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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Hatte sie sonst, so oft sie eine der beiden Dirnen zur Hilfeleistung in Haus und Küche berief, ihr Verlangen mit einem „Sei so gut, Kathl –“ oder „Zenz, ich bitt’ schön –“ eingeleitet, so hieß es jetzt: „Mach’ weiter und komm’ her –“ oder „Das thu’ und das laß bleiben!“ Mit jedem Tage steigerte sich Kuni’s herrische Art und Weise, während die Dirnen mit jedem Tage bockbeiniger wurden. Einmal kam es zwischen Kuni und Kathl in der Küche zum offenen Streite, und das Ende davon war, daß die Letztere heulend und mit brennender Wange zum Pointner gelaufen kam. Der besänftigte die Dirne mit einem Preußenthaler und mit dem Versprechen, der Hauserin tüchtig den Text zu lesen – kaum aber war die Kathl aus der Stube, als er in die Küche trippelte, um Kuni mit den schmeichelnden Worten zu beruhigen:

„Ganz recht hast es g’macht! Laß Dir nur nix g’fallen! Da kann g’schehen was mag – ich hilf zu Dir!“

Seitdem verging beinahe kein Tag, ohne daß eine der Dirnen mit einer Klage gegen Kuni zum Pointner kam. Dem wurde die Sache schließlich zu bunt, und da begann er sich auf’s Jammern zu verlegen.

„So laßt’s doch g’rad mir mein’ Fried’! Ich will mein’ Frieden haben! Und laßt’s mir die Kuni in Ruh’! Is so a lieb’s und a gut’s Madl und schaut auf mich, wie man net besser auf mich schauen könnt’!“

So oder so ähnlich lautete des Pointner’s ewige Litanei, und solche Worte waren es auch, auf die er eines Tages von Kathl die maulende Antwort erhielt:

„Wer is denn schuld d’ran, daß Dein’ Fried’ net hast! Hättst Dir den leibhaftigen Unfried’ net ’rein’zerrt ins Haus!“

Einen Augenblick war der Pointner sprachlos vor Staunen und Wuth. Dann hub er ein lautes Schreien und Keifen an, warf der Dirne den Lohn vor die Füße, jagte sie aus der Stube, schrie nach Kuni und jammerte und greinte, bis er einen „völligen Anfall“ bekam und kraftlos in seinen Lehnsessel sank. Lange Stunden mußte Kuni an seiner Seite sitzen, mußte ihm kalte Umschläge auf den Kopf machen und ihm ihre weiche, kühle Hand auf die heiße Stirn legen. Besonders das letztere Mittel schien gar beruhigend und wohlthätig auf seinen Zustand zu wirken.

Von nun an ließ er Kuni tagsüber kaum mehr für Minuten aus seiner Nähe, und wenn es einmal geschah, daß Kuni von Götz zur Mithilfe bei irgend einer Feldarbeit aufgefordert wurde, die wegen eines nahenden Gewitters rasch bewältigt werden mußte, so jammerte und greinte der Bauer, daß man ihn, den der Pflege so sehr Bedürftigen, mutterseelenallein lasse, daß man ihn behandle, als wäre er der Letzte, der „Garniemand“ im Hause, und er gab keine Ruhe, ehe nicht Kuni mit ihrer Näharbeit wieder bei ihm in der Stube saß. Sie selbst machte dazu eine Miene, daß es ihr ein Anderer als der Pointner leicht würde angesehen haben, um wie Vieles besser als dieses Stubensitzen und das endlose Geschwatz des Bauern ihr die lustige, flinke Arbeit auf dem freien, sonnbeglänzten Felde behagt hätte, wo es Karli all den Anderen zuvorthat mit Eifer, Geschick und jugendlicher Kraft.

Der Bursche war von den Zerwürfnissen und Zwistigkeiten, die es während der letzten vierzehn Tage im Pointnerhofe abgesetzt hatte, wenig berührt worden. Da er Tag für Tag mit Götz auf dem Felde oder in den Holzschlägen arbeitete, hatte er von den meisten dieser Vorfälle überhaupt nichts erfahren, und was ihm davon zu Ohren kam, gewann durch die Darstellung des Pointner’s immer ein solches Gesicht, daß auch Karli stets das Recht auf Kuni’s Seite sehen mußte.

Auch die Leute im Dorfe hüteten sich, von dem, was sie über die Dinge im Pointnerhofe schwatzten und zischelten, vor Karli ein Wörtlein fallen zu lassen. Es waren nicht die besten Augen, mit denen man die „Hergelaufene“ und ihre Stellung im Hause des Pointner’s betrachtete. Nur Einer war im Dorfe, der schaute zu Kuni empor wie zu einer Heiligen. Das war der alte Spinner-Veit. Der hatte als junger Bursche in Rausch und Streit seinen besten Freund erschlagen. Mit langjähriger Zuchthausstrafe hatte er gebüßt, was mehr ein Unglück als ein Verbrechen gewesen, und war dann als gebrochener Greis mit halb zerstörtem Geiste in die Heimath zurückgekehrt, für die Erwachsenen und ihre bäuerische Moral ein Gegenstand der Verachtung, für die Kinder des Dorfes ein schutzloses Ziel des Spottes. Der Spinner Veit konnte kaum einen Schritt vor die Thür machen, ohne daß die herzlosen Rangen in lärmender Schar hinter ihm her waren. Sie äfften den irrsinnigen Alten durch die Geste des Spinnens, warfen mit Erde und Steinen nach ihm und schrieen ihm seine Schande und sein Unglück in die Ohren: Zuchthäusler, Zuchthäusler! Solch einen Auftritt hatte Kuni eines Tages vom Hofe aus mit angesehen, und da war sie in hellem Zorn hinausgeeilt auf die Straße, hatte ein paar von den Buben mit derbem Griffe beim Schopfe erwischt und den mißhandelten Alten vor seinen Verfolgern in das Haus gerettet. Von dieser Stunde an war der Spinner-Veit ihr erklärter Schützling; sie steckte ihm manchen guten Bissen und manch ein klingendes Almosen zu, und so oft er auch im Pointnerhofe vorsprechen mochte, immer fand er bei Kuni freundliche Worte und herzlichen Trost für seinen wirren Jammer. Wohl brummte der Pointner manchmal gegen den Stammgast, den ihm Kuni da ins Haus gezügelt hatte; aber auch er gewöhnte es sich ab, den Spinner-Veit einen Zuchthäusler zu nennen, seit Kuni, die doch sonst mit dem Pointner nur immer im sanftesten Tone sprach, ihn einmal mit bebender Stimme angefahren hatte: „Ich möcht’ mir a G’wissen draus machen, dem armen Teufel allweil wieder sein Unglück vorz’reiben, das er doch lang schon verbüßt hat! Und im Uebrigen – Zuchthaus? – im Zuchthaus is schon mancher g’sessen, der ehnder in a Kirchen ’paßt hätt’.“

Die Dienstboten des Pointnerhofes zuckten natürlich auch die Achseln über Kuni’s Samariterthum. Götz allein, wenngleich er sich mit keinem Worte äußerte, betrachtete Kuni’s Gebahren mit freundlichen Augen. Es schien, als hätte er in ihrer so seltsam sich äußernden Mildherzigkeit eine Entschuldigung für Manches gefunden, was an ihr bedenklich war. Es lag vielleicht hierin die Ursache, daß er, so kühl und vorsichtig er sonst der Dirne auch gegenüber stand, seit jener leisen Warnung, die er bei Kuni’s Eintritt in das Haus dem Sohne des Pointner’s zugeraunt, mit keinem mahnenden Worte mehr auf Karli zu wirken suchte. Und Karli selbst war, wenn er von der Arbeit oder seinen abendlichen Spaziergängen zurückkehrte, allzuviel mit seinen Gedanken wo anders, um etwa durch eigene Beobachtung hinter Dinge zu kommen, die sich ihm nicht von selbst vor die Augen stellten.

Zu Dutzendmalen war der Bursche hinausgewandert nach dem Binderholze. Aber der Bygotter und Sanni schienen wie verschollen in ihrer Waldeinsamkeit, und im Dorfe wußten die eifrigsten Zungen in Bezug auf den Bygotter nichts Neues zu berichten, als höchstens das Eine, daß man den Hochwürdigen wenige Tage nach jener Predigt von den falschen Propheten gegen das Binderholz hätte hinauswandern sehen, von wo er eine Stunde später mit zornigem Gesichte zurückgekehrt sei. Das Gerede, das sich an diese Begebenheit knüpfte, fand weitere Nahrung, als auch am zweiten Sonntage und an einem in die Woche fallenden Feiertage weder der Bygotter noch Sanni in der Kirche erschien.

Wenn Karli bei seinen abendlichen Wanderungen auf eine Gruppe von Männern oder Burschen stieß, welche diese Dinge mit breitem Eifer verhandelten, wurde ihm bei den Schlußfolgerungen, die er da ziehen hörte, bald heiß und bald kalt im Kopf und Herzen. Fragte man ihn um seine Meinung, so äußerte er sich mit einer gewissen, Gleichgültigkeit heuchelnden Zurückhaltung dahin, daß ihn die ganze Geschichte eigentlich nichts anginge; was der Pfarrer mit dem Bygotter hätte, das wäre eben des Pfarrers und des Bygotters Sache; aber – und bei diesem Aber gerieth er unwillkürlich in Hitze – aber das Eine müßte auch einem Blinden einleuchten, daß die Gefangenschaft, in welcher der Bygotter die erwachsene Tochter hielte, allen Gesetzen von Recht und Menschlichkeit zuwiderliefe.

Dennoch erschrak er vor der Art und Weise der Zustimmung, die seine Worte fanden, vor den offenen und versteckten Drohungen, die er wider den Bygotter laut werden hörte. Es fiel ihm ein, daß ja der Bygotter trotz allem und allem Sanni’s Vater wäre und bliebe, daß ihm Sanni anhinge, wie eben ein gutes Kind dem Vater anhängen müßte, und daß also jedes Ungemach, das den Einen träfe, auf die Andere zurückfallen würde. Da suchte er dann wieder einzulenken und die erregten Gemüther nach Möglichkeit zu beruhigen.

Diese Dinge mehrten von Tag zu Tag seine Sorgen um Sanni, so daß ihm die Aufheiterung, die er in Kuni’s lustigem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_600.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)