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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

plötzlich aus, „ich kann nicht lügen! Schrecklich ist es, daß er kommt, der finstere Mann mit dem bösen Gesicht … Emil, Emil,“ sie warf sich an des Bruders Hals und schluchzte laut, „nun ist unser Glück hier zu Ende. Er kommt, um sich an Papas Ruin zu weiden, um Dich uns zu entreißen –“ sie konnte vor Schmerz nicht weiter sprechen.

„Beruhige Dich, mein Herz,“ sagte er und strich ihr die Haare aus der Stirn, „so ohne Weiteres nimmt man mich nicht fort. Du täuschest Dich übrigens auch – einer Niedrigkeit ist Johann Felsing nicht fähig. Sein Kommen hierher muß einen besondern Grund haben, aber gewiß nicht den, unsern Vater zu demüthigen. Er haßte ihn – ja, aber nur so lange dieser glücklich war … und mich liebt er und wird nichts verlangen, was mich unglücklich machen müßte. Warten wir es also ab – sage vorerst den Eltern nichts, hörst Du? Und vor Allem trockne Deine Augen, daß sie hell aussehen, wenn Dein Gebieter kommt. Er kann nicht mehr lange ausbleiben, denkst Du auch daran, was er für einen Riesenappetit mitbringen wird?“

Gabriele lächelte unter Thränen.

„Ach ja,“ sagte sie, „Richard – und das Frühstück! Gut, daß Du mich daran erinnerst!“

Damit war sie rasch davon geeilt und hatte Emil allein gelassen, welcher nun den Brief seines Pflegevaters wieder hervorzog und aufs Neue las. Es waren kurze Zeilen, ohne jede Angabe des Grundes, der ihn herführe, und Emil’s Stirn verdüsterte sich, während er sie wiederholt überlas; es befiel ihn trotz aller gegen Gabriele gezeigten Zuversicht eine seltsame, stets wachsende Unruhe.

Was wollte sein Pflegevater hier?

Ehe es ihm noch möglich war, seine Gedanken so weit zu sammeln, um darüber eine Vermuthung zu gewinnen, sah er einen Herrn im Reise-Anzug, von dem Gärtner geführt, den Weg zur Terrasse heraufkommen und erkannte im nächsten Augenblick den Konsul, welcher langsam die Verandatreppe heraufstieg. Emil eilte ihm entgegen.

„Vater!“ rief er, ihn herzlich umarmend. „Welch freudige Ueberraschung! Wie ist es möglich, daß Du schon hier bist? Eben erst erhielt ich Deinen Brief.“

„Ich nahm in Genua einen Wagen und fuhr die Riviera entlang ohne Unterbrechung hierher,“ sagte Felsing.

„Und, nicht wahr, der Weg ist bezaubernd schön?“

„Ich habe wenig davon gesehen, Wasser und Berge sind für mich kein Grund, in Entzücken zu gerathen, und löschen mir keine schlimmen Erinnerungen aus. Das habt Ihr andern Enthusiasten besser!“

„Du fuhrst allein?“ suchte Emil abzulenken.

„Allein, wie ich überall bin, seit Du mich verlassen hast. Ich wandere wie Ahasver, vor einer Woche war ich in Paris, vor zweien in London; es ist mir keine Erinnerung davon geblieben. Der Todte im Grab ist nicht einsamer, als ich es in dieser Welt bin, in der mir ein Sohn lebt, den ich mit Sorge und Liebe großgezogen habe!“

„Mein Vater!“ erwiederte Emil lebhaft. „Du sagst das in einem Tone des Vorwurfs, der mir weh thut! Du kennst doch die Pflichten, die mich hierher führten. Und Du glaubst nicht, wie glücklich es mich macht, daß Du endlich den Bann gebrochen, daß Du nun doch zu uns kommst! Ich will nur rasch Gabriele rufen und nach Richard senden.“

„Nein, laß das!“ wehrte der Konsul. „Ich komme zu Dir, Emil, nicht zu Jenen!“

„Zu mir nur? Nicht zu den Meinen?“

„Nein, nicht zu den ,Deinen‘,“ fuhr Felsing fort, „nicht zu dem Manne mit dem liebenswürdigen Lügengesicht, der die Gabe hat, sich in alle Herzen zu schmeicheln und mit seinen Verbrechen straflos zu bleiben, wo die Unschuldigen zu Grunde gehen. Ich kann ihn nicht sehen, den unersättlichen Egoisten, der nun auch mein Letztes an sich reißt, wie er mir alles Andere im Leben genommen hat. Es giebt keine Gerechtigkeit dort oben, sonst müßte es anders stehen mit mir und mit ihm!“

„Es steht mit ihm nicht so, wie Du glaubst,“ erwiederte Emil kopfschüttelnd, „er ist wahrlich nicht straflos geblieben. Und – er ist mein Vater, vergiß das nicht!“

„Dein Vater! Ja, daß Gott erbarm, das ist er, aber der Wolf im Wald ist seinen Jungen ein besserer Vater, als er Dir gewesen ist. Gewissenlos hat er Dich Deinem Schicksal überlassen! Doch nein, nicht etwa nur Deinem Schicksal überlassen – hinausgestoßen, feindlich und grausam hinausgestoßen hat er Dich, ohne auch nur einen Augenblick zu fühlen, was der roheste Tagelöhner für sein Kind fühlt!“

„Du sagst es,“ erwiederte Emil, „und ich muß annehmen, daß Du es glaubst. Urtheilen darüber kann ich erst, wenn Du mir Alles erzählst, um was ich Dich bis jetzt umsonst gebeten habe. Aber das kann ich schon heute sagen: zur Hälfte mindestens mußt Du Dich täuschen. Es mögen verhängnißvolle Irrthümer und Mißverständnisse, leidenschaftliches Handeln mit im Spiele gewesen sein – eine Gemeinheit aber, eine Rohheit hat Graf Hochberg nicht begangen, das ist meine unumstößliche Ueberzeugung. Müßte ich daran irre werden, so wäre mein einziger Wunsch, Du hättest mir kein Wort von diesem unglückseligen Verhältniß gesagt.“

„Was gäbe ich darum, wenn ich es nicht gethan hätte!“ fuhr Felsing heftig auf und schlug sich gegen die Stirn. „Nie hat ein Mensch eine rasendere Thorheit begangen! Du ahntest nichts, wärst ruhig mit mir wieder aus jenem Hause gegangen und ich Unsinniger mußte selbst das Wort sprechen, durch das ich meinen Sohn verlor! Es hat mich seither beinahe den Verstand gekostet!“

Emil faßte nach seiner geballten Faust und löste sanft und freundlich die Finger.

„Ich bin Dir nicht verloren, Vater,“ sagte er. „Könntest Du Dich doch entschließen. die furchtbare Last von Groll und Haß von Deinem Herzen herunterzuwerfen, wie glücklich würde ich sein! Wenn es mir gelänge, Euch zu versöhnen –“

„Nimmermehr!“ schrie Felsing wild. „Du mußt wählen zwischen mir und ihm. Die rechte Hand wollte ich lieber verlieren, als sie ihm zum Frieden reichen, dem Elenden, der mein ganzes Lebensglück vernichtet hat!“

„Weißt Du auch,“ sagte Emil und sah dabei fest in Felsing’s drohende Augen, „daß ich mich manchmal frage, was wohl größer war, sein Unrecht gegen Dich, oder Dein wüthender unmenschlicher Haß, Deine grausame Rachsucht?“

Der Konsul schob mit einem Ruck den Sessel zurück und fuhr in die Höhe.

„So!“ sagte er feindselig, „sind wir bereits so weit? Du bemitleidest ihn und verdammst mich?!“

„Ich verdamme Niemanden,“ antwortete Emil ernsthaft. „Aber Mitleid, ja, das fühle ich für den Unglücklichen, der schwer büßt, was er gesündigt hat. Und Du selbst hast mich an seine Seite gedrängt, indem Du ihn so elend machtest. Er ist mein Vater, ist unglücklich und tief gebeugt – ich kann und darf ihn nicht verlassen!“

„Emil!“ keuchte Felsing in ungeheuerster Aufregung, „ist das – ist das Dein letztes Wort? Du wolltest wirklich – auch Du – mich ihm opfern?“ Er wandte sich ab. „Menschen, Menschen! …“ brach es in höchster Bitterkeit aus seiner Brust heraus.

Aber Emil war gleichfalls mit blitzenden Augen in die Höhe gesprungen.

„Und warum muß es denn Dein letztes Wort sein,“ rief er hocherregt, „daß Du nicht verzeihen kannst? Wer ist der Härtere von uns – Du, mit Deinem starren unbarmherzigen Haß, der Du mir verbieten willst, meinen Vater zu kennen, oder ich, der ich weiter nichts verlange, als Euch Beide lieben zu dürfen, Euch versöhnt zu sehen?“

„Emil,“ sagte Felsing, tief aufathmend, mit ungeheurer Ueberwindung, „Du weißt nicht, was Du verlangst. So wenig wie ich heute mein vergangenes Leben auslöschen und für eine Thorheit erklären kann, so wenig kann ich mich mit diesem Mann versöhnen. Ich kann nicht, hörst Du?! Hier innen“ – er schlug auf seine Brust, „ist Alles kalt und ausgebrannt; an der Neigung für Dich allein spürte ich, daß ich ein Herz hatte wie andere Menschen. Das ist nun auch vorbei, ich habe elend Bankerott gemacht damit, es bleibt mir nur übrig, es wegzuwerfen und mit Füßen darauf zu treten. Und setzt will ich werden, was sie mich bis jetzt fälschlich nannten: herz- und gefühllos – vielleicht lebt es sich viel angenehmer so! Aber wer jetzt meinen Weg kreuzt, der mag sich hüten! – Und nun lebe wohl, ich gehe, da ich hier nichts mehr zu schaffen habe und Du mir abtrünnig geworden bist. Wir sehen uns nicht wieder!“

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