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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


War doch Graf d'Adhémar, der auf dem Privattheater der Königin die Liebhaberrollen spielte – den Schäfer Collin im „Dorfwahrsager“ von J. J. Rousseau, Graf Almaviva in Beaumarchais’ „Barbier von Sevilla“ – ein Sechziger, dessen Stimme beim Deklamiren bedenklich zitterte, worüber die Königin, als Colette und Rosine, sogar oftmals auf der Scene laut auflachen mußte. Nur Graf Artois, ein lebensfroher Kavalier, zu allen lustigen und galanten Abenteuern aufgelegt, konnte gefährlich werden. Doch auch diesem geboten der Ort und dessen königliche Herrin Schranken, die er offen niemals zu überschreiten gewagt haben würde. Desto eifriger bemühte er sich bald im Geheimen um die schöne Schweizerin, wie dies denn auch, und wohl noch heimlicher, doch getreu seinem Fach als „jugendlicher Liebhaber“ und ehemaliger wirklicher Roué, der alte Graf d'Adhémar that, nur daß Ersterer dabei den feuerigen Bewunderer spielte, während sein stiller Rivale den Liebhaber geschickt unter dem väterlichen Freunde zu verbergen wußte. Und Ursache und Gelegenheit zu solcher heimlichen Annäherung und Bewerbung sollte sich mit der Zeit, sogar recht bald ergeben. Die kleine Emmi hatte ihr neues Amt als königliche Kuhhirtin und Melkerin in Trianon mit der vollen Unbefangenheit und Lust eines fröhlichen Kindes der Schweizerberge begonnen, den ganzen Tag und überall, wo sie sich auch befand, erklang ihre helle Stimme. Bald sang sie französische, bald deutsche Liedlein, denn beide Sprachen waren ihr geläufig; jodelte bald einen französischen „Ranz des vaches“, bald einen deutschen Kuhreigen, zum größten Vergnügen der heimlich horchenden Königin und ihrer Gesellschaft. Doch nur zu bald änderte sich dies. Emmi wurde stiller – immer stiller und einsilbiger, bis endlich Stimme und Gesang vollständig verstummten und auch die Rosen ihrer Wangen zu erbleichen begannen. Eines Tages überraschte die Königin das Mädchen sogar in Thränen, und als Marie Antoinette sich mit Worten wahrer Theilnahme nach der Ursache dieser plötzlichen Traurigkeit erkundigte, da entfloh Emmi, ohne nur eine Silbe zu erwiedern der Milcherei und eilte hinaus zu ihren beiden Kühen, die draußen auf der duftenden Wiese weideten.

Im „Petit Trianon“: Das Haus des Landvogts (Bailly).

„Sie hat das Heimweh,“ sagte Marie Antoinette sinnend vor sich hin, dabei an ihre eigene österreichische Heimath denkend. „Nur dies kann die Ursache ihrer Traurigkeit, ihrer Neigung zur Einsamkeit sein, denn hier fehlt es ihr doch an nichts. Nun, es wird vorübergehen,“ fuhr sie wieder heiterer in ihrem Selbstgespräch fort. „Auch ich habe es kennen lernen, dieses böse Heimweh, und ich zählte erst fünfzehn Jahre, als ich mein liebes Wien und Schönbrunn verlassen mußte, während Emmi älter ist und auch nur ein armes Dörfchen, öde Thäler und Höhen zu betrauern hat, wogegen Trianon ein wahres Paradies ist. – Es wird vorüber gehn!“

Doch bei der armen Emmi ging es nicht vorüber; das böse „Heimweh“ wurde sogar tagtäglich schlimmer, denn nun ließ sie ungehindert ihren Thränen freien Lauf, gleichviel, ob ihre königliche Herrin oder die andern Damen des Hofes zugegen waren oder nicht. Jetzt wurde auch die Theilnahme eine allgemeine, und von allen Seiten versuchte man das arme Kind, von dem Marie Antoinette sich nicht trennen wollte, zu trösten. Dadurch erhielten die beiden Herren, welche sich von Anfang an für die ländliche Schöne interessirt hatten, einen Vorwand, sich Emmi zu nähern, um, ein jeder auf seine Weise, den Tröster zu spielen. Am Tage weilte Emmi mit Vorliebe auf den einsamen, zwischen Baummassen und Gebüsch versteckten Rasenflächen des Parkes, die sie als Weideplätze für ihre Kühe benutzte. Es war, als ob sie sich von den beiden schönen Thieren nicht hätte trennen können, denn Abends saß sie wiederum und bis spät in die Nacht hinein bei ihnen im Stalle, stets sinnend und weinend. Auf diesen Umstand bauend, hatten die beiden Bewerber um die Gunst Emmi’s ihren Belagerungsplan entworfen. Glaubte das Mädchen sich in seiner Waldeinsamkeit allein, dann trat plötzlich der junge hübsche und unternehmende Graf Artois zwischen den Bäumen hervor und war bald an Emmi’s Seite, in feurigen Worten ihr zuraunend, das böse Heim- und Herzensweh sei sicher durch ein anderes, weit süßeres Weh: die Liebe, zu bekämpfen und in die Flucht zu schlagen. Das Mädchen schaute wohl auf bei solcher unerwarteter Annäherung; doch floh sie nicht, bangte nicht einmal, sondern ließ den Prinzen reden, als ob er ihr die allerunschuldigste und gleichgültigste Geschichte erzählt hätte, ohne daß sie dabei irgend eine Bewegung machte oder nur eine Silbe erwiederte. Wenn endlich der junge Prinz auf eine Antwort drang, dann schaute Emmi ihm mit ihren großen thränennassen Augen fragend und dabei so tief traurig in das Antlitz, daß dieser Blick dem enttäuschten Liebhaber nur zu deutlich kündete, wie wenig seine schönen feurigen Reden von dem Mädchen verstanden – daß sie vielleicht nicht einmal beachtet worden waren!

Im „Petit Trianon“: Der Marlborough-Thurm.

Weit glücklicher war der alte geistvolle Roué Graf d'Adhémar, der nicht umsonst den Ruf eines vorzüglichen Schauspielers genoß, in seinen Bestrebungen. Er hatte sich dafür den Abend und die Milchkammer, ja, wenn es sein mußte, sogar den Stall, erwählt; er redete dem armen Mädchen zu wie ein väterlicher Freund, erfaßte ihre Hand, drückte das Köpfchen der Weinenden mit inniger Theilnahme an seine Brust, und Emmi verstand ihn, ließ es nicht allein geschehen, sondern nachdem sie sich an der Brust des alten guten Herrn

ausgeweint hatte, redete sie zu ihm und öffnete ihm endlich auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 638. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_638.jpg&oldid=- (Version vom 26.6.2023)