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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Das is aber schon a Bißl z’ viel Freundlichkeit!“ meinte die Dirne mit einem leisen, fast spöttischen Lächeln. „Is das … allweil so der Brauch im Pointnerhof?“

„Was denn anders?“ schmunzelte der Pointner, während er sich an die Seite des Mädchens setzte. „Selig sind, welche die Durstigen tränken und die Hungrigen speisen, sagt der Herr Pfarrer.“

„Aber was sagt denn nachher die Bäuerin zu Deiner christlichen Nächstenlieb’?“

„Gar nix! Die hat der liebe Herrgott selig! Ja – ich bin a Wittiber.“

„So? A Wittiber bist?“ erwiederte die Dirne zögernden Wortes und maß von der Seite die Gestalt des Bauern mit einem wägenden Blick. Dann verzog sie den Mund, und während über ihre schmal gewordenen Lippen ein kurzes Lachen klang – als lache sie über einen Gedanken, der plötzlich in ihr aufgestiegen – drückte sie den Kopf in den Nacken und hob die Schultern in die Höhe.

„Jetzt da schau her!“ staunte der Pointner, als er diese Bewegung des Mädchens gewahrte. „G’rad, als wie wenn’s Eins vom Andern g’lernt hätt’.“

„Was g’lernt?“

„No, weißt, an Maier hab’ ich, Götz heißt er, der macht’s fein g’rad so wie Du – so!“ Dabei suchte er jene Bewegung nachzuahmen, was bei seinem kurzen Halse schwer gelang und possierlich anzusehen war.

„Mein Gott, so werden’s auf der Welt noch mehr Menschen machen!“ meinte die Dirne und griff nach dem Bierglas. Sie klappte mit dem Daumen den Zinndeckel auf, blies den Schaum zurück, nippte und streifte mit der flachen Hand den Deckel wieder zu, ganz in der Weise, wie es die Gewohnheit der Kellnerinnen in den Dorfwirthshäusern ist.

Mit blinzelnden Augen hing der Pointner an ihren Lippen und frug unter Schmunzeln, wie ihr der Trunk munde. Dann war er ihr beim Zerlegen des Fleisches behilflich und bediente sie unter endlosem Zureden und Schwatzen mit überfreundlicher Aufmerksamkeit. Diese ganze Art und Weise des Bauern schien die Dirne entweder nicht zu bemerken oder wie etwas Gewohntes zu dulden. Gleichmüthig aß und trank sie und gab auf die langen, lachenden Reden des Pointners kurze, trockene Antworten, als begänne ihr die Sache langweilig zu werden. Manchmal klang aus ihren Worten ein gar nicht schwer zu verstehender Spott, für den aber das glückliche Selbstbewußtsein des Pointner’s keine Ohren hatte. Als sie einmal mit ihm anstoßen wollte, „auf lange, g’sunde Wittiberzeit“, rannte er davon, um seinen geleerten Steinkrug wieder zu füllen. Und während er dann mit ihr weiter plauderte, trank er häufig und in hastigen Zügen, so daß der sanfte Glanz auf seinen wohlgenährten Backen bald zum hellen Leuchten wurde und die Wirkung des raschen Trinkens nicht nur in seinen sprudelnden Reden sich bekundete.

Nun plötzlich war er ganz untröstlich darüber, daß er die Dirne noch immer nicht um ihren Namen gefragt hätte. „Na, na, wie man auch so ’was vergessen kann! Aber jetzt sag’ mir nur gleich, wie heißt denn, han?“

„Kuni Rauchenberger.“

„Kuni? A schöner Nam’. Kuni, Kuni, das sagt sich schon so g’wiß – da weiß man doch gleich, daß ’was dahinter is. Han, und wo hausen denn Deine Leut’?“

„Aus ’m Oberisarthal bin ich her,“ erwiederte sie, und ein Zug von Schwermuth erschien auf ihrem hübschen Gesichte, „aber – mein Mutterl is lang schon todt!“ Aufseufzend schüttelte sie den Kopf und fügte mit raschen, hart klingenden Worten bei: „Und mein Vater is auch schon verstorben – ja – a Wirth is er g’wesen.“

„O mein Gott! Unser Herrgott soll s’ selig haben – alle zwei!“ so wünschte der Pointner, indem er sich in rührseliger Vertraulichkeit an Kuni’s Schulter lehnte. „Na, na, wie Du mich dauern thust, Du arms Madl, Du! Und jetzt stehst ganz allein in der weiten Welt?“

„Ah na! Ich hab’ schon noch zwei Brüder – und was für Brüder! Der ein’ is in Lenggries – so a Pamperlwirth. Und der ander’, von dem unser Herrgott wissen mag, wo er jetzt g’rad um einander fahrt, der is a Metzger – aber schon mehr a Schinder als wie a Metzger! Das is a ganz a braver – der!“

Dem Pointner war schon das Weinen nahe gewesen; jetzt aber lachte er hell auf. „Sauber! Sauber! Du redst amal schön von Deine Brüder!“

„Sie sind auch darnach!“ klang es hart und schneidend von Kuni’s Lippen. „Die zwei, die haben sich bei mir kein’ gute Nachred’ net verdient – und gar der Metzger!“ Ein tiefer, stockender Athemzug schwellte ihre Brust, und mit hastiger Hand, als würde es ihr plötzlich zu schwül, riß sie das Kopftuch herunter.

Da war dem Pointner schon wieder das Weinen näher als das Lachen. „Geh’, geh’, haben s’ Dich recht schlecht g’halten?“ jammerte er, während er zugleich mit offenem Wohlgefallen zu dem kleinen, rosigen Ohr der Dirne emporblinzelte und zu den dicken, rothbraunen Zöpfen, die über dem weißen, weichen Nacken zu einem straffen Netze verflochten waren. „Na, na, so zwei Teufelsbraten von Brüder! Und so a Schwester haben! Ja – Du – ich wenn fein Dein Bruder g’wesen wär’, ich hätt’ Dich schon anders g’halten – ich schon, ich! Du, da hättst es fein gut g’habt – überhaupt – weißt – auf ’m Pointnerhof, da is fein ’s gute Leben daheim. Ja – g’rad wohl fein laß ich mir’s! Und im nächsten Frühjahr, da übergieb ich mei’m Buben mein’ Hof – und nachher hab’ ich gar kein’ Arbeit nimmer und kein Sorg’ – ja – und nachher laß ich mir’s Leben erst recht schmecken!“

„So? An Buben hast?“ warf Kuni, aus deren Zügen noch die helle Erregung sprach, mit zerstreuten Worten ein. „Und jetzt schon willst übergeben? Geh’, wer wird sich denn so frühzeitig schon auf die linke Seite legen? Bist ja noch so wax bei ’nander – aus Dir lacht ja noch ’s helle Leben!“

„Wahr is, Deandl! Jetzt Du hast amal die richtigen Augen!“ fuhr der Pointner auf und fuchtelte vor Vergnügen mit den Fäusten in der Luft umher. „Und mir g’fallst auch! Weißt ’was G’scheidt’s! Bleibst gleich da bei mir! Und haltst mir mein Haus in Ordnung! Und kochst mir gute Sachen zum essen! Da is nix mehr z’ reden! A ganz a saubers Stüberl kriegst, und Lohn kannst haben, was D’ magst! Ja, da därfst jetzt g’rad verlangen!“

„Ah was! Dummheiten!“ wehrte Kuni und runzelte die Stirn. „Für Dein’ freundliche Bewirthung sag’ ich Dir a schöns Vergeltsgott – und im Uebrigen mach’ ich, daß ich bald weiter komm’. Was thät’ denn ich da heraußen auf dem Nest? Ah na! Ich geh’ nach Reichenhall!“

„Was? Net bleiben willst? Bei mir net bleiben?“ kreischte der Pointner. „Bei mir net bleiben? Oho! Ausg’redt is ausg’redt! Da – da is mein Hand – und jetzt eing’schlagen auf der Stell’!“ Er wartete nicht lange auf den Handschlag; mit allen zehn Fingern haschte er die Rechte der Dirne.

Sie aber entwand ihm die Hand mit den unwilligen Worten: „Geh’ weiter, laß mir mein’ Ruh’!“

Der Pointner zappelte mit den Armen, rollte die Augen, blies die Backen auf und hub zu kollern an: „Madl! Madl! Ich sag’ Dir’s! Ich sag’ –“ Da verstummte er plötzlich und schaute mit halb geärgerten und halb verlegenen Blicken nach dem Thürchen des Straßenzaunes.

(Fortsetzung folgt.)




Im Marmorpalais zu Potsdam.

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Der Reisende, welcher Potsdam besucht, versäumt jetzt selten, durch die Platanenallee im Norden der Stadt dem sogenannten Neuen Garten zuzustreben, um einen neugierigen Blick nach dem in demselben befindlichen Marmorpalais zu werfen. Dieses Palais ist die Sommerresidenz des kaiserlichen Enkels, des Prinzen Wilhelm von Preußen und seiner Familie. Vor nun bald hundert Jahren wurde es von Friedrich Wilhelm II. am Westufer des Heiligen Sees erbaut, und die rothen Backsteinfaçaden mit ihrem weißen Marmorschmuck und den grüngestrichenen Fensterladen bilden noch heute den Hauptanziehungspunkt in dem großen, noch

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