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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

So erhalten wir nun heute am 26. November die Nummer des ‚Deutschen Museums‘ vom 1. September 1859, darin u. A. Ihre ‚Litteratur der Frauen‘. Lassen Sie sich nicht bange sein vor einem Aus- und Anfall, etwa über die sehr ungalant lautende Phrase ‚Frauen und Juden begegnet man auf jedem Schritt – ich will die in Frieden ruhen lassen‘; es ist nur Eine Stelle in jenem Aufsatz, die mir unwiderstehliche Lust erregt, Ihnen zu schreiben, obgleich ich annehmen muß, daß Sie gewiß weder Zeit noch Lust zu überflüssiger Korrespondenz haben, so wenig wie ich selbst.

Was ich Ihnen gern schreiben möchte, soll weder ein Angriff noch kann es eigentlich eine Widerlegung sein; es soll nur zur Bereicherung Ihrer Erfahrungen dienen, da Sie doch vielleicht noch mehr in den Fall kommen, von schriftstellernden Frauen zu sprechen, und – vielleicht auch zur Ehrenrettung manch wackern Mannes, der so unglücklich oder ungeschickt war, eine Schriftstellerin zur Frau zu haben.

Die Eine Stelle nämlich heißt: ‚eine glückliche Frau wird nicht leicht schreiben –‘ Nun kann es mir, die ich einen sehr unlogischen, keineswegs philosophisch gebildeten Kopf habe, gewiß nicht einfallen, vorher die Frage erörtern zu wollen: was ist Glück? Ist ganzes volles Glück, ein gehobener Zustand der innigsten Befriedigung überhaupt ein dauernder? – Ich kann Ihnen nur die einfache Versicherung geben, daß, was mir zu vollem, dauerndem, innigem Glücke fehlt, nur die Schuld meiner eignen Unvollkommenheit, nicht die meiner Verhältnisse, am allerwenigsten meiner ehelichen ist. Ich habe eine heitere und glückliche Jugend verlebt, habe aus freier Wahl mich einem Manne anvertraut, in dem ich den rechten Mann gefunden, wie ihn am Ende jedes rechte Mädchen will, bei dem die vier Grundzüge, die ich mir als Mädchen schon als unerläßliche Bedingungen bei einem Zukünftigen gedacht hatte, verwirklicht waren, nämlich: viel Verstand, wahre Herzensgüte, ein reines Jugendleben und ein männlich fester Charakter.

Eine unglückliche Frau bin ich also nicht, – begreife auch nicht, wie eine solche schreiben kann; ich muß schon gut aufgelegt sein, um schreiben zu können, und schreibe am liebsten im Sonnenschein oder nachdem ich schöne Musik gehört. Eine unbeschäftigte bin ich auch nicht; ich habe drei Kinder, viel Besuche und ein einziges Dienstmädchen; warum habe ich denn geschrieben?

Aus Armuth nicht, wenn wir auch den ungehofften Zuschuß meiner litterarischen Einnahme dankbar als eine willkommene Gottesgabe hinnehmen.

Aus Ehrgeiz auch nicht. Soweit ich mich selbst kenne, gehört der nicht zu meinen Fehlern. Obgleich ich so ein Bißchen gedichtet und geträumt habe, so lang ich denken kann, dachte ich doch nie an die Möglichkeit, etwas drucken zu lassen; eine Schriftstellerin kam mir als ein nicht beneidenswerthes Ausnahmsgeschöpf vor. Da ich nun schon im Plaudern bin, will ich Ihnen erzählen, wie ich das erste Mal dazu kam, das heißt zum Schreiben.

Ich war drei Jahre verheirathet und hatte ein liebes, kleines Kind und zu thun genug, als ich mit meinem Mann in einem Journal irgend welche Genrebilder las: ‚hör’, so könnte eigentlich Jedermann Geschichten schreiben,‘ meinte ich. ‚Ei, so schreib’ Du eben auch,‘ sagte mein Mann scherzend. Ich versuchte so ein kleines Genrebild aus meiner Erinnerung und las es meinem Mann und Bruder vor. ‚Gieb mir’s einmal,‘ sagte mein Bruder, ‚ich versuch’s und schicke es an das Morgenblatt.‘ ‚O geh, wer wird das drucken?‘ meinte ich, ließ es aber geschehen. Nach kurzer Zeit kam eine freundliche Aufforderung von der Redaktion um mehrere. Erst nach zwei Jahren, als ich noch mehr Jugend- und Familienerinnerungen geschrieben, willigte ich auf meines Bruders Bitte ein, daß er der Redaktion meinen Namen nenne.

Mein Mann hatte eine Freude an meinen Versuchen und an der freundlichen Aufnahme, die sie fanden; ich wurde wieder und von verschiedenen Seiten aufgefordert, und so kam ich allmählich weiter und weiter auf dieser Bahn.

Nur sehr schwer kam ich dazu, dem Schreiben einen Platz in der Reihe regelmäßiger Beschäftigungen einzuräumen; jetzt nehme ich mir die Morgenzeit, wenn die Kinder in die Schule befördert sind und die Küche beschickt ist; der Nachmittag gehört der Nadel, dem Flickkorb, meinen guten Freunden, allem Möglichen, der Abend ausschließlich Mann und Kindern.

Daß ich ganz fehlgegriffen, indem ich der Feder neben Nadel und Kochlöffel eine Stelle in meiner Zeit einräumte, glaube ich nicht; ich habe bis aus den weitesten Fernen von den verschiedensten Personen, von Männern und Frauen, von Kranken, von Einsamen, von Verkümmerten, so herzliche Zuschriften erhalten, daß ich wohl ohne Ueberhebung glauben darf, es sei mir gelungen, da und dort die rechten Saiten anzuschlagen.

Ob ich verstehen werde zur rechten Zeit aufzuhören? Das ist wieder eine Frage; aufhören ist schwer, wenn man allseitig gedrängt wird; das Maß meiner natürlichen Begabung aber ist ein bescheidenes. Mein ganzer Lebens- und Bildungsgang ist so überaus einfach, daß der Kreis, in dem ich mich mit voller Freiheit bewegen kann, nothwendig ein beschränkter sein muß; – mag sein, daß mich die Kritik nicht unsanft mahnen wird, wenn meine Stunde vorüber ist. Mag sein; ich habe kein Recht zu klagen, es ist mir bis jetzt so gut gegangen! Bekomme ich später auch eine bittere Pille, so wird sie mir wohl gesund sein; ich danke Gott, der meinem Leben einen andern Mittelpunkt gab als diesen flüchtigen Erfolg.

Das ist eine lange Epistel geworden, um die einfache Thatsache auszusprechen, daß auch eine glückliche, zufriedene Frau dazu kommen kann, Bücher zu schreiben!

Es ist vielleicht recht unklug, daß ich so dem Zuge gefolgt bin, der mich antrieb Ihnen zu schreiben; doch, Sie mögen es nun ansehen, wie Sie wollen: ich vertraue der Ehre des Mannes und Schriftstellers, daß Sie meine Worte als ein Wort im Vertrauen ansehen und behandeln.

Den Dank für eine freundliche Beurtheilung, die mir, ich glaube in der Allgemeinen Zeitung, zu Augen kam, kann ich nun erst am Schlusse sagen.

In aufrichtiger Hochachtung

Ottilie Wildermuth.“

Das Oktoberfest in München. (Mit Illustration S. 632 und 633.) Wer ein echtes, unverfälschtes Volksfest sehen und mitgenießen will, der muß am 1. Oktobersonntag nach München kommen. Schon am Vorabend strömen, von keuchenden Extrazügen gebracht, Tausende von ländlichen Gästen vom Bahnhof her und am Festsonntag selbst wandern sie, verstärkt durch die ganze mobile Bevölkerung der Großstadt, der Festwiese vor der Bavaria zu. Alle dahin führenden Straßen sind dicht gefüllt; nur im Schritt geht es vorwärts, mühsam kämpfen sich die Wagen durch. Und das Ziel dieser Völkerwanderung? Eine Viehausstellung, auf die der Ehrgeiz des ganzen Landes gerichtet ist, Vertheilung der Preise durch den König, jetzt Prinzregenten und dann das Pferderennen entlang der durch Mastbäume mit blau-weißen Flaggen bezeichneten Bahn. Den Kranz über das Ganze hält Frau Bavaria von der hochgelegenen Ruhmeshalle her; der Steilrand zu ihren Füßen bietet herrliche Sitzterrassen, die am Morgen schon von geduldig Harrenden eingenommen werden; außerdem sind Tribünen um das Königszelt her errichtet. Was aber, wenn um 2 Uhr der sehnlich erwartete Kanonenschuß fällt und das Rennen beginnt, die Tausende auf der Wiese hinter Kopf und Rücken ihrer Vordermänner zu sehen bekommen, das sind höchstens ein paar vorüberfliegende Jockeymützen und Pferdeköpfe. Aber das schadet nicht, man schreit aus Leibeskräften mit und wunderschön ist’s eben doch! Wenn dann das Rennen vorüber ist und die Sieger, durch gnädige Ansprachen der höchsten Herrschaften beglückt, abziehen, dann löst sich langsam die dichte Menschenmasse und ergießt sich über die weite Wiesenfläche hin in die zahllosen Bierwirthschaften und Schaubuden aller Art, welche dem zweiten, nicht officiellen Theil des Festes eine so große Anziehung verleihen. Hier locken dann die ganze Festwoche über die schauerlichen Mysterien von „Schichtl’s Geistertheater“; dort winden sich gemalte Neger im Todeskampfe gegen Riesenschlangen und Tiger; ein fliegender Seehund producirt sich neben dem fliegenden Photographen, der eine Gruppe argloser Landleute um die andere hinter seinen Vorhang schleppt; es schreit, klingelt, brüllt und klappert überall; dazwischen locken die schönsten Walzerklänge von dem tannengeschmückten Podium, wo die Soldaten und Bauernburschen ehrbar und fröhlich ihre Mädel unter den Kranzgewinden drehen. Höchst selten ist ein Exceß, ein rohes Wort – die Atmosphäre harmloser Gemüthlichkeit, welche München überhaupt eigen ist, lagert auch über dem Oktoberfest mit seinem vielen guten Bier, seinen Wurstküchen, Schmalzkuchelbuden und Fischbratereien, wo alle Stände friedlich verkehren, die elegante Equipage neben dem Bauernfuhrwerk, der Officier, Student und Künstler neben dem Handwerksgesellen und Packträger. Wenn noch vollends der Himmel ein Einsehen hat und gleichfalls blau-weiß dekorirt, dann kann es keinen vergnüglicheren Sitz in der milden Oktobersonne geben, als diese menschenerfüllte, bunte Wiese mit dem Ausblick auf die ferne Alpenkette und rückwärts nach den alten Frauenthürmen.

Im höchsten Norden. Welche Heldenthaten die muthigen Entdecker der Polarwelt vollbracht, welche Märtyrerstationen sie durchgemacht, davon giebt wiederum der Bericht des Lieutenants A. W. Greely über die Lady-Franklin-Bai-Expedition in den Jahren 1881 bis 1884 Auskunft (Jena, Costenoble). Die Aufgabe dieser Expedition war, eine der einjährigen Beobachtungsstationen zu beziehen, welche die Vereinigten Staaten an der Ostküste von Grinnell-Land, westlich vom äußersten Norden Grönlands, errichtet hatten. Die Greely’sche Expedition setzte ihre wissenschaftlichen Arbeiten fort über die festgesetzte Zeit, unerschrocken dem Tode durch Frost, Hunger und Skorbut trotzend. Einen nach dem Andern verscharrten sie im Polarschnee; die Ueberlebenden fuhren fort in der Führung der Tagebücher, in den Forschungen und Aufzeichnungen, die sie noch mit erlahmender Hand machten. Nur sieben waren zuletzt übrig geblieben – und den Kräftigsten war die Kraft geschwunden, durch Erlegung eines Seehundes oder gar eines Eisbären den Kameraden und sich selbst das Leben zu fristen. Flechten, gewärmtes Robbenfell, der Rest der schmutzigen ölgetränkten Decken der Schlafsäcke war zuletzt die einzige Nahrung. Vorher waren Diebstähle begangen worden aus Hunger und Verzweiflung; selbst der Arzt der Expedition hatte sich eines solchen Vergehens schuldig gemacht; doch konnte Greely ihn zunächst nicht zur Rechenschaft ziehen, da er für die Andern unentbehrlich war. Dagegen ließ er einen der Matrosen, der in die letzten Provisionskisten Einbrüche gemacht hatte, ohne Wissen desselben kriegsrechtlich verurtheilen und aus dem Hinterhalt niederschießen, da dieser im offenen Kampf seinen Kameraden überlegen gewesen wäre, denn der Dieb war kräftiger und besser genährt als sie.

Am 22. Juni waren Alle aufs Tiefste erschöpft; zum Theil gelähmt und schrecklich an Rheumatismus leidend. Etwas Wasser nebst einigen Quadratzoll eingeweichter Robbenhaut war Alles, was in 42 Stunden über ihre Lippen gekommen war. „Ich versuchte,“ schreibt Greely, „mit wenig Erfolg in meinem Gebetbuch oder sonst etwas zu lesen, aber der Wind war zu stark und die Erschöpfung zu groß. Gegen Mitternacht am 22. Juni hörte ich die Dampfpfeife der ‚Thetis‘, durch welche Kapitän Schley seine Bote zurückrief. Meine Ohren konnten mich nicht täuschen, aber ich konnte kaum glauben, daß sich ein Schiff bei solchem Sturm an diese Küste wagen würde. Ich bat mit schwacher Stimme Brainard und Long nachzusehen, wenn sie Kraft dazu hätten, sie waren wie immer bereit, ihr Bestes zu thun. Brainard war 50 Schritte weit nach dem Hügel gegangen und brachte die entmuthigende Nachricht zurück, es sei nichts zu sehen; Long wollte die Nothflagge, welche der Sturm umgeweht hatte, wieder aufrichten. Es entspann sich nun eine Diskussion über das Pfeifen. Biederbeck meinte, das Schiff liege im Paynohafen, aber mir hatte es von der Küste her getönt. Wir hatten schon alle Hoffnung aufgegeben, als sich plötzlich seltsame Stimmen hören ließen, welche meinen Namen riefen, und in einem Rausche des Entzückens überzeugten wir uns, daß unser Vaterland uns nicht im Stich gelassen hatte, daß der lange Todeskampf vorüber und der Rest der Lady-Franklin-Expedition gerettet sei.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_647.jpg&oldid=- (Version vom 6.10.2023)