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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Gabriele, liebst Du mich wirklich? Sage es mir noch einmal, es scheint mir zu unglaublich!“

„Wirklich – und für immer, immer, immer!“ hörte er es durch die Nacht flüstern. Dann stand er allein unter den Bäumen, ein seliger Mann.




7.

Konsul Felsing hatte sich auf drei Uhr des andern Tages ansagen lassen, und schon eine halbe Stunde früher saß Graf Erich, denselben erwartend, in seinem Kabinett. Seine Situation war die denkbar peinlichste: im Laufe des Vormittags war Breda dagewesen, um sich in auffallender Weise nach seinem Befinden zu erkundigen! Karkow, dem er eben begegnet, habe ihm gesagt, Graf Erich müsse krank sein! Eine nicht mißzuverstehende Erinnerung an die über Gebühr verzögerte Zahlung der fatalen Spielschuld. Sein Bankier, bei dem er heute Morgen vorgeritten, um in gewohnter Weise vom Pferde herunter einige Worte mit ihm zu wechseln, war zwar wie immer unter der Thür seines zu ebener Erde liegenden Komptoirs erschienen; aber an Stelle seiner seitherigen Liebenswürdigkeit und Devotion hatte er heute eine auffallende Zurückhaltung, einen zwar höflichen, aber sehr ernsten, gemessenen Ton angeschlagen, welcher den Grafen verstimmte. Endlich war auch noch ein Wagenfabrikant, welchem der Graf eine bedeutende Summe schuldete, wiederholt dagewesen, um ihn zu sprechen, und hatte sich, als ihm der Kammerdiener zum zweiten Male erklärte, der Graf sei nicht zu Hause, mit den Worten entfernt: er müsse den Herrn Grafen nothwendig sprechen und werde morgen mit dem Frühesten wiederkommen, um denselben sicher zu treffen.

Alle diese Dinge gingen dem Grafen jetzt durch den Kopf und peinigten ihn.

Mit gemischten Empfindungen sah er der Ankunft Felsing’s entgegen. Er wünschte sie herbei und scheute sich vor derselben. Seltsam: der Konsul war, abgesehen von seinem letzten, in der Form übrigens ebenfalls höflichen Refüs immer artig und zuvorkommend gegen ihn gewesen und doch war er ihm unsympathisch – ja, mehr noch, er konnte sich eines leisen Schauers vor ihm nicht erwehren, Felsing war ihm unheimlich! Um wie viel lieber hätte er das unselige Papier noch in den Händen des schurkischen Treiber gesehen, als in den seinen!

Das Eintreten seines Söhnchens scheuchte ihn aus diesen peinlichen Erwägungen und Befürchtungen auf. Hans räkelte sich nach seiner Gewohnheit etwas auf dem Divan, betastete dann allerhand Gegenstände, die er sonst nicht berühren durfte, und wunderte sich, daß der Papa gar nicht darauf achtete. Endlich, als er alle Cigarren- und sonstigen Kästen auf und zu gemacht hatte, sagte er: „Ich möchte Dich etwas fragen, Papa.“

„Was denn, mein Sohn?“ erwiederte der Graf zerstreut.

„Ist es wahr, Papa, daß der Konsul von Felsing gar nicht von richtigem Adel ist?“

Der Graf stutzte.

„Wer sagt Dir das, Hans?“ frug er in strengem Ton.

„Fritz, der Reitknecht, hat es mir gesagt. Er lachte und meinte: der sei vor zwanzig Jahren auch noch mit seinem Schleifstein im Lande umhergezogen, um alte Scheren und Messer zu schleifen und zu repariren. Dann habe er die Leute so lange betrogen, bis er reich genug gewesen sei, um sich den Adel zu kaufen. Ist das wahr, Papa?“

„Ein albernes Geschwätz ist es, für welches ich den Burschen gehörig zurechtweisen werde,“ erwiederte unwillig der Graf. „Der Konsul ist allerdings erst vor wenigen Jahren geadelt worden, das geht aber den Schlingel nichts an, und ich will ihm die Lust vertreiben, künftig solch’ infame Klatschereien zu machen!“

„Kann man denn den Adel kaufen, Papa?“ begann Hans nach einer kleinen Pause wieder.

„Kaufen nicht gerade, aber man kann ihn sich erwerben durch Dienste, die man dem Staat oder dem König leistet, und wenn diese Dienste respektabel sind, so muß man auch diesen neuen Adel gewissermaßen gelten lassen.“

„Aber der richtige Adel ist es doch nicht, Papa?“

„Nein, der richtige Adel ist allerdings nur der Geburtsadel, der alte Adel!“

Der Graf sprach diesen Satz mit dem vollen aristokratischen Hochgefühl aus.

„Unser Adel ist alt, Papa, nicht wahr?“ inquirirte Hans weiter.

„Einer der ältesten des Landes.“

„Wie viele Ahnen haben wir?“

„Wir kennen deren dreißig. Unser Stammbaum reicht in ununterbrochener Linie bis ins elfte Jahrhundert zurück,“ erwiederte der Graf.

„Und die Mama ist auch aus altem, adeligem Geschlechte?“

„Gewiß, sie ist eine Stralenberg!“ erwiederte nicht ohne Stolz der Graf.

„Aber, Papa, wie kommt Ihr dazu, Du und Mama, zu diesem Konsul in Gesellschaft zu gehen, wenn wir doch von so altem Adel sind?“

„Genug jetzt davon, Hans!“ rief in ärgerlichem Tone der Graf aus. „Wer setzt Dir denn solche Geschichten in den Kopf? Wiederum Fritz, der Reitknecht?“

„Ich habe gehört, Papa, wie Fritz zum Kutscher sagte: er würde an des Herrn Grafen Stelle nicht in eine Gesellschaft bei dem Messerschmied gehen, und wie dann der Kutscher erwiederte: ja, da höre Alles auf! Als er neulich Dich mit Mama und Gabriele dorthin habe fahren müssen, da habe er sich geschämt. Was dorthin käme, sei neuer oder heruntergekommener Adel; einen solchen Umgang sei er nicht gewöhnt, und wenn das so fortginge, so würde er sich lieber einen andern Dienst suchen!“

Auf der Stirn des Grafen schwoll die Zornader an.

„Dieses unverschämte, dummdreiste Bedientenvolk!“ rief er aus. „Ich verbiete Dir, Hans, künftig die Gespräche der Dienerschaft anzuhören! Dieser selbst werde ich die unnützen Reden verbieten. Geh nun zum Herrn Doktor!“

In diesem Augenblick meldete der Diener den Konsul von Felsing.

„Lassen Sie ihn eintreten!“ bedeutete er den Diener. „Geh’ nun, Hans! Adieu!“

„Störe ich?“ sagte Felsing auf der Thürschwelle, nach Hans blickend.

„Durchaus nicht, Herr Konsul,“ erwiederte Graf Erich, ihm entgegentretend und die Hand reichend. „Ich erwartete Sie – mein jüngerer Sohn Hans,“ fuhr er fort, auf den Knaben deutend – „gieb dem Herrn Konsul die Hand, Hans!“

Der Knabe zögerte. Er sah halb hochmüthig, halb verlegen drein.

„Nun, Hans, was hast Du denn?“ fragte jetzt verlegen Graf Erich.

„Bitte, lassen Sie ihn, Herr Graf,“ sagte Felsing mit ironischer Betonung. „Das Bürschchen scheint nicht in der Laune zu sein.“

„Bürschchen?“ wiederholte Hans gereizt. „Ich heiße Graf Hans von Hochberg-Eckartshausen!“

„Ja, ja, ich weiß es,“ lachte Felsing, „ein schöner Name, aber etwas lang für einen so kleinen Mann!“

Das Gesicht des Knaben färbte sich roth. Er sah den Konsul von unten mit einem feindseligen Blicke an und ging zur Thür hinaus, indem er leise das Wort „Scherenschleifer“ knirschte. Das Wort war aber doch gehört worden, sowohl von Felsing, als von dem Grafen, welcher sich anschickte, seinem ungezogenen Söhnchen zu folgen und es zu strafen. Felsing hielt ihn zurück.

„Lassen Sie ihn, Herr Graf,“ sagte er in spöttischem Tone, „die jungen Herren können nichts dafür. Sie saugen das so ein mit der Muttermilch, es ist ja ein bekanntes Wort: ,wie die Alten sungen, so zwitschern die Jungen!’“

Der Graf biß sich auf die Lippen; er faßte sich aber und sagte in ernstem Tone: „Der Junge hat von seinen Eltern nie Derartiges gehört. Ich werde ihn ernstlich strafen.“ Und auf eine abwehrende Bewegung Felsing’s fügte er hinzu: „Nein, ich werde ihm die Frechheit nicht ungestraft hingehen lassen; nehmen Sie mein Wort darauf und zugleich die Versicherung meines aufrichtigsten Bedauerns über den Vorfall! Bitte, nehmen Sie Platz! – Der Hofmeister meiner Kinder,“ fuhr der Graf fort, nachdem er sich in einen Fauteuil, Felsing gegenüber, gesetzt hatte, „Doktor Richard Reiter, war heute bei Ihrem Herrn Sohne, nachdem ich gestern selbst schon vergeblich versucht hatte, Sie zu treffen, um Ihnen meinen und der Gräfin Dank für den schönen Abend in Ihrem Hause zu sagen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_512.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)