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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„O mein! Du hast leicht reden! Du hast Dein’ Heimath, Dein Haus und Dein’ Vater! Du bist der Pointner-Karli und ich – ich bin ’s Bygotter-Deandl!“

„Aber na! Jetzt so ’was! Wie magst denn so an Unterschied machen! Ein Mensch is so viel wie der ander’! Was einer is und hat, das macht kein’ Unterschied! Weißt, auf ’s Einwendige kommt’s an! Ja – so denk’ ich! Und das wird auch noch amal aufkommen, daß ich so denk’!“ Dabei zog der Bursche die Brauen hoch und nickte dem Mädchen, das in scheuem Staunen zu ihm aufblickte, mit anzüglicher Wichtigkeit zu. „Ich bin fein kein Solcher net, der meint, wo a Geldhaufen is, muß noch an anderer dazukommen! Und so denkt auch mein Vater jetzt – denn der hat’s an ihm selber erfahren, wie ei’m ’s Leben ungut wird dabei, wenn alle Tag’ zum hören kriegst, wie viel Geld als Dir der Pfarrer ins Haus kopuliert hat. Wie oft schon hat der Vater zu mir g’sagt: Bua, schau net auf’s Sach’, schau auf’s G’müth! Und so will ich’s auch halten! Ja – ich nimm’ mir amal eine, die mir g’fallt und die mich gern hat!“ Jenes anzüglich wichtige Nicken verstärkte sich, und enger drückte sich Karli’s Ellbogen an Sanni’s Arm. „Und – wer weiß – ’leicht könnt’ ich ja dieselbige schon g’funden haben, die mir g’fallt und –“ Karli verstummte und schaute mit verdrossenen Augen der Mündung des Pfades zu, der vom Dorfe herauf führte. „Na! Jetzt da hört sich aber doch – – wie verirrt sich denn der auf amal daher?“

Die unmuthigen Worte galten einem etwa fünfundvierzigjährigen Manne, der auf der Plattform erschien, eine gedrungene, sehnige Gestalt mit ruhigen, gemessenen Bewegungen. Das ziemlich abgetragene Gewand verrieth den Bauernknecht. Kein silberner Knopf, kein Schmuck irgend welcher Art war an der Tracht des Mannes wahrzunehmen, die Pfeife, die er zwischen den Zähnen hielt, trug einen deckellosen, unbemalten Porcellankopf; keine Schnur, keine Feder zierte den grobfilzigen Hut, unter dessen Krempe die frühergrauten Haare in dichten Büscheln hervorquollen. Die Ohren verschwanden hinter einem kurzen Backenbarte, der wie erstarrte Schaumflocken an den faltigen Wangen klebte. Kinn, Hals und Oberlippe waren glatt rasirt. Zahllose Fältchen reihten sich strahlenförmig um den beinahe farblosen Mund und um die Augen, welche dunkel, ernst und ruhig aus diesem verwitterten Gesichte schauten.

Als der Ankömmling die Beiden gewahrte, die unter der Linde saßen, flog es über sein Gesicht wie ein leises Blinzeln und Lächeln; er nahm die Pfeife aus dem Munde, duckte auf eine ganz eigene Art den Kopf in den Nacken, wozu er die Schultern ein wenig in die Höhe zog, und näherte sich gemächlichen Schrittes mit den Worten:

„No also, ich hab’ mir ja gleich ’denkt, wo ich hingehen muß.“

„Ja was is denn? Was willst denn, Götz’?“ fuhr Karli mit rascher Frage auf, während Sanni erröthend von der Seite des Burschen wegrückte. „Is ’leicht bei uns daheim ’was aus’kommen?“

„Bei uns daheim? Ah na! Aber d’ Sanni sucht man im ganzen Ort.“

Erschrocken sprang das Mädchen von der Bank und begann mit zitternden Händen ihr Strickzeug zusammen zu wickeln. „O mein Gott, ja weßwegen denn? Was hat’s denn ’geben?“

„Aber geh’, da mußt Dich jetzt gar net so aus anander bringen lassen,“ erwiederte der Knecht mit ruhigen Worten; doch wollte das leise Zwinkern seiner Augen und das seltsame Zucken der Mundwinkel mit der Ruhe seiner Worte nicht übereinstimmen. „Ah na, ’was Schreckhafts is da ja g’wiß net dabei. Uebrigens weiß ich selber net g’nau, warum s’ Dich eigentlich suchen. Aber was d’ Leut’ so g’redt haben, kommt’s mir vor, als hätt’ Dein Vater wieder einmal ’was von ihm hören lassen.“

Sanni erblaßte; und unwillkürlich kreuzten sich ihre Blicke mit denen Karli’s, ehe sie mit stammelnden Worten frug: „Is aber auch wahr? Thust mich net spotten? Han? Thust mich net spotten?“

„Spotten? Ja weßwegen denn sollt’ ich Dich spotten? Du thust ja g’rad, als ob ich Dir weiß Gott was g’sagt hätt’ – als ob ich Dir g’sagt hätt’: Dein Vater selber wär’ ’kommen! Uebrigens – ’was G’wisses weiß ich ja net! Wie d’ Leut g’redt haben, hat man so und so denken können. Jetzt weißt ’was – am besten is, Du gehst heim und schaust amal selber nach, ob’s denn auch g’wiß wahr is, daß Dein Vater ’kommen is.“

Mit starren, weit offenen Augen hing Sanni an den Lippen des Knechtes. „Jesus Maria! Jesus!“ löste es sich endlich mit Stottern und Schluchzen von ihrem bleichen Munde; mit zitternden Händen raffte sie Hut und Sonnenschirm auf, und ehe sich Karli von der Verblüffung erholen konnte, die ihn bei den letzten Worten des Knechtes überkommen, hatte sie den Korbwagen in Bewegung gesetzt und verschwand mit ihm hinter der Senkung des dem Dorfe zuführenden Pfades.

„Sanni! Sannerl!“ fuhr Karli auf; aber das Mädchen hatte schon einen zu weiten Vorsprung gewonnen und hörte ihn nicht mehr.

„Karli! Laß das Deandl allein! Was hast denn davon, wann mit ihr laufst? Ihr gehst im Weg um, und Dir kann’s nix nutzen.“

„Daß Du s’ aber auch g’rad daheroben hast finden müssen!“

„Mein, a Stund’ kann’s her sein, da hab’ ich Dich über d’ Felder daherspazieren sehen –“

„A Zufall! A ganzer Zufall!“

„Natürlich – a Zufall!“ lächelte Götz. „Geh weiter! Wirst Dich doch vor mir net hinter d’ Latten stellen wollen? In die zehn Jahr’, wo ich auf Dei’m Vatern sei’m Hof bin, hab’ ich Dich ausg’lernt. Hab’ ja schier selber aus Dir g’macht, was bist. Und im Uebrigen – ’was wär’ denn da dabei, daß net sagen därfest, wie ’s steht. D’ Sanni g’fallt mir selber. Das giebt amal a Pointnerbäuerin, wie s’ Dir Dein bester Freund net richtiger wünschen kann. Ehnder möcht’ ich Dich schelten, daß Dich net besser ’tummelt hast. Denn was Dir z’erst ganz leicht worden wär’, könnt’ Dir von heut’ an a Bißl schwerer werden.“

„Aber is denn auch wahr? Ich will’s ja schier net glauben! Is er denn wirklich ’kommen?“

„No freilich! Ich hab’ ihn ja selber g’sehen – aber ich hab’s doch dem Deandl net so g’rad ’raus sagen können!“

„Na, was so ei’m Menschen jetzt auf amal einfallt! Daherz’kommen! Meinetwegen hätt’ er lang bleiben können, wo er g’wesen is.“

„Er hat auch die Stund’, seit er da is, ’s ganze Ort schon rebellisch g’macht. ‚Der Bygotter, der Bygotter, Jesses, der Bygotter is wieder da!‘ so kannst es schreien hören Straß’ auf und Straß’ ab. Und die Leut’, wo ihn früher ’kennt haben, können sich net g’nug verwundern über sein Ausschauen. No, ich für mein’ Theil hab’ ihn nie net ’kennt! Aber wie er jetzt ausschaut, g’fallt er mir gar net b’sonders. Er hat so ganz ’was G’spaßigs in die Augen – und –“

„Was soll denn das heißen?“ frug Karli, mit heller Unruhe in Worten und Blicken. „Han? Was willst denn da damit sagen?“

„Ja mein, sagen laßt sich so ’was schwer, so was kann man bloß sehen! Aber denken thu ich mir schier: das arme Deandl wird’s bei ihm net gar zum besten haben – und Dein’ Liebssach’ könnt’ a harbe Seiten kriegen. Viel b’sondere Reichthümer muß er net mit’bracht haben aus Amerika. Aber viel b’sondere Frömmigkeit! Ja – a ganz a b’sondere Frömmigkeit! Reden wann ihn hörst, da meinst ja g’rad, es redt a Jud’ vom alten Testament. Aber jeh – da schau –“ und mit der Pfeifenspitze deutete Götz durch die Bäume gegen den westlichen Himmel, „es zieht ja schon völlig schwarz über d’ Leithen ’rein. Das giebt noch ’was, heut’ auf’n Abend – was Ordentlichs! Geh’, schaun wir, daß wir heimkommen. Wann so ’was losgeht, is mir’s lieber unter Dach und Fach’.“

Mit nickendem Kopfe schritt der Knecht dem sandigen Pfade zu, und Karli folgte ihm schweigend, die unmuthigen Blicke nachdenklich zur Erde gesenkt.


(Fortsetzung folgt.)




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