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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung vom vergangenen Jahre werden sich gewiß des so ungemein wirkungsvollen Gemäldes von Gabriel Max erinnern, welches den Heiland am Kreuze darstellt, während, der allerdings irrthümlichen Ueberlieferung gemäß, die Sonne sich verfinstert hat. Der berühmte Maler hat hier, um die eigenthümlich bedrückende Farbenvertheilung über den Himmel hin naturgetreu wiederzugeben, vom Astronomen lernen müssen. Nun gilt es einen vergeltenden Dienst: die Maler mögen auch einmal den Astronomen helfen. Gleichzeitig aber möchten wir auch vor andauerndem Hineinschauen in die Sonnenscheibe warnen, da dieses oft Augenleiden und sogar eine theilweise Erblindung des Auges zur Folge hat.

Maßstab 1:12,000,000
Der Verlauf des Mondschattens während der totalen Sonnenfinsterniß
am 19. August in Deutschland.

Ferner kann es möglicherweise wichtig werden, die Sterne, welche in diesem kritischen Momente plötzlich erscheinen, nach ihrer Lage zur verfinsterten Sonnenscheibe aufzuzeichnen. Die Astronomen suchen längst bei solchen Gelegenheiten nach einem kleinen Planeten ganz in der Nähe der Sonne. Wenn auch die Wahrscheinlichkeit für dessen Existenz nach der neueren Forschung bedeutend abgenommen hat, so ist es dennoch nicht unmöglich, daß selbst der Laie die allerwichtigste diesbezügliche Entdeckung mit einem bloßen Opernglase oder kleinen Fernrohre machen kann. Der blendende Schleier ist eben diese wenigen Minuten hindurch von den Geheimnissen der nächsten Sonnennähe weggezogen. Jedermanns Auge hat dann in diese sonst ganz unzugänglichen Räume Zutritt und kann sich von den aufgedeckten Wissensschätzen aneignen, was ihm die Eile und der Zufall des Augenblicks in die Hände spielt.

Wer also glaubt, daß Wissen Goldes werth ist, für den wird das schöne Sprichwort, daß Morgenstunde Gold im Munde führt, sich am 19. August glänzend bestätigen.




Magdalena.

Von Arnold Kasten.
(Fortsetzung.)


Um den innerlichen Kampf einigermaßen zu beschwichtigen und seine heiße Stirn zu kühlen, stieg Richard in den abendlichen Garten hinab. Er athmete auf in der lauen Dämmerung und Stille, während er langsam die Kastanienallee hinabschritt.

Plötzlich hielt er inne, voll freudigen Schreckens: dort, in kurzer Entfernung vor ihm, ging die Gestalt, welche seinem innern Auge schon den ganzen Tag vorgeschwebt, auch sie langsam und nachdenklich, den Kopf gesenkt, ein leichtes Tuch um die Schultern geschlagen. Noch ahnte sie seine Gegenwart nicht; er konnte noch den Rückzug nach dem Hause nehmen; statt dessen aber war er mit wenigen Schritten an ihrer Seite.

Sie schien nicht einmal sehr überrascht. „Ich gehe hier schon eine Weile auf und ab – ich konnte es droben nicht aushalten. Sie waren bei Papa, nicht wahr? Ich sah Sie vor einer halben Stunde hineingehen und war so unruhig – haben Sie ihm am Ende gesagt –?“ Ihre Augen hefteten sich angstvoll fragend auf sein Gesicht.

Es kostete ihn schwere Ueberwindung, die halboffenen Lippen nicht mit einem Kuß zu schließen und die zarte Gestalt in seine Arme zu nehmen, aber er blieb standhaft und sagte, wenn auch nicht ohne merkliche Bewegung:

„Ich wollte es, aber ich konnte nicht dazu kommen. Er war mit einer anderen Angelegenheit so dringend beschäftigt, daß ich nicht von mir hätte reden können.“

„Ach, Gott sei Dank!“ rief sie mit der völligen Natürlichkeit, die ihr so reizend stand. „Hören Sie, ich habe viel nachgedacht heute, und es ist mir nach und nach ganz klar geworden, was wir thun müßten. Aber ich weiß eben Eines, das dazu gehört, nicht ganz gewiß –“

Sie hob halb keck und halb zaghaft in einer erröthenden Verwirrung die Augen zu ihm empor. Diesmal konnte er nicht widerstehen, den Arm um sie zu legen.

„Und was ist das, liebste Gabriele?“

„Ob Sie mich wirklich so lieb haben –“ flüsterte sie und legte die Stirn an seine Brust.

Was er nun in heftigen, glühenden Betheuerungen vorbrachte, mußte wohl sehr überzeugend klingen; denn sie hob nach kurzer Frist den Kopf wieder empor, schüttelte ihn mit ihrer kurzen trotzigen Art und rief:

„Nun also! Warum sollen wir denn nicht ein paar Jahre auf einander warten können? Hat die Prinzessin X. einen Professor geheirathet, kann es die Gräfin Hochberg wohl auch, wenn sie nicht nachgiebt. Ihr haltet mich immer für ein Kind; aber Ihr kennt mich nicht, ich bin viel fester und ernsthafter, als Jemand denkt. Treu bleiben ist doch so leicht, wenn man eben gar nicht untreu werden könnte!“

Richard stand wie geblendet und überwältigt von der hereinbrechenden Macht einer solchen Vorstellung. Was er nicht gewagt hatte, auch nur einen Augenblick im Ernste zu denken, das sollte möglich, sollte wirklich sein? Es faßte ihn einen Augenblick wie körperlicher Schwindel. Dann aber rief er ausbrechend, indem er sie stürmisch in die Arme schloß:

„O Gabriele, wie wollte ich arbeiten und ringen, wenn Dir das wirklich Ernst wäre!“

„Es ist mir Ernst, Du böser pedantischer Mann,“ sagte sie zwischen Lachen und Thränen; „ich kann keinen Anderen heirathen als Dich; deßhalb muß ich schon sehen, daß ich Dich auch wirklich bekomme. Aber es hat schwer gehalten, Dir dies begreiflich zu machen –“

Seine heißen Küsse schlossen ihr die Lippen, aber sie entwand sich ihm rasch und sagte:

„Nun werde ja wohl ich die Vernünftige spielen müssen, hören Sie, weiser Herr Doktor? Aber kein Wort zu Papa vorerst – es scheint mir nämlich nicht ganz unmöglich, Mama auf unsere Seite zu ziehen, und wenn das glückt, haben wir halb gewonnen. Ich werde es sehr klug und vorsichtig anstellen. Und nun muß ich hinauf. Ach, wie glücklich bin ich doch jetzt im Herzen!“

Sie nickte ihm zärtlich zu und wandte sich leichtfüßig zum Enteilen.

„Gabriele,“ rief er ihr leise nach.

„Nun?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_511.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)