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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

nachdem er in Gale, in dem Fabrikbesitzer Vail und in dem Handelsvorsteher Smith fördersame technische und finanzielle Unterstützung gefunden hatte. – Zunächst veränderte Morse den Telegraphen (Reliefschreiber) für ein aus Punkten und Strichen gebildetes Alphabet; er erfand den als „Taster“ bekannten Zeichengeber und verbesserte das Wheatstone’sche Relais. Wir fügen eine Probe aus dem heute international gewordenen Morse-Alphabet (Fig. 6) bei. Der Schreibapparat, welcher im Jahre 1844 auf der von Morse auf Staatskosten erbauten Versuchslinie Baltimore-Washington, dann im Jahre 1848 zwischen Hamburg und Cuxhaven in Thätigkeit trat und hier zugleich dem seit vielen Jahren bestehenden optischen Telegraphen ein jähes Ende bereitete, kann als der Stammvater des fast den gesammten Depeschenverkehr beherrschenden Morse-Schreibers gelten.

Fig. 4. Steinheil’s Alphabet vom Juli 1837.
Fig. 5. Erste Morse-Depesche vom 4. September 1837.
Fig. 6. Jetziges Morse-Alphabet.

Merkwürdig! Morse benutzte die Erde zur Rückleitung des elektrischen Stromes erst, als seine vorerwähnte Versuchslinie bereits ein halbes Jahr in Betrieb stand. Gleichwohl haben Einige die Entdeckung der Erdrückleitung Morse zugesprochen. – Ziehen wir in Betracht, daß Steinheil seinen Münchener Telegraphen bereits im Juli 1837, ohne fremde Beihilfe, sofort in völlig durchgebildetem, betriebsfähigem Zustande und in großem Maßstabe erprobte, und würdigen wir die volkswirthschaftlich hohe Bedeutung der Entdeckung des Stromleitungsvermögens der Erde richtig, so müssen wir Steinheil unbedingt als den Erfinder des Schreibtelegraphen, ja als den eigentlichen Begründer der elektromagnetischen Fernschreibekunst überhaupt, verehren und an der Thatsache festhalten, daß der erste Schreibtelegraph auf deutschem Boden entstand.

Hugo Marggraff.     




Hängende Fäden.

Erzählung von A. Godin.
(Fortsetzung.)

Lassen Sie mich nicht für allzu unbescheiden gelten, Fräulein!“ begann der junge Mann mit wohlklingender Stimme. „Als ich Sie hier so unerwartet erblickte, war die Versuchung zu mächtig. Wenn Sie sich aber eines gewissen rothen Deserteurs gar nicht mehr entsinnen könnten, wüßte sich der unberufene Wegelagerer freilich nicht zu entschuldigen.“

Lisbeth wurde schnell roth; ein Blitz der braunen Augen gab genügende Antwort, während ihre Lippen nicht gleich eine Entgegnung fanden. Auch blieb ihr dazu kaum Zeit, denn der Blonde fuhr lebhaft fort:

„Ist es nicht der wunderlichste Zufall, daß ich hier vor Ihnen stehe – diesmal auf gleichem Niveau? Als Ihr hängender Faden eine Verbindung zwischen uns hergestellt hatte, war ich für einen Tag nur in München, und heute wieder ist es nach einer Woche Aufenthalt mein letzter Münchener Tag!“

„Damals war es ebenfalls mein erster,“ sagte Lisbeth zutraulich, „und leider Gottes ist es heute auch mein letzter!“

„Darf man fragen, wohin Ihr Knäuel zunächst rollen wird?“

„Nach Norden,“ seufzte sie, schon im Begriff, den blauen Augen, die so treuherzig und zugleich so strahlend auf sie gerichtet waren, ihren ganzen Herzenskummer anzuvertrauen; doch besann sie sich und stellte, mit etwas höher schattirten Wangen, nur die Gegenfrage: „Und wohin gehen Sie?

„Nach Süden!“ rief er mit einem Freudeblitz. „Ueber die Alpen, ins gelobte Land, das Sie gewiß schon kennen, da man in München gleichsam auf der Schwelle steht.“

„Ich kenne nichts davon!“ sagte Lisbeth, und ihre verlangenden Augen verloren sich wie in unabsehbare Ferne. „Wie beneidenswerth sind Sie! Italienische Kunst zu sehen –“

„Sie interessiren sich für die Künste?“

„Ueber Alles!“

Während dieser rasch getauschten Worte wechselte Lisbeth die Stellung und bemerkte nun Richard Ahrens, der zwischen den Bäumen hervorkam und mit erstauntem Gesichte stehen blieb. Es schien ihr plötzlich, als habe sie sich schon seit undenklicher Zeit von ihrer Gesellschaft getrennt und müsse nun Rechenschaft ablegen. Mit verabschiedender Verbeugung gegen den Fremden sagte sie etwas hastig:

„Ich habe warten lassen –“

Dieser, welcher sie bisher unverwandt angeblickt hatte, wendete die Augen; ein schalkhafter Zug glitt über sein ausdrucksvolles Gesicht, als er den jungen Mann erblickte, und er machte keinen Versuch, Lisbeth aufzuhalten, als sie mit dem schnell hervor geathmeten Worte: „Glückliche Reise!“ den Steg verließ.

Während er ihr nachsah, sichtlich gespannt auf die Art ihrer Begegnung mit diesem Begleiter ihres Morgenspazierganges, tauchten wenige Schritte hinter Richard zwei Mädchenköpfe auf, und er hörte rufen:

„Aber wo bleibst Du, Lisbeth? Wenn wir noch in die Amalienburg wollen, ist es höchste Zeit. Mama hat uns eingeschärft, zur Tischzeit heim zu sein!“

Ein heiterer Zug spielte um die Lippen des Blonden. Er sah der Gruppe nach, bis sie zwischen dem Gehölz verschwand; wenn er darauf gerechnet hatte, daß die ihm interessante Brünette noch einmal den Kopf wenden würde, irrte er freilich, doch schien ihn das keineswegs anzufechten. Den weichen, zum Gruße abgenommenen Filzhut noch in der Linken, fuhr er sich mit der Rechten durch das Haar und ging raschen Schrittes in entgegengesetzter Richtung um den See.

Als die vier jungen Leute vor dem äußerlich so unscheinbaren Schlößchen anlangten, dessen innere Einrichtung als Juwel seines Zeitgeschmackes gelten darf, fanden sie es nicht nöthig, der Frau des Portiers zu klopfen. Die Eingangsthür stand offen, und bei dem ersten Schritt, welcher Lisbeth in die reizenden Räume führte, denen sie heute einen letzten Blick gönnen wollte, trat ihr der Blonde entgegen und bat, ihn ihrer Gesellschaft vorzustellen.

Lisbeth lachte. Das Leuchtende, was mitunter von ihren Augen ausging, erhellte das beredte Gesicht.

„Vorstellen? als wen? Ritter vom rothen Faden etwa?“

„Ja so! – mein Name ist Rank.“

Richard, gegen den er sich leicht verbeugte, erwiederte diese Begrüßung in gleicher Weise, ohne nöthig zu finden, auch die jungen Damen zu nennen. Lebendiges Geplauder entspann sich, während die kleine Gesellschaft in den Rokokosälen des Schlößchens verweilte, und die feinen, eigenartigen Bemerkungen des Fremden weckten steigendes Interesse bei den Einheimischen. Der Gast hatte offenbar Vieles gesehen und verstand es, jede Schilderung oder Kritik, wozu das hier Vorhandene ihn anregte, scharf zu charakterisiren, wobei lebendigste Frische des Ausdrucks den überlegenen Geist stets liebenswürdig erscheinen ließ.

Als die jungen Leute zusammen in das Freie traten, erschien es selbstverständlich, daß der Fremde sich für den Rückweg nach München anschloß. Vielleicht theilte Richard das unverhohlene Vergnügen der Mädchen über diesen Zuwachs nicht ganz. Es war ihm aufgefallen, daß die sonst so offene Lisbeth das kleine Abenteuer, welches sie vorhin als Erklärung ihres Gespräches mit einem Fremden flüchtig berichtet hatte, nie früher erwähnte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_606.jpg&oldid=- (Version vom 25.6.2023)