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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


fehlten dabei nicht und schienen den fröhlichsten Antheil an der ländlichen Maskerade zu nehmen, denn Hochzeit und Fest fanden mit der früher angedeuteten Vertheilung der Rollen und entsprechender Kostümirung statt, wie dies von nun an oft der Fall war, wodurch das hübsche Phantasie-Dörfchen der Königin erst seine volle Bedeutung und auch das rechte Leben erhielt.

Nur wenige Jahre erfreute sich das junge Paar in ungetrübter Heiterkeit der Idylle Trianons, die Zeiten wurden nur zu bald ernster und die ländlichen Maskeraden in dem Dörfchen fanden ein schnelles Ende. Da entließ die Königin fürsorglich und reichbeschenkt ihre Schützlinge, die in ihre heimischen Schweizerberge zurückkehrten, um dort wohl im Alter in der Erinnerung noch einmal das schöne Märchen ihrer Jugend, ihr Liebesleid und die glücklichen Tage von „Petit Trianon“ zu durchleben.




Weitere Schicksale des Liedes der Marquise und des Dörfchens der Königin, „Die Schweizerfamilie“ – als Epilog.

Das Lied „Pauvre Jacques“ wurde noch manches Jahr von dem französischen Volke mit Vorliebe gesungen, doch verstummte es endlich und vollständig vor den wüsten Gesängen der Schreckenszeit und den heroischen Klängen der „Marseillaise“. Erst nachdem wiederum Ruhe in Paris und Frankreich eingekehrt war, die blutigen Wogen der Revolution von starker Hand eingedämmt worden waren, erinnerte man sich auch wieder des Liedes der Marquise und des Vorfalls in „Petit Trianon“, durch den es hervorgerufen worden war. Beide, das Lied und das Schicksal der jungen Schweizerin, wurden 1807 in einem „Vaudeville“ unter dem Titel „Pauvre Jacques“ auf eine der Pariser Bühnen gebracht. Das Stück gefiel, wurde oftmals aufgeführt und wanderte dann wie so manches andere französische Bühnenwerk, nach Wien, um dort umgeformt wieder als „deutsche Oper“ ins Leben zu treten. Es war der fruchtbare Wiener Dichter I. F. Castelli, welcher die Umarbeitung von „Pauvre Jacques“ unternahm und nach diesem Vaudeville den Text der „Schweizerfamilie, lyrische Oper in drey Aufzügen“ dichtete, „frey nach dem Französischen“. Josef Weigl, der damalige „Operndirettor und Kapellmeister der k. k. Hoftheater“, setzte das Buch in Musik, und am 14. December 1809 wurde „Die Schweizerfamilie“ in Wien zum ersten Male aufgeführt, eine Oper, die mit größtem Glücke die Runde über alle deutschen Bühnen machte, das damalige Opernpublikum in Entzücken versetzte – besonders nachdem die Schröder-Devrient die Emmeline mit unerreichter Meisterschaft und größter Wirkung dargestellt hatte. Die aus einem französischen Vaudeville entstandene deutsche „Schweizerfamilie“ wanderte von Wien nach Paris. 1812 wurde sie auf Veranlassung der Kaiserin Marie Luise ins Französische zurückübersetzt und als „Vallée suisse“ in der „Opéra-comique“ zur Aufführung gebracht. 1827 erschien sie unter ihrem rechten Titel „La famille suisse“ auf der Bühne des Odeontheaters, wo drei Jahre später, 1830, eine deutsche Operngesellschaft, mit der Schröder-Devrient an der Spitze, die echte deutsche „Schweizerfamilie“ den Parisern und zwar mit größtem Erfolge vorführte.

Der Stoff wurde noch mehrfach für die Bühne benutzt. 1829 gelangte eine Oper „Emmeline“ von Herold in Paris zur Aufführung, die ihn, nach England verlegt und vielfach verändert, ihrem Publikum vorführte, und 1858 wurde in den Salons Rossini’s zu Passy-Paris eine Operette für zwei Personen gesungen und gespielt (Musik von Weckerlin), in der Emmi und ihr Jakob unter Anderm auch das Lied vom „Pauvre Jacques“ vorzutragen hatten.

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Marie Antoinette verbrachte noch glückliche Tage in ihrem kleinen Paradiese von „Petit Trianon“, doch endlich nahte der für sie und die Ihrigen so verhängnißvolle 6. Oktober 1789 heran. Am Tage vorher befand sich der noch immer sorglose König auf der Hirschjagd im Walde von Meudon, und die Königin, das ihr und den Ihrigen drohende Unheil ahnend, flüchtete Trost und Ruhe suchend nach ihrem geliebten Trianon. Marie Antoinette befand sich mutterseelenallein in dem Schlößchen, in dem weiten Garten. Durch alle Gemächer schritt sie, die so frohe und schöne Tage gesehen hatten! Alle ihre Lieblingsplätzchen im Garten und Park, die Häuschen ihres Dörfchens besuchte sie. Doch heute lächelte die arme Königin nicht wie früher; sie weinte, ließ den Thränen ungehindert ihren Lauf; es war, als ob sie Abschied nehmen wollte von all den lieben Orten, denen sie das einzige Glück ihres schwergeprüften Lebens verdankte – von all den stillen Freuden, die sie hier genossen hatte! O, es müssen bittere Stunden gewesen sein, die Marie Antoinette an diesem 5. Oktober in der Einsamkeit von Trianon zubrachte, und doch ahnte sie noch nicht, wie schrecklich sich ihr Schicksal binnen Kurzem wenden sollte. Gegen Abend saß sie lange – lange in der Grotte und ließ wohl noch einmal all die heiteren Bilder und Scenen einer unschuldigen Freude, die sie hier geschaut und erlebt hatte, an ihrem inneren Auge vorüberziehen. Da wurde sie plötzlich gewaltsam aus ihren schmerzlichen – und doch so süßen Träumen geweckt. Man überbrachte ihr ein Briefchen des Marquis von Saint Priest aus Versailles, der die Königin beschwor, sofort nach dem Schlosse zurückzukehren, da „Paris im Anzuge gegen Versailles“ sei.

Marie Antoinette schüttelte gewaltsam die Gedanken, welche sie bis jetzt übermächtig beherrscht hatten, von sich ab, erhob sich energisch und kehrte nach Versailles zurück.

Ihr Ahnen sollte in Erfüllung gehen. – In der Nacht mußte sie, nur mit einem Hemde bekleidet, aus ihrem Schlafgemach vor den Mördern fliehen, die ihr den Untergang geschworen hatten, und am andern Tage, dem verhängnißvollen 6. Oktober 1789, fuhr sie mit Ludwig XVI., ihren beiden Kindern und Madame Elisabeth, von Horden betrunkener blutgieriger Weiber, dem Pöbel und Abschaum der Pariser Bevölkerung begleitet, verhöhnt und geschmäht, nach Paris und den Tuilerien zu. Es war der Anfang vom Ende. Arme Königin!



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