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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Beide betrachteten mich nun aufmerksam. Ich versuchte gleichgültig auszusehen.

„Professor Borneth soll jetzt die Hochzeit zu Kana für das Refektorium eines österreichischen Stiftes malen,“ sagte die Eine.

„Das ist aber nett, daß wir mit der Nichte eines so berühmten Malers gereist sind!“ bemerkte die Andere.

„Werden Sie lange in Dresden bleiben?“

Wenn das so fortgeht, dachte ich, werden Sie meine ganze Lebensgeschichte herausexaminiren, meine Leibgerichte und welche Kinderkrankheiten ich gehabt habe. Glücklicher Weise stiegen zwei Damen ein – gleich gekleidet: hellgeblumte Battistkleider, hellgelbe runde Strohhüte mit Tulpenbouquetts. Sie lenkten die Aufmerksamkeit von mir ab. Beide schienen sehr aufgeregt. Ein Herr, mit dem sie im anstoßenden Koupé gereist waren, hatte eine Theatergeschichte erzählt und ein andrer dabei ausgerufen: „Gut, daß wir keine jungen Mädchen unter uns haben, sonst kämen Sie mit Ihrer Geschichte schön an!“

„Für wie alt hält man uns denn eigentlich?“ rief die erste Hellblumige.

„Sobald man über Achtzehn ist,“ sagte die Zweite, „gehört man in Deutschland schon ins alte Register.“

Ich taxirte sie zwischen dreißig und vierzig.

Die Dresdenerinnen nahmen sehr viel Antheil und ließen sich die Theatergeschichte wiederholen. Alle Vier waren empört, daß Männer in Eisenbahnkoupé’s solche Geschichten erzählten.

„Diese Dinge mögen vorkommen,“ rief wieder die Erste, „aber man spricht doch nicht davon.“

„Man befleckt sich ja nur damit!“ sagte die Zweite.

Ich konnte nicht recht begreifen, warum sie selbst die Geschichte nacherzählten.

Dresden schien mir reizend vom Wagenfenster aus, ich freute mich schon auf den ersten Ausgang. Als der Zug in den Bahnhof einlief, nahm ich schnell Abschied von den alten Damen, denn ich erblickte Tante. Es war schon etwas dämmerig unter dem Dache des Perrons, und sie erkannte mich nicht, obwohl Mama eine Probe von meinem Reisekleid geschickt hatte. Einen Augenblick sah ich sie mir an; ich stand ganz nahe. Sie hat sich wenig verändert, seit sie uns vor drei Jahren besuchte; sie gleicht Mama, aber Mama ist jünger und hübscher. Tantens Gesicht ist schmal und gelb, ihre Nase sehr spitz. Neben ihr stand ein Herr in etwas nachlässigem Anzug; klein, etwas korpulent, mit ernsten schwarzen Augen. Man sah im Gesicht immer nur die Augen. Sollte das Onkel sein? Einen Künstler hatte ich mir anders gedacht. Aber er war es. Tante, die sich ein goldenes Lorgnon vorhielt und nach der mir entgegengesetzten Seite blickte, sprach zu ihm:

„Natürlich hat sie sich verspätet und den Zug versäumt.“

„Das arme Kind – wie mag sie sich nun ängstigen!“ rief er.

Die Stimme klang sehr zutraulich. Ich hielt’s nicht länger aus und flog auf Tante zu:

„Hier bin ich ja!“

Sie küßte mich. „Grüß’ Dich Gott, Lisa! Wie hätte ich unsere kleine Wilde von damals auch erkennen können, die uns über den Kopf gewachsen ist! Da – gieb Deinem Onkel einen Kuß!“

„Willkommen, Elisabeth!“ rief dieser und drückte meine beiden Hände kräftig in den seinen, während die ernsten Augen mich ununterbrochen fixirten: „Ein kräftiger Typus! Das schlägt nicht in Deine Familie, Therese … und was sie für Augen hat! He – was sagst Du zu diesen Augen?“

Er sprach, als ob er vergessen hätte, daß ich dabei stand. Tante stieß ihn an:

„Sieh’ lieber nach ihrem Gepäcke, damit wir nun endlich nach Hause kommen.“

Ich hatte aber doch gemerkt, daß ich Onkel gefiel. Und man fühlt sich gleich so viel wohler in seiner Haut, wenn man das weg hat.

Eine reizende kleine Erkerstube ist für mich eingerichtet. Sie ist voll von neuen Möbeln und Kuriositäten. Auf dem Kamine steht eine blaue Pendüle von altem Meißner Porcellan mit einem Schäferpaar. Die Thürklinken sind von Krystall. Ueber der Thür ist ein Panneau eingelassen: darauf sechs Pierrots mit Angelruthen an einem Bache; einer immer kleiner als der andere, jeder hat einen rothen Schirm aufgespannt, man sieht, es regnet. Onkel hat das gemalt. Ich schlafe in einem Himmelbette mit blauseidenen Gardinen, und vom Kopfkissen aus kann ich die Elbe sehen mit vielen Schiffen, die Brücken und die Brühl’sche Terrasse. Ach! es ist himmlisch hier!

Aber, mein liebes altes Fennern, denke nicht, daß ich dich darüber vergesse; nie, nie will ich dir untreu werden!

12. Mai. 
Den ersten Tag – das war gestern – sehr zeitig aufgestanden. Ich konnte es gar nicht erwarten, mich umzusehen. Meine Koffer ausgepackt und eingeräumt. Von meinem kleinen pain-brûlé Kapothütchen sind die Federn etwas zerdrückt, aber das weiße Kleid mit den reizenden wolkigen Garnituren ist sehr gut angekommen. Röth kann stolz auf ihr Einpacken sein.

Ich kämmte mein Haar, als es klopfte.

Mein Schreck!

„Wer?“ frug ich.

„Mache nur auf, Kind!“

„Tante!“

Und bereits vom Spaziergattg zurück, in einem großen runden Strohhut mit Mohnblumen. Sie trinkt Brunnen und hatte mich vom Garten aus bemerkt.

„Stehst Du immer so zeitig auf?“

„Wenn es so viel Neues zu sehen giebt!“

„Aber die Reise – Du mußt ja noch angegriffen sein!“

Ich versuchte wie gewöhnlich mein Haar in einen großen Knoten zu schlingen, war aber sehr ungeschickt, weil Tante mich durch ihre Lorgnette betrachtete.

„Ich möchte, daß Du Dein Haar höher stecktest, Lisa. Alle Welt trägt das Haar jetzt hoch.“

„Meine Frisur gefällt Onkel, er sagt, sie zeigt die Kopfform.“

„Laß Dir nur von einem Maler nicht zu viel weismachen. Onkel versteht, was zu einem Bilde gehört. Aber für das, was comme il faut ist, hat er kein Auge.“

Beim Frühstück giebt Onkel mir Recht.

„Du wirst mir das Kind schön verwöhnen!“ sagt Tante.

„Das Kind – das Kind! Ei – solche Kinder sind zum Verwöhnen da!“

Es gefällt mir nicht, daß er klein und etwas dick ist, aber ich glaube, es steckt in ihm ein Prachtonkel.

Den 14. Mai. 
Heute gingen wir nach dem Frühstücke ins Atelier. Es nimmt einen großen Raum im Hause ein, beinahe die Hälfte. Man kann vom Garten aus eintreten, aber auch vom ersten Stock auf einer entzückenden Wendeltreppe hinuntersteigen. Zu beschreiben ist es nicht, weil so viel Dinge darin stehen, von denen ich die Namen nicht weiß. Aber ich habe nie etwas so Herrliches gesehen. Wenn ich mich umblicke, so ist mir, als ob ich Musik mit den Augen hörte.

„Du bist ja ganz aufgeregt, Lisa,“ sagt Tante.

„Es gefällt mir so gut hier.“

„Weil Du nicht aufzuräumen hast und die Spinnweben in den Ecken nicht bemerkst.“

Sie schüttelte dabei an einem Gobelinvorhang und blies den Staub von kleinen geschnitzten Figuren ab.

Onkel aber zog den Vorhang von dem großen Bilde, das in der Mitte steht und von dem die alten Damen im Waggon gesprochen hatten. Es ist noch nicht fertig; ein paar Figuren sind nur angelegt.

„Das ist die Hochzeit zu Kana im Augenblick, wo das Wunder geschieht“ – er beobachtete mich dabei, als ob ihm darauf ankäme, daß ich es schön fände, ich – Lisa! „Fällt Dir etwas auf?“ fragte er.

Der Bräutigam fiel mir auf. Ich fand ihn schöner als Dimitri, aber er erinnerte mich an diesen. Dimitri legt den Arm gerade so zärtlich um Natti’s Schulter. (Wenn sie’s ihm erlaubt! heißt das.)

„Nun – so sprich doch!“

Ich hätte gern gewußt, ob dieser Bräutigam wirklich existirte. Aber das wollte ich doch nicht fragen.

„Malst Du nach wirkkichen Menschen?“ sagte ich endlich.

„Und das ist Alles, was ihr bei diesem Bilde einfällt!“ Die Stimme klang fast traurig.

Ich fühlte, daß ich etwas Dummes gesagt hatte – er schien enttäuscht zu sein. Verlegen blickte ich zu Boden …

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_651.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2023)