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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Schon früh am Morgen sind die Bewohner des Marmorpalais auf den Beinen. Die Prinzessin Wilhelm frühstückt stets zusammen mit ihrem Gemahl, und wenn diesen sein Dienst als Oberst und Befehlshaber der Garde-Husaren schon in der sechsten Morgenstunde in den Steigbügel zu treten zwingt, so leistet sie ihm auch schon um diese Zeit, als pflichttreue und hingebende Gemahlin, am Frühstückstische Gesellschaft. Ein ceremonielles zweites Frühstück existirt nicht; schon um ein Uhr wird zu Mittag gespeist.

Gegen fünf Uhr Nachmittags wird der Thee genommen und nach einem frühen und frugalen Abendessen begiebt man sich zeitig zur Ruhe. Diese außerordentlich gesunde und besonders der jungen Welt bekömmliche Lebensweise, die von vielen Residenzbewohnern leider schon gänzlich verlernt worden ist, wird hoffentlich nach und nach auch in weiteren Kreisen bahnbrechend wirken; in dem Marmorpalais wird nur dann von ihr abgewichen, wenn unabweisliche Verpflichtungen gegen hohe Gäste oder der unerbittliche militärische Dienst einmal ausnahmsweise dazu zwingen.

An den Nachmittagen werden Promenaden zu Fuß oder im Wagen gemacht; gelegentlich legt auch ein schmuckes, von Matrosen der nahen Matrosenstation am Jungfernsee bemanntes Boot am Fuße der Schloßterrasse an: dann schreitet das prinzliche Paar, nur von einigen Herren und Damen vom Dienste begleitet, über die Steinstufen der Terrassentreppe hinab und nimmt Platz auf den mit Polstern belegten Bootsitzen. Die prinzliche Standarte wird gesetzt; die Ruder der Matrosen tauchen gleichmäßig in die Fluh, und pfeilgeschwind fliegt das Boot über die im Sonnenschein aufglitzernde Seefläche. Durch einen schmalen Kanal unter der Schwanenbrücke hindurch gelangt man auf den weiten Spiegel des Jungfernsees und bei der von Friedrich Wilhelm IV. im italienischen Geschmacke hart am Strande erbauten Kirche von Sakrow vorüber nach der reizend gelegenen Pfaueninsel. Dort wird angelegt, und das prinzliche Paar dringt ein in die Schattengänge dieses lieblichsten aller Eilande, auf dessen fruchtbarem Grunde Baumriesen gedeihen, deren Alter kaum noch zu schätzen ist und unter deren Laubdächern wahrscheinlich noch altwendische Opfer geblutet haben.

Wenn die kleinen Prinzen den hohen Eltern im Wagen nachkommen, so bietet ihnen die auf der Insel erbaute hölzerne Rutschbahn willkommene Gelegenheit zu allerlei Belustigungen. Erst bei sinkender Sonne wird die Rückfahrt angetreten; dann geht ein erquickender Hauch über die leicht gekräuselte Wasserfläche, vom Gestade her weht Rosen- und Jasminduft aus den Glienicker Gärten herüber, und langsam steigt die blasse Scheibe des Mondes herauf. Dann liegt ein Zauber über der stillen Havellandschaft, wie ihn kein anderer Strom des deutschen Landes besitzt.

Prinz Wilhelm ist überhaupt ein Freund des Wassers, zumal des Meeres; er interessirt sich lebhaft für unsere Flotte und nimmt an allen ihren Schicksalen einen so regen und sachverständigen Antheil, daß ihm der Kaiser auch die Uniform des Seebataillons verliehen und ihn so auch äußerlich in nähere Beziehungen zur Marine versetzt hat.

Der Aufenthalt des prinzlichen Paares im Marmorpalais währt gewöhnlich bis tief in den Spätherbst hinein; erst wenn die Stürme gar zu arg zu toben beginnen und den Laubschmuck der prächtigen Bäume des Neuen Gartens unbarmherzig zerzausen und auf die Erde schütteln, siedelt der Prinz nach der Stadt über und läßt seine Standarte auf dem im Lustgarten gelegenen Schlosse aufziehen. Dort bewohnt er das zweite Stockwerk des Mittelbaues und des der Garnisonkirche zugewandten Flügels. Ob er auch im kommenden Winter daselbst residiren wird, ist zweifelhaft; man spricht davon, daß er das Kommando eines Garde-Infanterie-Regimentes übernehmen und seinen Wohnsitz vielleicht nach Berlin verlegen wird. Wohin ihn aber auch der Dienst entführen möge, überall hin wird ihn und die Seinen die Liebe und Verehrung der Potsdamer Einwohnerschaft begleiten, in deren Mitte er seine Honigmonde und die ersten Ehejahre verlebt und das Beispiel des reinsten und glücklichsten deutschen Familienlebens gegeben hat. Gerhard von Amyntor.




Schlafstätten im Walde.

Von Dr. Willrich-Berka (Ilm).

Früher war es an der Tagesordnung, Kranke, welche mit chronischen Lungenleiden behaftet waren, das Zimmer hüten und Arzneien nehmen zu lassen. In neuerer Zeit aber hat der Fortschritt der medicinischen Wissenschaft das gerade Gegentheil in der Behandlung derselben für gut erkannt; statt des sorgsamen Verschließens der Kranken in den Zimmern und statt des Gebrauchs der mehr oder weniger als specifisch gepriesenen Heilmittel tritt die Freiluftkur ein. Allmählich nur konnte sich dieser Wandel vollziehen und keineswegs ist die Methode der Freiluftkur bei Behandlung von chronischen Lungenleiden nach allen Seiten als abgeschlossen und fertig zu betrachten; vielmehr wird dieselbe noch immerfort ausgebildet, mit verwandten Heilmethoden verquickt, verbessert und erweitert. So sollen auch diese Zeilen nur dazu beitragen, die neueste Erweiterung der Freiluftkur zur Kenntniß zu bringen.

Als der Nutzen des kurgemäßen Genusses frischer Luft den Lungenkranken gewährt wurde, hielt man es anfangs für selbstverständlich, daß diese Kur nur am Tage in Anwendung kam; die lange Nacht hindurch aber lag der Kranke in seinem Schlafzimmer, die Fenster verschlossen und verhängt. Wohl wurde die Luft der abgeschlossenen Schlafstube schlecht, wohl erkannten Aerzte diesen Mißstand, aber lange hat es gedauert, bis das starre Vorurtheil der Aerzte und Kranken von der Schädlichkeit der freien Nachtluft ins Wanken gebracht wurde. Nur ganz allmählich versuchte es hier und dort ein nachdenkender Kranker, auch des Nachts ein Fenster im Nebenzimmer zu öffnen und frische Nachtluft aus dem Nebenzimmer durch die nur angelehnte Thür in die Schlafstube zu leiten. Da diese Versuche nicht zum Nachtheil der Kranken ausfielen, wurde man kühner und verordnete, des Nachts die Fenster im Schlafzimmer offen zu lassen. Auch dies that wohl und wurde in Kurorten mit bevorzugten klimatischen Bedingungen schnell zum Gebot. Es wurden an offenen Luftkurstationen und in geschlossenen Kuranstalten Einrichtungen getroffen, daß ein Wechsel der freien Luft und der Schlafstubenluft ununterbrochen die ganze lange Nacht stattfinden konnte.

Auch in Berka, dem Meran Thüringens, ist es seit Jahren üblich, den Brustkranken nicht nur den unausgesetzten kurmäßigen Aufenthalt Tags über im Walde, sondern auch Nachts das Schlafen in Stuben mit geöffneten Fenstern zu empfehlen, und die guten Erfolge des Kuraufenthaltes in Berka sind wohl oft dem strengen Innehalten dieser letzterwähnten Verordnung mit zuzuschreiben. Aber wie nützlich auch diese Art und Weise der Erhaltung guter Luft in Schlafzimmern für Brustkranke immerhin sein mag, so läßt sie doch noch viel zu wünschen übrig. Die in der ausgeathmeten Luft enthaltenen Keime sowie andere vom kranken menschlichen Körper kommende schädliche Ausdünstungen werden durchaus nicht vollständig durch die geöffneten Fenster mit fortgenommen, sondern bleiben zum großen Theil an den Wänden und Geräthen des Schlafzimmers haften, von wo aus dieselben immer von Neuem wieder ihre verderbliche Einwirkung auf den Kranken ausüben.

Dieser Umstand war es, welcher mich bestimmte, für unsere brustkranken Sommergäste zunächst wenigstens während der heißesten Monate Ruhestätten zu erdenken, in welchen dieselben kurgemäß die frische Waldluft Tag und Nacht in gleich vollkommenem Maße genießen können. Bevor aber der Verwirklichung dieses Gedankens näher getreten werden konnte, mußte festgestellt werden, ob der unmittelbare Genuß nächtlicher Waldluft kranken Athmungsorganen auch zuträglich sei. Leicht fand sich eine kleine Schar von brustkranken Herren und Damen, welche auf meinen Wunsch Ende August vorigen Jahres eine Nacht im Nadelhochwald schliefen. Man bediente sich als Lager der hier sehr gebräuchlichen Hängematten, welche zwischen zwei Baumstämmen befestigt werden. Dieser Versuch lieferte weit günstigere Ergebnisse, als ich erwartet hatte. Ich hatte geglaubt, man würde mir berichten, daß man zwar geschlafen habe, daß aber das Unerträgliche der Dauerlage schwer kranker Menschen in einer Hängematte ein unbefangenes Urtheil über die Dienlichkeit eines solchen nächtlichen Aufenthalts im Walde beeinträchtige. Thatsächlich indeß war die kleine kühne Schar von Waldschläfern nur des Lobes voll; alle hatten sie vorzüglich geschlafen. Dem Einen war sein Fieber nicht so lästig erschienen; den Andern hatte der Nachtschweiß nicht geplagt, den Dritten hatte der quälende Husten in dieser Nacht merkwürdiger Weise weniger gerüttelt etc. Alle befanden sich wohl am andern Tage und waren voll Begeisterung über ihr jüngstes Erlebniß. – Und auch mir war es wohl; der Versuch war gelungen! Die ganze moralische Verantwortung für die Folgen, welche aus diesem nächtlichen Aufenthalt im Walde für die fünf Kranken hervorgehen konnten, ruhte doch auf mir. Aber der Gedanke hatte sich bewährt, ich ging nun an die Verwirklichung meiner einmal gefaßten Absicht, Brustkranken kurgemäße Schlafstätten auch für nächtlichen Aufenthalt im Walde während der heißen Sommermonate einzurichten.

Was soll ich erzählen von den vielerlei Schwierigkeiten, welche sich im Verfolg meines Planes hindernd in den Weg stellten? Dieselben sind ja alle überwunden, die ganze Einrichtung ist fertig und seit Ende Juli dieses Jahres im Betrieb.

Der Ort, den ich zum Bau der Schlafstätten auswählte, befindet sich im Harthwalde, welcher in unmittelbarer Nähe über unserem Badestädtchen liegt und seit einer Reihe von Jahren als werthvoller Kurplatz für Brustleidende von Aerzten und Kranken hochgeschätzt wird. Hart am Rande dieses Waldes baute Herr Arthur Petzold, welcher selbst diesem Platz die Kräftigung seiner durch vieljährige Brustleiden geschwächten Gesundheit verdankt, im Jahre 1885 Schloß Rodberg und richtete das Haus zu einer Kurpension ein. Hundert Schritte waldeinwärts über

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