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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

unbedeutendste Neigung einer Mauer, einer Säule erkennt er sofort, wo die Augen von Hunderten, die täglich darauf ruhten, nichts bemerkten.

In Kohlfurt wird zu Mittag gespeist. Mitten unter den Gästen, die der Zufall hier an den bereit stehenden Tafeln zusammengeführt, sitzt der Feldmarschall. Es würde ihm nicht einfallen, vorher ein besonderes Diner zu bestellen; wo alle Anderen satt werden, wird es auch für ihn genügen. Flüsternd geht die Mittheilung von Tisch zu Tisch: „Das ist Moltke!“ und mit staunendem Interesse betrachten die Zunächstsitzenden ihren berühmten Tischnachbar.

In Schweidnitz wartet der Wagen, der Moltke nach halbstündiger Fahrt nach seinem Gute bringt.

Vor der Einfahrt in den geräumigen Gutshof steht eine 1870 gepflanzte Eiche, unter derselben ein Granitblock mit dem eingehauenen Datum: „Sedan 1. 9. 1870.“ Das große, im Renaissancestil erbaute Schloß liegt von den Wirthschaftsgebäuden getrennt durch eine grüne Mauer von Bäumen und Sträuchern. Zwei Kanonen sind vor demselben aufgestellt. Sie wurden dem Feldmarschall durch das Telegramm des Kaisers vom 18. August 1871 zum Geschenk gemacht und sind aus dem vorigen Jahrhundert stammende, in Soissons eroberte bronzene 15 Centimeter-Kanonen in Blocklafetten. Eine steinerne Treppe führt zu dem Portal des Schlosses hinan, durch das man in einen geräumigen Vorsaal tritt. Alle Zimmer des Schlosses sind groß und weitläufig. Nirgends zeigt sich eine Spur von Luxus; da sind keine Portièren, keine Teppiche, keine weichen Fauteuils, in denen man behaglich versinkt, nichts von all dem Komfort, mit dem die verwöhnten Wohlhabenden unserer Zeit ihre Häuslichkeit auszustatten lieben. Alles kennzeichnet die Bedürfnißlosigkeit des Besitzers. Moltke hat es niemals geliebt, sich zu verwöhnen; in seinem arbeitsvollen Leben war kein Raum für den Genuß träger Bequemlichkeit. Wie er, wenn er spricht oder schreibt, alles Ueberflüssige vermeidet, nur den Kern der Sache im Auge haltend, so hat auch alles Ueberflüssige des äußeren Lebens niemals Einfluß auf ihn gewinnen können, und wie er seine großen Erfolge hauptsächlich dem Umstand verdankt, daß keine Nebensache jemals die Richtung seines Blicks ablenkte oder irrte, da sein Auge immer das Richtige erkannte und festhielt, so legt er auch den Lebensformen, die ihn umgeben, nur wenig Werth bei. In antiker Größe betrachtet er die Arbeit als das Beste des Lebens und als den schönsten Genuß desselben das Bewußtsein strenger Pflichterfüllung. Wie die ganze Denkungsart und Sinnesweise dieses seltenen Mannes im wahrsten Sinne des Wortes vornehm ist, wie während eines langen thatenreichen Lebens niemals auch nur der Schatten einer selbstsüchtigen Handlung auf dieselben fiel, so ist auch der Eindruck des Heims, welches er sich geschaffen; ohne Prunk, ohne weichliche Bequemlichkeit, aber still, groß und vornehm.

Der Feldmarschall liebt sein Creisau, wie man eben seine eigene Schöpfung liebt, und in der That ist Creisau, wie es sich heute dem Auge zeigt, seine eigenste Schöpfung. Als er im Jahre 1868 das Gut kaufte, war es ziemlich vernachlässigt und heruntergekommen; jetzt ist es wirthschaftlich und landschaftlich eins der schönsten Güter im Kreise. Der Park, der sich an das Schloß anschließt, ist von dem Feldmarschall ganz neu geschaffen; er selber ging mit dem Nivellirinstrument in mühevoller Arbeit umher, den Lauf der Wege bestimmend, die er, jede unnöthige Steigung vermeidend, durch das hügelige Terrain führte; er selber bestimmte die Anpflanzung der Baumgruppen, die Anlage der Bosketts, die Ausfüllung von Vertiefungen, die Ausrodung unbrauchbaren Buschwerks. Zu Hunderten ließ er seinen Lieblingsbaum, die Eiche, pflanzen, wohl bewußt, daß nach menschlicher Berechnung er selber nicht mehr die Vollendung dessen erleben werde, was er schuf aber unbeirrt den Blick auf die Zukunft gerichtet. „In hundert Jahren muß es hier schön sein,“ äußerte er einst, und die Natur, dankbar für die Pflege, die ihr zu Theil ward, lohnt doch schon jetzt dem Manne, der sie liebt. Er, der mit 68 Jahren anfing, die ersten Bäume zu pflanzen, kann jetzt nach 20 Jahren schon in ihrem Schatten spazieren gehen; mächtig hat der gute Boden die Pflanzungen in die Höhe getrieben; die schwachen Bäumchen sind erstarkt; die Eichenalleen haben sich geschlossen, und schon tritt der Plan des Ganzen in die Erscheinung, den feinen Schönheitssinn des Schöpfers bekundend.

Grabkapelle im Park zu Creisau.
Originalzeichnung von R. Püttner.

Dieser Park ist die stäte Freude und Beschäftigung des Feldmarschalls während seines Sommeraufenthalts. Auch in Creisau ist er immer früh auf. Er kennt nicht die vorbereitende Bequemlichkeit eines Morgennégligés. Schlafrock und Pantoffeln existiren nicht unter seinen Garderobestücken. Sobald er aufgestanden ist, kleidet er sich zum Ausgehen an; nie bedient er sich der Hilfe seines Dieners beim Ankleiden; kein Wetter hält ihn ab, stundenlang draußen zu sein. Die einzige Koncession, die er dem herabströmenden Regen macht, ist das Hinaufschlagen des Rockkragens, aber dann muß es schon stark kommen. Nachdem er, meist um sieben Uhr, seinen Kaffee getrunken hat, erledigt er bis gegen zehn Uhr schriftliche Arbeiten; dann geht es hinaus. In der Brusttasche des Rocks steckt die Gartenschere; in der Hand trägt er einen Stock, der sich zur Baumsäge spannen läßt. So wandert er, vom Alter kaum gebückt, durch die Gänge seines Parks, bleibt hier und dort stehen, um einen dürren Zweig abzusägen oder mit der Schere die Wildschößlinge zu beschneiden. Bisweilen muß ihn der Förster begleiten, um hier und da einen Baum zu fällen, der eine Aussicht verwachsen hat; denn schon sind die Anlagen auf dem Entwickelungspunkt angekommen, wo es den dichtgepflanzten Bäumen zu eng wird neben einander und wo der schwächere, der nach dem ewigen Gesetz der Natur neben seinen kräftigeren Nachbarn verkümmerte, weggeschlagen werden kann.

Nicht immer aber entschließt sich der Feldmarschall dazu, einem solchen verkümmerten Bäumchen vollends das Leben zu nehmen; oft wendet er gerade seine Sorgfalt einem Bäumchen zu, das nicht vorwärts kommen kann. Es ist derselbe Zug seiner Natur, die immer bereit ist, dem Schwachen zu helfen, der sich auch hier

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_525.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)