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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

verlangte er zu essen. Erleichtert eilte Sanni in die Küche, um dem Vater eine Speise zu richten, die er sie bereiten gelehrt: aus Roggenmehl, getrockneten Erdbeeren, Salz und Wasser. Sie mußte, um Feuer machen zu können, Späne von den Zimmerplätzen draußen im Walde holen. Als sie unter den rauschenden Tannen stand und die splitterigen Scheite in ihre Schürze las, hörte sie rasche Tritte sich nähern, und ehe sie noch aufblickte, schlug mit freudigem Klange Karli’s Stimme an ihr Ohr: „Sanni! Sanni! Ja grüß Dich Gott, Sanni!“

Erröthend und erblassend warf Sanni einen scheuen Blick durch das offene Zaunthor nach dem Hause, raffte mit der Linken die Schürze zusammen und reichte dem Burschen unter stammelndem Gruße die zitternde Rechte.

Mit festem Druck umspannte Karli die kleine Hand und schaute dem Mädchen mit glücklichem Lächeln in die Augen. „Ja weil ich Dich nur amal sieh’! Weil ich Dich doch dengerst wieder amal sieh’! Ja wie geht’s Dir denn, han, so sag’ mir nur g’rad, Sanni, wie geht’s Dir denn? Gelt, gelt, das sind jetzt Sachen! Gar net sagen kann ich Dir’s, wie ich mich g’sorgt hab’ um Dich! G’wiß wahr, so oft bin ich heraußen gewesen – freilich, weißt, unter Tags hab’ ich nie net wegkönnen wegen der Arbeit; bei uns haben s’ ja’s Schneiden schon ang’fangt – aber schier gar alle Abend’ bin ich heraußen g’wesen. Wie a Füchserl um an Taubenkobl bin ich allweil ’rumg’schlichen um den sakrischen Zaun da. Und wie ich Abend um Abend wieder heim hab’ müssen, ohne daß ich Dich g’sehen hab’, g’wiß wahr, da hat’s mich schon so b’langt –“

„Geh’ weiter, wird Dir doch die Zeit net lang ’worden sein!“ fiel Sanni mit leiser und dennoch ein wenig streithaft klingender Stimme ein. „Habt’s ja so an schönen B’such im Hof!“

„Was? An B’such?“ frug Karli verdutzt.

„No ja – die mit dem weißen G’sicht und die schwarzen Augen!“

„Aber geh’, was hast denn jetzt da? An B’such! Das is ja dem Vater sein’ neue Hauserin!“ lachte der Bursche, der ohne großen Aufwand von Scharfsinn in Sanni’s Worten eine Regung schüchterner Eifersucht wahrnahm – und was Wunder, daß ihm diese Wahrnehmung Freude machte! Fester schlossen sich seine Finger um die Hand des Mädchens; er neigte das Gesicht und schaute wortlos lächelnd in Sanni’s Augen, bis auch ihre Lippen sich zu leisem, verlegenem Lächeln kräuselten. Da kicherte er lustig auf: „Aber wart’ – Du bist mir amal Eine!“

„Susanna!“ tönte plötzlich vom Hause her eine strenge, rufende Stimme.

„Jesus Maria – der Vater!“ stotterte Sanni erblassend, zerrte ihre Finger aus Karli’s Händen und huschte davon.

„Sanni – Du – ich wart’ fein noch!“ rief ihr der Bursche flüsternd nach, und während er sich in das tiefere Dunkel des Waldes zurückzog, maß er mit unwirschen Blicken die hohe, hagere Gestalt des Bygotters, welcher finsteren Gesichtes unter der Thür stand und die krallenartig gekrümmten Finger durch die langen Strähne des grauen Bartes zog. Als Sanni den Vater erreichte, trat er wortlos bei Seite, ließ das Mädchen eintreten, folgte ihm und schloß die Thür.

Zu Füßen einer tiefästigen Fichte kauerte sich Karli nieder und starrte, manchmal leise vor sich hinpfeifend, durch das offene Zaunthor nach der geschlossenen Thür und den matt erleuchteten Fenstern.

Die Dämmerung wandelte sich zur Nacht, und während hoch über den schwarzen Wipfeln einzelne Sterne für kurze Dauer aus dem Dunkel der treibenden Wolken blitzten, durchstrich ein sachter Wind die Tannen, ließ das Rauschen des Baches bald näher und bald ferner tönen und weckte im Walde einen feuchten, würzigen Duft.

Jetzt hörte Karli die Thür gehen; hastig sprang er auf, zog sich aber rasch wieder unter die schützenden Zweige zurück; denn die langsamen schweren Tritte, die sich näherten, konnten nicht von Sanni’s leichten und kleinen Füßen herrühren.

Es war der Bygotter. Trotz des Dunkels unterschied der Bursche deutlich die hagere Gestalt des Mannes, der in der Thorlücke des Zaunes erschien, eine Weile regungslos hinauslauschte in den finsteren Wald, dann die aus dicken Planken gefügte Pforte schloß, den hölzernen Riegel vorschob und wieder dem Hause zuschritt.

„Da hast es! Jetzt is ausg’wart’t!“ brummte Karli und löste sich mit einem schweren Seufzer aus seinem Verstecke.

Schon wollte er sich dem Wege zuwenden, als eine Sternschnuppe in leuchtendem Bogen niederschoß zur Erde.

„Daß ich d’ Sanni krieg’!“ fuhr Karli mit hastigen Worten auf und schaute mit freudig glänzenden Augen in den Feuerschein des Meteors, das dicht über dem Dache des Bygotterhäuschens zu erlöschen schien. Das „Ich wünsch’ mir …“ hatte er verschluckt, um die anderen Worte noch herauszubringen, ehe die Erscheinung wieder in Nacht zerfloß. Wäre er nur mit einer einzigen Silbe zu spät gekommen, so hätte ja sein Wunsch „nix ’golten und kein’ Kraft net g’habt“.

Er war aber nicht zu spät gekommen – und da mußte ihm ja von nun an Alles nach seinem Wunsche gehen! „’Troffen hab’ ich’s! Richtig ’troffen!“ lachte er vor sich hin, schnalzte mit den Fingern und schwang mit einem unterdrückten Jauchzer den Hut. In seliger Laune steuerte er gemächlichen Schrittes der Straße zu, pfiff eine lustige Ländlerweise, und als er aus dem Walde auf die nebeldampfenden Wiesen trat, hub er mit lauter Stimme zu singen an und jodelte und dudelte so fort, bis er den Pointnerhof erreichte. Auf der Schwelle empfing ihn Kuni mit den Worten: „Guten Abend, Karli! Wo bleibst denn gar so lang?“

„No ja, der Mensch muß doch Luft schnappen!“

„Geh’! Und alle Abend’?“ scherzte sie. „Und gar so lustig kommst heim von Deiner Schnapperei?“

„No freilich, weißt, der gute Luft am Abend macht Ei’m halt die Brust so weit – g’wiß wahr!“ Lächelnd preßte er die Fäuste an die Rippen und wölbte die kräftige Brust unter einem tiefen Athemzuge.

„Hast schon Recht! Schnauf’ nur g’hörig! Schnaufen is Leben, und ’s Leben is ’was Schöns, wenn’s Einer von der richtigen Seiten packt. Aber jetzt komm’ ’rein! Wer leben will, muß essen auch! Ich hab’ Dir Dein’ Sach’ schon recht schön warm g’stellt!“ Dabei zog sie ihn am Aermel in den Flur, legte die Hände auf seine Schultern und schob ihn so der Thür zu.

Als die Schritte der Beiden verhallten, erhob sich von der Hausbank eine Mannsgestalt, die der Bursche im Dunkel nicht bemerkt hatte. Es war der Götz. Unter einem leisen, gedehnten Pfiffe nickte er gegen die Thür und klopfte die erloschene Pfeife aus.

„Neugierig bin ich doch, ob er net dengerst anbeißt auf ihre verzuckerten Hackerln?“ murmelte er vor sich hin, führte das ausgeschraubte Pfeifenrohr an die Lippen und blies, um es zu reinigen, heftig durch die Bohrung.




5.


Am andern Morgen warf sich Karli schon zu früher Stunde in sonntäglichen Staat und verließ den Pointnerhof. In der Nähe der Kirche stellte er sich auf, um die aus der Frühmesse kommenden Leute zu mustern. Und da er nun einmal auf einem gar so bequemen Fleckchen stand, blieb er die anderthalb Stündlein stehen, bis die Leute zum Hochamt herbeiströmten. Das ganze Dorf wanderte an ihm vorüber; aber weder Sanni erschien, noch der Bygotter. Als schon die drei Glocken zum „Segen“ läuteten, kam der Pointner einhergetrippelt, an Kuni’s Seite, die sich gar schmuck und sauber aufgeputzt hatte. Mit lustigem Zwinkern nickte der Bauer seinem Buben einen Gruß zu, und Kuni rief ihn lächelnd an: Geh’ zu, komm’ mit, versäumst ja den Segen!“

„No – auf das eine Mal wird’s auch net ankommen,“ meinte Karli, grub die Fäuste noch tiefer in die Joppentaschen und spreizte die Füße noch weiter.

Dennoch betrat er, als die Beiden in der Kirche verschwunden waren, den Friedhof. Hier setzte er sich auf die Mauerbrüstung und spähte die Straße entlang, die nach dem Binderholze führte.

„Jetzt das is doch arg! Net amal in die Kirchen gehen!“ brummte er kopfschüttelnd und ging nun endlich mit raschen Schritten dem Portal zu. Eben noch rechtzeitig erreichte er seinen Platz auf der „Pori“, um den Hochwürdigen zur Predigt auf die Kanzel steigen zu sehen.

Auch der Geistliche schien Jemand in der Kirche zu vermissen; denn mit suchenden Blicken musterte er die Schar der „in Christo Versammelten“. Dann begann er zu sprechen – über das Kapitel von den falschen Propheten, aus deren Fährten, wie er verkündete, Hader und Unfried’ zwischen die Saat des frommen

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