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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

der treue Freund, die Stütze ihres unglücklichen Mannes, Prati ein Dieb! – Es erschien unglaublich, und doch war es so. Der Unglückliche! – Aber gleich darauf hatten die berechtigten Gefühle der Gattin die Oberhand gewonnen. Prati also war an dem Unglück ihres geliebten Georg schuld. – Der Elende! In heller Entrüstung eilte sie nach ihrem Hause zurück, dem Schmerz um einen Unwürdigen, unter dem Büchner litt, Einhalt zu thun. Sie vergaß alle Rücksichten, die sie seit ihrer Verheirathung gewöhnt war auf ihres Mannes Zustand zu nehmen.

„Georg!“ rief sie ihm entgegen, sobald sie ihn erblickte, „der Dieb ist entdeckt.“

Er sah sie erstaunt an.

„Prati, – ja Prati ist der Dieb!“

„Allmächtiger Gott!“ sagte Büchner leise und sank auf den Sessel zurück, von dem er sich beim Eintritt seiner Frau erhoben hatte.

Diese, ohne die Niedergeschlagenheit ihres Mannes zu beachten, vielleicht ohne sie zu bemerken, erzählte in fliegender Hast Alles, was sie soeben von Frau Onslow erfahren hatte. Büchner hörte stumm zu. Von Zeit zu Zeit schüttelte er das Haupt.

„Der Arme!“ sagte er, als Frau Edith geendet hatte. Und unwillkürlich die Worte wiederholend, die Prati in seiner Erzählung über das Schicksal der Brüder Joseph und Anselm gebraucht hatte, fügte er hinzu: „Was muß er gelitten haben!“

„Der Arme?“ rief Frau Edith entrüstet. „Der Elende, der Heuchler, der Dich und mich unglücklich gemacht hat!“

„Er hat dafür schwer gebüßt.“

Edith war einige Sekunden sprachlos. „Für diese Art von Edelmuth,“ brachte sie gereizt hervor, „fehlt mir in der That das Verständniß.“

„Ja“ sagte Büchner, „ich fürchte, wir werden uns darüber nicht verständigen. Du hast vollkommen Recht.“

„Aber bist Du denn nicht froh – wäre es auch nur um meinetwillen, – daß Du nun in Aller Augen wieder makellos dastehst?“

„Ja, ich freue mich in der That … Deinetwegen. Mir ist es gleichgültig – ich bin fertig.“

„Georg, versündige Dich nicht.“

„Ich bin fertig, fertig, fertig!“ wiederholte er und sah sie mit weit geöffneten Augen befremdlich an. Er preßte die linke Hand auf das Herz und hob und senkte sie wieder in schnellen, harten Schlägen: „Ach, Edith, wenn Du wüßtest, wie sie mich Alle gequält haben!“

„Alle? O Georg!“

„Nein, Du nicht, Du warst treu – Du – und Prati …“

„Nenne mich nicht mit dem Nichtswürdigen!“

„Du hast Recht, verzeihe mir!“

Er fühlte sich gänzlich vereinsamt. Es war dunkel geworden. – „Ich will etwas an die freie Luft gehen,“ sagte er sanft. Edith sah ihm kopfschüttelnd nach. – Sie zürnte ihm wegen seiner Schwäche für Prati. –

Während der nächsten Tage wurde dem langen Holländer das Geld zurückgegeben, das er auf dem amerikanischen Konsulat vor etwa drei Jahren niedergelegt hatte, „zur freien Verfügung der Herren Rawlston & Co., bis zu dem Tage, an dem die abhanden gekommenen zehntausend Dollars wieder in deren Besitz gelangt sein würden.“ – Diese Summe sollte später aus dem Nachlaß Prati’s gedeckt werden. Bei der Prüfung jener Hinterlassenschaft hatte sich übrigens herausgestellt, daß Prati’s Vermögen in den letzten Jahren nicht unerhebliche Einbuße erlitten. Von den glänzenden Geschäften, über die er Büchner Abrechnungen geliefert und von denen er angegeben hatte, sie seien durch die Vermittlung von Rawlston & Co. ausgeführt worden, war weder in Prati’s noch in Rawlston’s Büchern eine Spur zu entdecken. Die ersteren erschienen übrigens ohne besondere Bedeutung, denn seit zwei und einem halben Jahre waren in denselben nur noch wenige Eintragungen gemacht worden. In einem Notizbuche, das in Prati’s Pulte vorgefunden wurde, entdeckte man den flüchtigen Bleistiftentwurf eines Kontokorrents. Dasselbe hatte keine Unterschrift. Auf der rechten Seite stand 10000 und zweimal die Zahl 1200. Die andere Seite war beinah vollgeschrieben. Zuerst las man die Ziffer 2000, dann folgten verschiedene größere und kleinere Beträge, deren Gesammtsumme nahe an 12400 ausmachte. Rawlston schloß nach einigem Nachdenken, daß er das Konto Büchner’s bei Prati vor sich habe. Die Zahl 10000 bezeichnete augenscheinlich die gestohlene Summe; 2400 bildeten zweijährige Zinsen auf jenen Betrag zu dem, wenn auch hohen, doch in Shanghai nicht ungebräuchlichen Satze von 12% – Die Ziffer 2000 entsprach dem Darlehn, das Prati seinem Freunde gemacht hatte, um die fehlenden zehntausend Dollars an Rawlston & Co. zurückerstatten zu können; die übrigen Summen endlich bezeichneten aller Wahrscheinlichkeit nach verschiedene Beträge, die Prati im Verlauf von zwei Jahren an Büchner geborgt oder demselben unter dem Vorwande ausgezahlt hatte, daß sie den Nutzen geschäftlicher Unternehmungen darstellten, die für gemeinschaftliche Rechnung ausgeführt waren. – Der Italiener erschien demnach als ein eigenthümliches Gemisch von Ehrlichkeit und Spitzbüberei. Es lag kein Anzeichen dafür vor, daß er über den von ihm verübten Diebstahl Gewissensbisse empfunden hatte; den von seinem Freunde erlittenen Geldverlust hatte er dagegen reichlich wieder getilgt. Frau Onslow verstand nun erst die Geschichte der beiden Brüder, die Prati ihr einmal erzählt hatte. – „Fallen ist traurig, ist jammervoll – aber es ist verzeihlich, Liegenbleiben ist schlimm,“ hatte er gesagt, um einen Dieb zu entschuldigen. Er hatte große Anstrengungen gemacht, sich wieder emporzurichten und im tiefsten Innern ihres guten Herzens bemitleidete Frau Onslow den reuigen Sünder. Es war ihr jedoch nicht möglich, ihm zu verzeihen. „Ein Dieb ist ein Dieb – etwas Häßliches!“ und sie hörte ruhig mit an, wenn der Italiener in ihrer Umgebung allgemein verdammt wurde.

Edith hatte es nicht ohne Zagen unternommen, Büchner auf den Besuch der Abgesandten der Kaufmannschaft vorzubereiten. Sie fürchtete, seine Menschenscheu werde ihren Wünschen Widerstand leisten. Sie gebrauchte viele Worte, um Büchner mit dem Vorhaben seiner Mitbürger – ohne des Ehrengeschenks zu erwähnen – bekannt zu machen, dann schloß sie mit einer Bitte: „Thu’ es mir zu Liebe und sei recht freundlich mit den Herren! Sie sind mir beinah ganz fremd geworden, aber es wird mir leicht werden, wieder unbefangen mit ihnen zusammenzutreffen, wenn ich einmal gesehen habe, wie hoch Du in ihrer Achtung stehst.“

„Ich bin es Dir schuldig und thue es gern,“ hatte Büchner geantwortet, und damit war die Angelegenheit in befriedigender Weise erledigt worden.




10.

Der Tag war gekommen, an dem die Abgesandten der fremden Niederlassung Herrn Büchner den angekündigten feierlichen Besuch machen wollten. Edith hatte Alles darauf vorbereitet. Der hübsche Speisesaal zu ebener Erde, das größte Gemach des Hauses, war überfüllt mit Blumen und Ehrenkränzen, die von den ehemaligen Freunden und Genossen Büchner’s als ein ferneres Zeichen der Theilnahme an dessen Geschick seit frühem Morgen eingetroffen waren. Der lange Holländer hatte es sich ruhig gefallen lassen, daß man ihm statt des gewöhnlichen bequemen Hausanzuges seine besten Kleider hingelegt, und er hatte dieselben, ohne eine Bemerkung zu machen, angezogen. – Mit dem Glockenschlage zwölf erschienen die Abgeordneten in schwarzen Fräcken, mit weißen Binden und den sonst nur bei Hochzeiten und Leichenbegängnissen gebräuchlichen hohen Hüten. An ihrer Spitze ging Francis Morrisson, der unter dem Arm ein großes Portefeuille aus rothem Leder trug. Sie stellten sich in feierlicher Ordnung an dem einen Ende des Saales auf und beschieden sodann den chinesischen Diener, der sie mit stummer Verwunderung beobachtet hatte, Herrn und Frau Büchner zu bedeuten, daß man sie erwarte. Gleich darauf öffnete sich die Thür, und Büchner, von seiner im Weiß gekleideten Frau gefolgt, trat in das Zimmer. Er blieb einen Augenblick an der Schwelle stehen, verneigte sich tief und sagte leise, doch so, daß Alle es verstehen konnten:

„Ich danke Ihnen, meine Herren für die große Ehre, die Sie mir erweisen.“

Darauf näherte er sich der Gruppe der Abgesandten und reichte einem Jeden, Rawlston mit inbegriffen, die Hand, die sie Alle herzlich drückten und schüttelten. Sodann gesellte er sich wieder zu seiner Frau, die in der Mitte des Zimmers stehen geblieben war und dem Auftritt mit einem Gemisch von Rührung, Freude und Stolz beigewohnt hatte. Und nun trat Herr

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