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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Ich sage Ihnen heute Lebewohl. Von Büchner habe ich mich schon verabschiedet, er wird es wohl seiner Frau bestellen, ich vergaß, ihr zu sagen, daß ich morgen wieder nach Sutschow gehe.“

„Sie sind ja soeben zurückgekehrt.“

„Ich konnte nicht Alles erledigen, was ich dort zu thun fand. Gegen Ende der Woche hoffe ich wieder in Shanghai zu sein. Auf Wiedersehen, Frau Onslow!“




9.

Es war Prati’s letzte Reise. Er kehrte von derselben lebend nicht zurück. Er erkrankte in dem verpesteten Lande an der Cholera und starb auf dem Großen Kanal, eine Tagereise vor Shanghai.

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch die ganze fremde Niederlassung; nur Edith und Büchner, die mit Wenigen verkehrten, erfuhren davon zunächst nichts. Frau Onslow empfand tiefe Betrübniß darüber. Ihre größte Sorge aber war, wie Büchner diesen neuen Schlag ertragen werde. Sie sandte einen Boten zu Edith und bat diese um ihren Besuch. Edith erschien bald darauf. Sie erkannte sofort an Frau Onslow’s Miene, daß diese eine Trauerbotschaft zu machen habe, und fragte ängstlich, was vorgefallen sei. Frau Onslow erzählte es in möglichst schonender Weise.

„Mein armer, armer Georg! – Der gute treue Prati!“ rief Edith, und dann brach sie in Thränen aus. „Wie soll ich es Georg mittheilen?“ sagte sie weinend. „Ach, ich bin recht unglücklich; ich fühle mich vollständig rathlos.“

Frau Onslow erbot sich, die schwere Aufgabe zu übernehmen, Büchner die Nachricht von dem Tode seines Freundes zu bringen. Davon wollte Edith nichts hören. „Nein,“ sagte sie, „das darf ich Niemand überlassen. – Aber, liebe Frau Onslow, kommen Sie in einer Stunde etwa; dann ist es wohl besser für ihn, auch noch Andere als mich zu sehen.“

Die muthige kleine Frau trocknete ihre heißen Thränen und machte sich auf den Weg, die schwere Pflicht zu erfüllen, die sie sich auferlegt hatte.

Genau eine Stunde später erschien Frau Onslow in dem Büchner’schen Hause, wo Todtenstille herrschte. Der Diener sagte, Herr und Frau Büchner seien im Salon. Frau Onslow hatte nicht die Gewohnheit, sich bei guten Freunden anmelden zu lassen. Aber sie lauschte einen Augenblick, ehe sie einzutreten wagte. Alles war still. Als sie die Thür öffnete, erblickte sie Büchner vor dem Tisch sitzend und in seiner Rechten die Hand Edith’s haltend, die neben ihm stand. Er war sehr bleich, seine Augen waren trocken, auch schien es Frau Onslow nicht, als ob er geweint hätte. Der Redefluß der guten Frau war versiegt angesichts des großen Schmerzes, dessen Zeugin sie war. Sie drückte ihrem Freunde stumm die Hand, dann winkte sie Edith abseits und fragte, wie Büchner die Trauernachricht aufgenommen habe. Edith sagte nur: „Ach, der Arme!“

Die Beerdigung Prati’s fand am nächsten Morgen statt. An der Spitze der Leidtragenden, unmittelbar hinter dem Sarge, schritt der lange Holländer, alle übrigen Anwesenden um Hauptes Länge überragend. Er blickte starr auf die mit Blumen bedeckte Bahre, die vor ihm dem Kirchhof zugetragen wurde, und er bemerkte nicht, daß Aller Augen auf ihn gerichtet waren. Es war ein ergreifendes Schauspiel, wie der große starke Mann mit seinem Schmerze kämpfte, um Fassung zu bewahren, und wie er sie bis zum Ende nicht verlor.

Nachdem ein Priester die Trauerrede gehalten und man die Leiche in die Gruft gesenkt hatte, warfen die Anwesenden in üblicher Weise ein Jeder etwas Erde auf den Sarg und zogen sich still zurück; dann schaufelten die Todtengräber das offene Grab zu. Von dem Sarge war längst nichts mehr zu sehen, aber Büchner hatte seinen Platz neben der Gruft nicht verlassen und starrte noch immer nach der Stelle, wo die letzten Blumen unter der darauf geworfenen Erde verschwunden waren. An der Thür des Kirchhofes drehte Mancher, der Prati das letzte Geleit gegeben hatte, noch einmal den Kopf nach Büchner um. Dieser stand wie festgebannt auf derselben Stelle. Da berührte Edith, die sich mit Frau Onslow dem Leichenzuge in einem Wagen angeschlossen hatte, sanft den Arm ihres Mannes. Er wandte sich langsam zu ihr.

„Komm nach Hause,“ sagte sie. Darauf folgte er den Anderen. Unterwegs sprach er kein Wort, und Edith versuchte nicht, ihn zu trösten.

Der italienische Konsul hatte, gleich nachdem er die Anzeige von Prati’s Tode empfangen, dessen Nachlaß versiegeln lassen. Im Laufe des Tages, an dem das Begräbniß stattgefunden, erschien er sodann in Begleitung eines Kanzleibeamten, um das Inventarium der Hinterlassenschaft auszunehmen und in Gemeinschaft mit Rawlston nach Prati’s Testament zu suchen, da ein solches auf dem Konsulate nicht niedergelegt worden war. Aber es fand sich keines. Darauf bat der Konsul, Herr Rawlston möchte einen verständigen Diener zu seiner Verfügung stellen, der ihm bei der Aufzeichnung aller in Prati’s Zimmer vorgefundenen Gegenstände behilflich sein könnte. „Die Arbeit muß sorgfältig gemacht werden,“ sagte der Konsul; „sie wird wohl einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, denn nicht eine Stecknadel darf in dem Nachlaßverzeichniß fehlen.“

„Ich werde Ihnen den Komprador hinaufschicken“ antwortete Rawlston, „das ist ein gewandter Mann, auch spricht er gut englisch, außerdem können Sie sich noch von Prati’s Boy helfen lassen.“

Der Konsul dankte; er setzte sich in des Verstorbenen Zimmer auf einen Sessel und begann zu lesen, während der Kanzleibeamte unter dem Diktat des Komprador’s und des Boy Alles niederzuschreiben begann, was diese als Herrn Prati angehörig bezeichnen konnten.

Die Arbeit währte schon seit einer Stunde, und der Konsul war trotz des ununterbrochenen Kommens und Gehens der Diener sanft eingeschlafen, als er plötzlich aus seinem Schlummer geweckt wurde durch den eigenthümlichen hellen Ausruf, der die Ueberraschung der Chinesen zu erkennen giebt.

„Ai–joh!“

Der Konsul wandte sich um und erblickte den Komprador und den Boy vor einem alten ledernen Koffer stehend, den sie soeben aus dem Schlafzimmer herbeigeschleppt, und dessen Inhalt, aus Kleidern und Büchern bestehend, sie auf dem Boden ausgebreitet hatten.

Der Komprador hielt einen gelblichen glänzenden Gegenstand von der Größe und Form eines kurzen kleinen Lineals in der Hand.

„Das gehört zu dem Ki-tschong-Golde,“ sagte er lakonisch.

Der Konsul verstand nicht, was das heißen sollte. Es wurde ihm bald erklärt. Und noch vor dem Essen wußten Rawlston und Wallice und Morrisson und Onslow und ganz Shanghai, mit der üblichen Ausnahme von Büchner und Edith, die ihre Wohnung seit dem Begräbniß nicht wieder verlassen hatten, daß Prati, den man am Morgen feierlich zur Erde bestattet hatte, der Dieb der zehntausend Dollars gewesen sei, für den der arme Büchner jahrelang gegolten hatte.

Die Geschichte war ziemlich verwickelt, aber die Aufklärung eine vollständige.

(Schluß folgt.)




Der Hitzschlag und Sonnenstich.

Von Dr. Otto Franz.

Alljährlich fordert im Sommer eine Krankheit von unserer Armee ihre Opfer, welche als eine Berufskrankheit im strengsten Sinne des Wortes bezeichnet werden muß, da sie fast nur beim Militär und zwar bei marschirenden Gruppen vorkommt: diese Krankheit ist der Hitzschlag. In den sechs Sommern von 1875 bis 1880 erkrankten daran in der preußischen Armee 501 Soldaten, von denen 102 starben; im letzten Sommer 1886 allein hatte die Armee 272 Kranke und 14 Todte in Folge von Hitzschlag. In wie viele Familien unseres Vaterlandes haben diese Zahlen unerwartetes Leid und namenlosen Schmerz gebracht!

Das Wesen dieser Krankheit, welche so alt zu sein scheint wie die Armeen überhaupt, war lange Zeit in Dunkel gehüllt. Man betrachtete den Hitzschlag früher als ein unvermeidliches Uebel, als die einfache Folge der Marschstrapazen und der großen Hitze im Sommer und bezeichnete die Krankheit dementsprechend als Ohnmacht, Erschöpfung, Stickfluß oder Schlagfluß. Erst in den letzten Jahrzehnten gewann man die Ueberzeugung, daß es sich hierbei um schwere innere Veränderungen des Körpers handle, welche nicht plötzlich, schlagartig, sondern ganz allmählich sich während des Marsches vollziehen und bei einer gewissen Höhe den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_522.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)