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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Da schoß er plötzlich wie ein Raubvogel auf mich zu, faßte meinen Kopf mit beiden Händen und schrie:

„Rühre Dich jetzt nicht, Elisabeth – hörst Du? Das ist endlich die Stellung, nach der ich so lange gesucht! … so – die Augen dorthin“ – er schob mit dem Fuß einen Pinsel nach der Stelle – „kannst Du still halten?“

„Ja!“

Ich zitterte vor Schreck und wußte gar nicht recht, was er eigentlich von mir wollte.

„Still also! – Ich hole nur meine Palette …“

Da rief mich Tante, die hinter einer spanischen Wand wirthschaftete und nichts gehört hatte. Unwillkürlich wandte ich mich um.

„So – da ist die ganze Stellung wieder hin!“ schrie Onkel und stampfte mit dem Fuße auf. „Es ist zum Tollwerden mit Euch Frauenzimmern! Da ist auch nicht Eine, die fünf Minuten ruhig auf ihren Untergestellen bleiben kann! Himmeldonnerwetter, Therese – was hast Du mir da wieder angerichtet! Endlich hat man die Bewegung – paff, ist sie wieder hin!“

Das Letzte galt Tante, die hinter ihrer spanischen Wand zum Vorschein kam. Er schleuderte dabei die aufgesetzte Palette zur Erde, lief mit großen Schritten hin und her und rollte die Augen. Ich weinte und bewunderte Tante, die ihre Ruhe nicht verlor.

„Das findet sich ja Alles wieder, Karl!“ rief sie mit ihrer gewöhnlichen Stimme, „freilich, wenn Du wie ein bengalischer Tiger herumfährst und das arme Kind zum Fürchten bringst, die zum ersten Mal einen Maler in seinem Revier sieht, wird sie schwerlich mit Dir allein bleiben wollen. Da – das hast Du verschuldet!“

Mein Weinen hatte sich bei Tantens Worten nämlich zum Schluchzen gesteigert. Es rührte ihn nicht.

„Ruhig, Lisa!“ flüsterte Tante mir zu – „wenn er rabiat wird, malt er immer am besten.“

Dann bückte sie sich nach der Palette, die mit der Farbenseite auf einem türkischen Teppich lag.

„Liegt Dir etwas an dem Teppich, Karl?“ frag sie ganz ruhig – „so gieb mir den Spartel, damit ich ihn reinige, so lange es noch Zeit ist.“

Er hielt einen Augenblick im Laufen inne und reichte ihr das Farbenmesser, mit dem sie vorsichtig die Farbe vom Teppich abhob und auf einen Porcellanscherben setzte. Darauf entfernte sie die Flecken mit Terpentin.

„Nun wollen wir Onkel aber ungestört lassen und uns zurückziehen – hörst Du, Lisa?“

Wie mit Absicht sprach sie laut.

Er kam schnell auf mich zu.

„Das fehlte noch, daß Du sie mir jetzt entführst!“

„Wenn sie Lust hat zu bleiben – mir ist’s recht.“

Schnell trocknete ich meine Thränen, denn ich hatte große Lust, auf dem herrlichen Bilde als Braut gemalt zu werden, und ich merkte wohl, daß es ihr Kopf sei, für den er mich brauchte. Er war nur mit ein paar Kohlenstrichen angedeutet.

„Ich will mir so viel Mühe geben, Onkel!“

Er sagte nichts, warf mir aber eine weiße Draperie über, ließ einen Vorhang hinter mir herab und warf dann ein Kissen auf ein großes bretternes Gestell. Auf das Kissen mußte ich mich setzen. Ich versuchte sogleich meinen Kopf in die Stellung zu bringen, die ihm vorher gefallen hatte. Es gelang mir.

„Du bist intelligent, Elisabeth,“ rief er, „nun will ich sehen, was Du im Stillhalten leisten kannst.“

„Da soll er mich kennen lernen!“ dachte ich.

Er hatte nach einer zweiten Palette gegriffen, die „aufgesetzt“ an der Wand hing, und begann zu malen. Ich bewegte mich nicht. Ein paar Thränen, die einmal im Rollen waren, trank ich mit den Lippen auf, um ihn nur nicht zu stören. Er sprach nicht, manchmal hörte ich ihn tief athmen, sonst war Alles mäuschenstill.

Wie lange ich gesessen, weiß ich nicht. Erst schien mir’s leicht, dann wurde mir der Hals sehr steif, alle Glieder thaten mir weh, aber ich wagte nicht, mich zu rühren.

„Bravo – bravo!“ rief Onkel ein paar Mal. Das war immer wie Balsam – ich biß da die Zähne zusammen und blieb unbeweglich.

„So – jetzt komm einmal her, Lisa!“ rief er endlich.

Ich wollte aufstehen, aber es ging nicht. Da merkte er, wie steif ich war, sprang auf, streichelte mich und rieb mir Arme und Nacken ganz zärtlich.

„Da sieh einmal, was ich angerichtet habe! Wie man sich vergessen kann! Warum hast Du Dich nicht beklagt, mein armes Kind?“

Ich war selig. Für einen gewöhnlichen Menschen einen steifen Hals zu bekommen – was ist das? Aber für einen großen Künstler zu leiden, der in seiner Leidenschaft gleich Jemand umbringen könnte – das ist wohl etwas Anderes!

Er führte mich vor das Bild, wieder den Eindruck beobachtend, den seine Malerei auf mich machen würde.

„Onkel – so schön soll ich sein?“

„Wir sind nur Stümper neben der Natur!“ sagte er ernst. Eine Minute später aber rief er in einem ganz munteren Tone:

„Was der Kanaer sich für einen hübschen Schatz ausgesucht hat – he, Elisabeth?“

Er gefällt mir noch viel besser als sie.“

„Ei, sieh einmal an! Gut – das muß ich ihm wiedersagen.“

„Um Gotteswillen, Onkel! Ist das ein wirklicher Mensch?“

„Sogar ein wirklicher Mann!“

„Wer ist es?“

„Herr Heinrich …“ Und wie in Gedanken fing er leise zu singen an: „Herr Heinrich saß am Vogelherd“, während er mit seinem großen breiten Daumen in der frischen Farbe herumtupfte.

„So, Lisa“ – sagte er nach einer Weile – „wir können mit unserem Tagewerke heute zufrieden sein! Uebermorgen nehme ich Dich noch einmal vor. Wenn Du den bengalischen Tiger nicht fürchtest – heißt das!“

„Ach, Onkel!“ Da mußte ich ihn gleich umarmen.

„Nun geh’ aber und sag’ Deiner Tante, sie soll zusehen, daß wir bald etwas Ordentliches zu essen bekommen – hörst Du?“

Während ich die weiße Draperie zusammenlegte, begann er wieder mit auf dem Rücken gefalteten Händen auf und ab zu gehen. Diesmal ruhiger. Er pfiff dabei. Ich hatte noch nie so schön pfeifen hören.

„Er pfeift!“ sagte Tante, als ich heraus kam, „da hat er gut gemalt. Du siehst, es war nicht gefährlich.“

„Ah – Tante, wie hab’ ich mich vor ihm gefürchtet!“

„Wie ein Kind vor dem Donner! Merk’ Dir das: die Spektakelmacher, das sind die schlimmsten Männer nicht, man muß sie nur zu behandeln wissen!“

(Fortsetzung folgt.) 




Die Aebtissin von Frauenchiemsee.

Inmitten der weiten Chiemseefläche, durch breiten Wasserspiegel geschieden von dem Hochgebirg und dem zu seinen Füßen dahinbrausenden Reiseverkehr, liegt wie ein Eiland des Friedens das stille Frauenwörth. Alte Lindenbäume überschatten die Klostermauern; einfache Fischerhäuser liegen darum her in Obstgärten zerstreut; Morgens und Abends schallt das Glöcklein über die Wasser hin und ruft die frommen Frauen zur Matutina und Hora, wie es vor länger als tausend Jahren ihre Vorgängerinnen gerufen hat. Wer in der Stille einer schönen Sommerfrühe von dem treibenden Kahn aus dort Umschau hält, der kann leicht seine Gedanken zurückfliegen lassen in die Zeit, da Herzog Tassilo das Kloster gründete – viel anders als heute kann die Umgebung nicht ausgesehen haben. Die Wälder am Ufer sind allerdings zurückgewichen, aber im alten Glanz schimmern die Schneehäupter der Alpen, leuchtet der Seespiegel unter den blühenden Obstbäumen; am Gestade liegen die Einbäume, in denen schon der Pfahlbauer fuhr, und das Münsterportal zeigt die uralt-romanischen Säulen, die auf fratzenhaften Löwenköpfen ruhen, Zeugen der ersten deutschen Kaiserzeiten. Die Kirche freilich und das Kloster sind nicht mehr die alten, mehrfacher Brand hat sie in Asche gelegt, und im Laufe seines tausendjährigen Bestandes sah das Kloster neben guten und friedlichen auch viel wilde und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_654.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)