Seite:Die Gartenlaube (1887) 514.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Es war mir eine große Ehre,“ erwiederte Felsing höflich; „und wie befindet sich die Frau Gräfin und Ihre reizende Tochter, Komtesse Gabriele?“

„Ich danke, die Gräfin war ein wenig angegriffen, ist aber wieder munter und – wenn ich nicht irre – mit Gabriele ausgefahren. Die Damen werden sehr bedauern, Sie verfehlt zu haben.“

Felsing verbeugte sich und es trat eine kleine Pause ein. Graf Hochberg befand sich, obwohl auf die Unterredung vorbereitet, doch sichtlich in großer Verlegenheit.

„Sie werden durch Ihren Herrn Sohn gehört haben, was Doktor Reiter so freundlich war zu bestellen,“ begann er wieder, aber Felsing unterbrach ihn:

„Ein angenehmer Mann, dieser Doktor – Reiter, sagen Sie? Ich sah ihn noch im Fortgehen, er hat mir sehr gefallen. Ist er schon lange in Ihrem Hause?“

„Seit einem Vierteljahr erst,“ erwiederte der Graf. „Trotzdem genießt er mein volles Vertrauen, weßhalb ich auch keinen Anstand nahm, ihn in der bewußten Angelegenheit –“

„Seit einem Vierteljahr erst ist Doktor Reiter bei Ihnen? Ja, ja, ich erinnere mich, Emil erzählte mir, daß er mit ihm vor einigen Jahren in Heidelberg studirte. Die jungen Leute sind sehr befreundet, mein Sohn hält große Stücke auf den Doktor. Er giebt Ihren Kindern Sprachunterricht?“

„Er unterrichtet sie in fast allen Fächern. Nur für die französische Sprache haben sie eine besondere Lehrerin, eine Französin –“

„Ja, so, es ist merkwürdig, was diese jungen Leute gegenwärtig alles lernen müssen. Man sollte beinahe meinen, es sei zu viel!“

„In der That, man macht jetzt große Anforderungen,“ begann der Graf wieder, um dann mit einiger Anstrengung fortzufahren: „Der Doktor theilte mir mit, daß Sie die freundliche Absicht gegen ihn geäußert hätten, gelegentlich mit mir Rücksprache zu nehmen wegen –“

„Hm?“ machte Felsing.

„Wegen – wegen des Wechsels,“ ergänzte der Graf nicht ohne Mühe.

Felsing sah den Grafen ruhig an.

„O ja, gelegentlich,“ sagte er im gleichgültigsten Tone der Welt, „das hat ja keine Eile. A propos, haben Sie schon gehört, daß man bei Hofe von einer Verlobung des Erbprinzen mit der Prinzessin Anna spricht? Es war in unserer Sitzung davon die Rede.“

Die Stirne des Grafen umwölkte sich.

„Ich habe auch davon reden hören,“ sagte er, nach Fassung ringend, „es ist aber sicher nichts an der Sache. – Die Angelegenheit mit dem Wechsel, lieber Konsul, ist mir doch wichtiger, als Sie anzunehmen scheinen. Offen gestanden. ich wünschte sie gerne so rasch wie möglich geordnet – durch einen Rückkauf.“

„Aber warum denn?“ entgegnete mit dem Ausdruck des Erstaunens Felsing. „Der Wechsel verfällt ja erst in zwei Monaten.“

„Gewiß, aber trotzdem möchte ich ihn sofort zum vollen Betrag wieder einlösen. Ich habe meine Gründe –“

Der Graf stockte.

„Ich begreife Sie wirklich nicht, lieber Graf! Sie nehmen sechzigtausend Thaler auf zwei Monate gegen einen Wechsel im Betrage von neunzigtausend auf und schon nach einem Tage wollen Sie denselben mit neunzigtausend einlösen? Sollte man nicht glauben, es sei Ihnen unangenehm, daß statt des Herrn Treiber ich Ihre Unterschrift in Händen habe?“

„Ach, lieber Konsul, ich bitte Sie, nein, das ist es nicht, gewiß nicht –“ der Graf stockte wieder.

„Nicht?“ sagte Felsing nach einer peinlichen Pause. „Aber was denn sonst? Ich verstehe nicht – wahrhaftig nicht. Oder sollte es irgend eine besondere Bewandtniß mit dem Wechsel haben?“

Der Graf erblaßte. Auf seiner Stirn zeigten sich große Schweißtropfen.

„Nein,“ stotterte er, „– es ist nur –“

„Hm?“ – Felsing sah den Grafen ruhig, aber fest an. Die Züge des Grafen zeigten nachgerade eine tödliche Blässe.

„Herr Konsul,“ begann er wieder, all’ seine Geistesgegenwart und Energie zusammenfassend, „Sie wissen, ich bin augenblicklich in meinen finanziellen Verhältnissen etwas derangirt. Sie glaubten meiner brieflichen Bitte nicht stattgeben zu können. Erlauben Sie mir nun, Ihnen meine Angelegenheit noch einmal mündlich vorzutragen. Wenn Sie auch augenblicklich nicht selbst in der Lage sein sollten – Sie haben große Verbindungen, unumschränkten Kredit. Sie können, wenn Sie nur wollen, Ordnung in meine Finanzen bringen und mich zum größten Danke verpflichten. Bitte, nehmen Sie sich der Sache an! Sie wissen. ich habe immer noch bedeutende Werthe. Da ist z. B. Hochberg, nicht ganz frei allerdings, es werden etwa hunderttausend Thaler darauf lasten, aber die Herrschaft ist ja das Vier- bis Fünffache werth. Ich würde mich sehr schwer von derselben trennen, aber wenn es sein muß, nehmen Sie die Besitzung zu einem civilen Preise und arrangiren Sie meine Verhältnisse, geben Sie vor Allem jenen Wechsel zurück!“

„Hochberg?“ erwiederte lächelnd Felsing. „Aber ich bitte Sie, lieber Graf, was soll ich mit Hochberg machen?“

„Sie besitzen Eckartshausen, und die beiden Herrschaften gehören ja doch eigentlich zusammen.“

„Ich besitze Eckartshausen, ja,“ erwiederte Felsing, „aber ich versichere Sie, daß mir schon das eine große Last ist. Ich kaufte die Herrschaft ja nur aus Affektion gewissermaßen, weil ich dort geboren bin.“

„Sie?“ frug der Graf erstannt und – er wußte eigentlich selbst nicht warum – erschreckt – „Sie sind dort geboren?“

„Ja, geboren und aufgewachsen, in Ruitenheim, dem kleinen Orte, eine halbe Stunde von Eckartshausen, mitten in der Herrschaft.“

„Das ist seltsam,“ murmelte Graf Erich, „wir sind von ziemlich gleichem Alter, ich habe einen großen Theil meiner Jugend in Eckartshausen verlebt, ich kam – oft nach Ruitenheim; da müßten wir uns ja früher schon gesehen haben!“

Felsing nickte wieder und sagte, abermals mit ganz eigenthümlicher Betonung. „Das haben wir auch, lieber Graf!“

Und wieder entstand eine Pause. Dem Grafen wirbelte es im Kopfe.

„Merkwürdig!“ stammelte er endlich hervor. „Ich kann mich wirklich nicht entsinnen.“

„Durchaus nicht merkwürdig, Herr Graf,“ begann jetzt in völlig ruhigem Tone Felsing wieder. „Ich habe mich sehr verändert seither und war damals in ärmlichen Verhältnissen nichts weniger als salonfähig. Der Herr Graf haben sich glücklicher Weise nur wenig verändert seit der Zeit, wo Sie als langer Garde-Officier aus der Residenz auf das Gut kamen. Ich erinnere mich noch sehr wohl – es war im Frühjahr, an einem prächtigen Maiabend, und ich stand gerade am Wege, als Sie mit dem alten Herrn Grafen – der lebte damals noch – in der Equipage mit den vier Grauschimmeln von der Eisenbahnstation nach dem Schlosse fuhren. Sie blieben ein halbes Jahr auf Urlaub und kamen während der Zeit häufig nach Ruitenheim.“

„Ja, ja, ich kam damals oft hin.“

„Als Sie dann nach der Residenz zurückgekehrt waren, hörten wir von Ihrer Verlobung mit der jetzigen Frau Gräfin. Es war eine große Freude auf der ganzen Herrschaft – auch in Ruitenheim!“

Felsing sprach das Alles so harmlos, daß die unbestimmte Furcht, welche den Grafen ergriffen hatte, allmählich zu weichen begann.

„Ja, ja,“ sagte er in ruhigerem Tone, „das ist nun lange, lange her! – Nun, mein lieber Konsul, da wären wir ja gewissermaßen Landsleute.“ Er versuchte zu lächeln, was Felsing erwiederte.

„Gewissermaßen – ja!“ sagte er freundlich.

„Und unser kleines Geschäft,“ fuhr der Graf fort. „Wollen Sie die Freundlichkeit haben? Sie glauben nicht, wie unangenehm mir diese Geldgeschichten sind, wie dankbar ich Ihnen wäre –“

Felsing erhob sich.

„Ich will sehen,“ sagte er, „was sich in der Sache thun läßt, für heute, Herr Graf, entschuldigen Sie mich, ich habe noch allerlei zu besorgen. Auf Wiedersehen!“

„Aber den Wechsel, lieber Konsul, den Wechsel werden Sie mir heute noch zusenden?“

Felsing schien erstaunt über diese Frage.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_514.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)