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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Mit blinzelnden Augen schaute er nach der Gasse und brummte: „Das hat man davon, wenn man so Sakra-Deandln recht freundlich halt’t! Da rennen s’ davon, lassen den Bauern in der Einschichten dasitzen, und bei keiner is a Heimkommen zum erwarten! Ich sag ’s, g’rad plagen muß sich der Mensch allweil für andere Leut’!“

Und mit verdrießlichen Blicken spähte er über Hof und Gemüsegarten hinweg den bergwärts sich erstreckenden Wiesen zu, ob nicht etwa der Götz von dorther nach Hause käme.

Da machte er große Augen. Hoch oben in der Wiese hatte er eine weibliche Gestalt gewahrt, die sich dem Gehöfte raschen Schrittes näherte. Sie mußte aus dem Walde gekommen sein und mochte sich wohl verirrt haben. Wenigstens schloß der Pointner so, als die Person inmitten der Wiese eine Weile stehen blieb, ringsum Ausschau hielt, dann wieder vorwärts schritt und mit geschickter Behendigkeit den Stacketenzaun überstieg, der den Gemüsegarten von den steilen Wiesen trennte.

„Hoho, die geht aber amal schön g’radaus!“ lachte der Bauer. „Was is denn jetzt das für Eine? A Hiesige is das net!“

Er stützte die Hände auf die Kniee und schaute neugierigen Blickes der Fremden entgegen, welche leichten Ganges zwischen den Gartenbeeten einherschritt und jetzt den Hof betrat, indeß sie in der einen Hand ein weißes Bündel schlenkerte und mit der anderen das geblumte Kopftuch tiefer in die Stirne zupfte. Es war eine mittelgroße Gestalt mit starken Formen, und dennoch von gefälligem und geschmeidigem Wuchse. Die üppige Büste umschloß ein schwarzes, straff anliegendes Tuchleibchen von städtischem Schnitte. Aus den engen Aermeln spitzten die schmalen Säume weißer Manschetten hervor. Ueber die runden Hüften schwankte in schmalen Falten ein schwarz und weiß gestreiftes Röckchen, das kaum bis zu den Knöcheln reichte. Die ganze Gestalt machte den Eindruck bewußter Sauberkeit, wenngleich die hohen, mit baumelnden Quästchen besetzten Seidenstiefelchen in üblem Zustand sich befanden.

Der Pointner legte den Kopf auf die Seite und spitzte, nach einwärts pfeifend, die Lippen. Und völlig gingen ihm die Backen aus einander, als er erst das Gesicht der Fremden besser gewahren konnte, dieses runde, weiße Gesicht mit den lebhaften schwarzen Augen, mit den molligen Grübchen im Kinn und auf den leicht gerötheten Wangen, auf welchen einige Sommersprossen nur vorhanden schienen, um das reine Weiß und Roth der übrigen Haut noch mehr zu heben.

„Ja was is denn jetzt das?“ rief der Pointner mit Schmunzeln der Näherkommenden entgegen. „Was krieg’ denn ich jetzt da auf amal für an bildsaubern B’such – so ganz von hinterucks? Wo kommst denn her, Madl? Wer bist denn?“

„No, jetzt bin ich schon z’frieden,“ lachte die Fremde und zeigte, indeß sie vor dem Bauer stehen blieb, zwischen den vollen rothen Lippen die schneeweißen Zähne. „Ich hab’ mich schon auf a Donnerwetter g’faßt g’macht; denn so viel kenn’ ich schon, daß a Bauer wenig Freud’ dran hat, wenn man ihm so g’rad ’reinstapft über d’ Wiesen.“

„Macht nix, Madl, macht nix! Kannst ja nix dafür – denn wie ich mir denk’, wirst Dich verirrt haben?“

„Ja, und wie! G’wiß a drei Stund’ bin ich da droben im Holz umeinander ’kraxelt. Und wo bin ich denn eigentlich jetzt?“

Der Pointner nannte den Namen des Dorfes. „Und im B’sondern bist im Pointnerhof, und ich bin der Bauer.“

Mit musternden Blicken überflog die Fremde das Haus und nickte dann unter leichtem Gähnen. „A schöner Hof, der Pointnerhof! G’fallt mir – ja!“

„So, jetzt is recht! Und vom Bauern sagst gleich gar nix! Der g’fallt Dir ’leicht net a Bißl, han?“

Lachend zuckte die Fremde mit den Schultern und schaute dem Pointner aus schief gehaltenem Kopfe mit einem blinzelnden Blick in die Aeuglein.

„Das kannst ja net wissen – denn – so g’rad ’nein ins G’sicht kann ich Dir d’ Schönheiten doch net sagen!“

„Allweil zu! Mußt kein’ Schenirer net haben!“ lachte der Pointner, daß ihm die Thränen auf die runden Backen sprangen. „Ich nimm mir ja auch kein Blattl vor’n Schnabel; ah na, schau, ich sag’ Dir’s gleich ins G’sicht, wie Du mir g’fallst, Du teufelmaßig saubers Madl Du!“

Auch die Fremde lachte. „Bist a lustiger Bauer, das muß ich sagen! Aber – ’s Lachen hilft mir net weiter. Han, das wirst mir schon verrathen können, ob im Ort a Wirthshaus is, wo man über Nacht a Bißl passabel aufg’hoben is?“

„No freilich is a Wirthshaus da! Aber das giebt’s fein net, daß man sich durch ’n Pointnerhof durchtummelt wie a Mäuserl durch d’ offene Stubenthür. So a G’sellschaft krieg’ ich ja gleich net wieder! Da setz’ Dich a Bißl her zu mir!“ Und mit beiden Händen zog der Pointner die Fremde zu sich auf die Hausbank nieder. „So, da bleibst jetzt sitzen, bis eine von meine Deandln heimkommt; die kann Dich nachher führen, daß Dich net wieder verirrst!“

„Meinetwegen! Is auch recht! Ich kann ’s Sitzen jetzt schon verleiden, der Marsch, den ich g’macht hab’, liegt mir ordentlich in die Füß’.“

„Wo kommst denn eigentlich her?“

„Von Rosenheim.“

„Was? Das is ja a Weg von a paar Tag!“

„Ich bin auch schon drei Tag’ unterwegs. Am Mittwoch bin ich aus mei’m Dienst ausg’standen, und da hab’ ich mir ’denkt, ich möcht’ auch amal a Sommerreis’ machen. Und weil ich nach Reichenhall ’nüber hätt’ mögen, wo ich an neuen Dienst suchen will, hab’ ich meine Sachen mit der Eisenbahn vorausg’schickt zum Rösselwirth – und nachher bin ich drauf los marschirt. No, und bis heut’ Mittags is Alles auch ganz gut ’gangen. Aber da droben durchs Holz durch hab’ ich den richtigen Weg verloren – ja – g’rad umeinanderschliefen hab’ ich müssen. Ich bin nur froh, daß ich mein G’wandl ganz davon’bracht hab’ – aber meine armen Schucherln hab’ ich mir sauber zug’richt’.“

Leicht hob sie dabei die Füße und zog das Röckchen ein wenig in die Höhe.

„Jesses, jesses! Ah, ah, ah, ah!“ jammerte der Pointner, wobei der vergnügliche Ausdruck seines Gesichtes mit dem kläglichen Ton seiner Worte wenig übereinstimmen wollte. Und um den Schaden, den die armen „Schucherln“ genommen, besser besehen zu können, beugte er sich vornüber und suchte die bauschigen, seinen Blicken hinderlichen Falten des Röckchens glatt zu drücken. Aber hastig fuhr die Hand der Fremden mit klatschendem Schlag auf seine Finger nieder.

„Jetzt den schau an! Wart’, Du!“ zürnte sie und streifte das Gesicht des Bauern mit einem halb belustigten, halb geringschätzenden Blicke. Auch in der Art und Weise, in der sie den Bauer mit dem Ellbogen von ihrer Seite drängte, verrieth sich kein allzu ernstlicher Unwille; das sah sich eher an wie eine gewohnheitsmäßige Bewegung.

„Jeh! Du bist aber a Schneidige!“ lachte der Pointner, indeß er sich die Finger rieb. „G’hörst ’leicht zu die Igel, han, daß man gar net ankommen därf an Dich. Aber –“ und da tappte er schon wieder nach dem Arm der Dirne, die sich erhoben hatte und nach ihrem Bündel griff, „was is denn? Wirst mir doch am End’ net jetzt schon ausreißen wollen?“

„Ja. Ich mein’, ich find’ ’s Wirthshaus allein auch. Das kannst Dir doch denken, daß Ein’ auf so an Marsch hin der Hunger ankommt.“

„Was? Hungern thut’s Dich? Ja, Du arms Madl! Weßwegen hast denn das net gleich g’sagt! Essen und Trinken kriegst fein im Pointnerhof schon besser als wie im Wirthshaus. Ja, wart’ a Bißl, da is g’holfen auf der Stell’!“

Und während ihm die Fremde mit lächelnder Verwunderung nachblickte, trippelte er davon und verschwand im Hause. Bald kam er wieder zum Vorschein und stellte vor die Dirne ein kleines Tischchen hin, welches von einem weißen, mit grober Kreuzsticharbeit gezierten Linnen bedeckt war. Schwatzend eilte er wieder davon, kehrte zurück, verschwand aufs Neue, und da sah nun die Dirne vor sich auf dem Tische schäumendes Bier in einem geschliffenen Deckelglase, einen frischen Brotlaib und zwei zinnerne Teller mit Rauchfleisch und Käse. Zuletzt brachte der Pointner ein silberbeschlagenes Besteck, kratzte mit der Gabel die angeklebten Brotreste von der Messerklinge, griff nach dem Brotlaib, machte mit der Messerspitze das Kreuz darüber, schnitt ihn zur Hälfte durch und reichte ihn der Dirne hin.

„So, Madl, jetzt iß und laß Dir’s schmecken!“

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