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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


ganz ihr Herz. Da erlebte nun freilich der gar zu kluge Graf eine arge Enttäuschung, denn was bekam er da zu hören!

Es war an einem Abend und im Stalle mit dem weißen Marmorboden und der gleich kostbaren Krippe, Graf d'Adhémar hatte sich auf den dreibeinigen blankpolirten Schemel von Mahagoni, der zwischen den beiden Kühen stand und für gewöhnlich der Melkerin bei ihrem Geschäft diente, niedergelassen, und neben ihm kauerte die hübsche, interessante Emmi, stützte sogar ihren Arm mit sammt dem allerliebsten Köpfchen auf die lebhaft zitternden Kniee des alten Herrn und erzählte. Wohl habe sie Heimweh, so berichtete sie unter Thränen, doch hauptsächlich nur nach ihrem – lieben armen Jakob, ihrem „pauvre Jacques“, den sie mehr als die Heimath – mehr als das Leben liebe, der sterben würde – wie sie nicht mehr leben könne – wenn sich Beide nicht wiedersehen, nicht einander in die Arme fliegen, sich nicht nach Herzenslust küssen und lieben dürften!

Es war eine einfache, alltägliche Geschichte und doch eine Geßner’sche Idylle, oder eine der ländlichen Erzählungen Florian’s, von denen die Königin oft gesagt, es wäre ihr beim Lesen zu Sinne, als ob sie eine köstliche Milchsuppe verspeise. Emmi berichtete, wie sie früher die Kühe eines einfachen Bauern ihres Heimathdorfes gehütet, während Jakob jeden Morgen mit der dörflichen Ziegenherde ausrückte. Auf den Weideplätzen lernten Beide sich schon als Kinder kennen, spielten anfänglich mit einander, um sich dann später, was eben nicht ausbleiben konnte, zu lieben. Hätte Emmi gewußt, welch Herzeleid ihr nach der Trennung bevorstehe, sie würde nun und nimmer ihre Berge, ihren lieben armen Jakob verlassen haben, und wäre der Weg nach Paris und Versailles auch mit Gold gepflastert gewesen. Aber das wußte sie eben nicht und nun, nachdem sie Alles habe, was man nur wünschen könne, fühle sie sich tief unglücklich, Nichts erfreue sie mehr. Zu singen sei sie nicht mehr im Stande; nur zu weinen – zu weinen vermöge sie, von Morgens bis Abends und sogar des Nachts in ihren Träumen. Der Sonnenschein quäle sie, und suche sie die Schatten des Waldes auf, so treibe es sie auch von dort wieder fort. Die Sehnsucht nach ihrem armen Jakob drücke ihr eben das Herz ab und Ruhe finde sie wohl nur noch im Grabe.

So weit war Emmi mit ihren Schilderungen und Klagen gekommen, da versagte ihr plötzlich die Stimme und die letzten Worte erstarben in einem herzbrechenden Schluchzen. Arme Emmi! Armer Jakob! Graf d'Adhémar, der sich schließlich von dem tiefen Schmerz, von der naiven Hingabe des lieben, ihm vertrauenden Kindes wahrhaft und seltsam ergriffen fühlte, wollte nun sein Amt als Tröster beginnen und hätte jetzt gewiß auch Worte gefunden, die vom Herzen gekommen, zum Herzen gedrungen wären. Doch es sollte nicht sein! Kaum öffnete er die Lippen, um zu reden, als er in seiner Nähe ein Geräusch vernahm, das nicht von der Gesellschaft ihm zur Rechten und zur Linken, den beiden königlichen Schweizerkühen, herrühren konnte, und als er überrascht aufschaute, wäre er bald vor Schreck mit sammt seinem Mahagonimelkstuhl umgesunken, denn vor ihm stand Marie Antoinette und derselbe Blick zeigte ihm in der offenen Thür des Stalles und draußen den ganzen kleinen Hofstaat der Königin, zugleich auch das schadenfroh lächelnde Antlitz seines Nebenbuhlers, des Grafen von Artois, der allein ihn verrathen haben, der Urheber dieser Scene gewesen sein konnte.

Wie war das zugegangen?




„Pauvre Jacques“ – und das Lied der Marquise von Travanet.

Die Königin hatte an diesem Abend eine musikalische Unterhaltung angeordnet und dazu Einladungen an mehrere Damen des Hofes von Versailles ergehen lassen, unter Anderen auch an die Marquise von Travanet, die nicht allein das Klavier vortrefflich spielte und dabei sang, sondern auch hübsche Romanzen und Lieder dichtete und komponirte, die dem damaligen Geschmack entsprachen und in glücklicher Erfindung den melodisch sentimentalen Weisen Monsigny’s und Gretry’s nachstrebten. Das kleine Koncert fand in einem Musikpavillon statt, dessen offene Thüren nach dem umgebenden Park gingen, und da es gestattet war, den Produktionen auch draußen unter den Bäumen zu lauschen, so glaubte Graf d'Adhémar die beste Gelegenheit gefunden zu haben, sich unbemerkt zu seiner kleinen Schweizerin zu stehlen.

Doch unglücklicher Weise beschäftigten gleiche Gedanken auch den jungen Grafen von Artois. Da sein galantes Abenteuer am Tage keinen Erfolg gehabt, hoffte er, am Abend glücklicher zu sein, und so trat denn auch er, sobald es ohne Aufsehen geschehen konnte, seine heimliche Wanderung nach der königlichen Meierei und der schönen Emmi an. Er kam zu spät. Nach einigem Spähen zeigte ihm endlich ein Blick durch die kleinen bleigefaßten Scheiben des Stallfensters die junge Schweizerin, doch zugleich auch seinen glücklicheren Rivalen und Beide, im Verein mit den Kühen, in einer solchen originellen Gruppe, daß dies noch mehr seine Lachlust als seinen Aerger reizte. Eiligst kehrte er nach dem Musikpavillon zurück und begann dort heimlich und dringend auf Marie Antoinette einzureden, sie möge ihm nach der Meierei folgen, wo sie den eigentlichen Grund

des Kummers und der Schwermuth der jungen Schweizerin kennen lernen würde. Nur müßte man vorsichtig zu Werke gehen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_639.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)