„Na! Aber ich mein’, er könnt’ jetzt dengerst bald da sein. Das heißt, ich kann mich ja täuschen auch.“

„Täuschen? Warum? Thust Du Dich denn gar so leicht täuschen?“

Langsam richtete sich Kuni auf und schaute ihn mit zwei Augen an, so harmlos verwundert, als wüßte sie mit dem besten Willen nicht zu verstehen, was der stichelnde Ton seiner Worte bedeuten sollte. „Täuschen? Wie so? Was meinst denn da damit?“

„Geh’ – so a g’scheit’s Deandl wie Du – und so a kurz’ G’mirk! Das sollt’ man gar net meinen!“ spottete Karli. „Aber ja – was ich sagen will – was is denn nachher mit demselbigen Andenken, wo mir anhängen hast wollen – weißt, daß ich auf ’n Pointnerhof net vergessen sollt’ – und auf seine Leut’?“

Kuni biß sich auf die Lippen – sie schien an dieses im Uebermuth gesprochene Wort nicht mehr gedacht zu haben; doch konnte Karli von dieser Wirkung seiner Frage nichts gewahren; er hörte nur, wie Kuni in einem Tone, als wäre nun die Reihe zu sticheln an ihr, über die Schulter zu ihm zurücksprach: „Jetzt laßt aber bei Dir ’s G’mirk aus! Ich hab’ Dir’s doch gestern g’sagt, daß man zu so ’was brav sein muß – und gar so brav, mein’ ich, bist net g’wesen.“

„Ah ja – so brav, wie Du g’meint hättst, daß ich sein sollt’, bin ich freilich net g’wesen.“

Karli hatte das letzte Wort noch auf den Lippen, da stand die Dirne schon hoch aufgerichtet und mit blitzenden Augen vor ihm am Tische.

„So – ah so – jetzt fang’ ich erst zum merken an, was denn Dein g’spaßig’s Reden eigentlich zu bedeuten hat,“ stieß sie in abgerissenen Lauten hervor, als wäre sie vor Zorn und Entrüstung nicht mehr ihrer Sprache mächtig. „Mir scheint ja gar, Du bild’st Dir ein –“ Da brach sie nun plötzlich wieder in helles Gelächter aus, trat mit einem raschen Schritt auf Karli zu und faßte ihn mit derber Hand beim Schopf. „Ja was fang’ ich denn an mit Dir, Du Grashupferl, Du dalket’s! Jetzt den schau an – was der sich einbild’t!“

„Geh’, Du – hör’ auf mit Deine Sachen!“ brummte Karli, während er sich auf eine nicht besonders sanfte Art von Kuni’s Hand befreite. „So kannst fein mit ei’m Buben reden, der noch aufs Millipfandl ansteht, aber net mit mir! Wir Zwei, wir haben ausg’scherzt mit einander!“

„Ja, Recht hast, daß sich der Ernst bei so ’was besser für mich schicken thät’,“ fiel Kuni mit hart und scharf klingender Stimme ein. „Aber Du, mein’ ich, Du könntest dengerst z’frieden sein, daß ich die Sach’ von der g’spaßigen Seiten nimm – und Dei’m Vater nix sag’ davon. Denn weißt, wie Du Dich aufg’führt hast und jetzt g’rad aufführst, das paßt sich in gar kei’m Fall net – und am allerwenigsten Einer gegenüber, zu der bald Mutter sagen mußt – verstehst mich!“

Dem Burschen blieb der Bissen im Halse stecken, und klirrend fiel ihm der Löffel aus der Hand. Eine brennende Röthe überzog sein Gesicht; er würgte und schluckte, und während er mit zitternden Armen sich in die Höhe stemmte, schaute er die Dirne mit erschrockenen Augen an und stotterte: „Was – was is – was soll jetzt das für a Reden sein?“

Um Kuni’s Lippen zuckte ein grausames Lächeln.

„No also – gelt – da schaut sich jetzt die Sach’ doch anders an? So wie der Pointner g’meint hat, hättst es freilich erst erfahren sollen, wann von die Manöver z’ruckkommst. Aber jetzt hab’ ich Dir’s doch wohl sagen müssen – weißt – denn von ei’m Deandl, wo Tag und Nacht schon an nix als wie an d’ Hochzeit denkt, von dem wirst ja dengerst net glauben, als könnt’s noch Augen auf an Andern haben – und gar auf ihrem Hochzeiter sein’ halbg’wachsenen Buben!“

Mit verstörten Blicken irrten Karli’s Augen durch die Stube. „Vater – der Vater – wo is der Vater?“

„Fort is er – ich hab’ Dir’s ja schon g’sagt. Und wer weiß – ’leicht is er am End’ gar zum Pfarrer ’nauf. Denn daß ich Dir’s sag’ – ja, völlig pressiren thut’s ihm, daß wir in der Kirchen verkünd’t werden mit einander – ich und Dein Vater.“

„Du – im Guten sag’ ich Dir’s – mein’ Vater laß mir aus’m Spiel!“ fuhr Karli mit bebenden Worten auf. „Und überhaupt – jetzt hab’ ich’s g’nug – die ganze Narretei!“ Mit geballten Fäusten, mit zorngeröthetem Gesichte und drohenden Blicken trat er vor Kuni hin, welche ruhig stand und ihm

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