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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


ängstliches Kind oder einen Fieberkranken zu beschwichtigen. „Die Sache ist ja so einfach: damit kein Mensch den Wechsel mit dem Stempelchen zu Gesicht bekomme, siegeln der Herr Graf ihn hier vor meinen Augen mit Ihrem eigenen Siegel in ein Kouvert ein und ich unterschreibe dem Herrn Grafen, daß ich ihm die doppelte Summe des Wechsels zu bezahlen habe, wenn die Siegel am Verfalltage nicht unverletzt sind. Was riskiren denn der Herr Graf dabei? Nichts!“

Wieder entstand ein langes Schweigen. Der Graf saß von dem Agenten abgewandt vor seinem Schreibtisch, den Kopf auf beide Arme gestützt, eine Beute rathloser Verzweiflung. Es sauste und dröhnte in seinem Gehirn; er fühlte, daß er ganz außer Stande sei, Etwas zu denken und zu beschließen; aber der Tag neigte sich, die Schuld drängte, Hilfe mußte geschafft werden um jeden Preis.

„Wiederholen Sie mir, was Sie soeben sagten, ich habe den Sinn nicht deutlich verstanden,“ sagte er endlich, und auf die zungenfertige Auseinandersetzung des Agenten versetzte er: „Haben Sie die Summe parat?“

Mit wunderbarer Schnelligkeit griff dieser nach seiner Rocktasche:

„Gewiß, Excellenz, sechzigtausend Thaler in guten Scheinen.“

„Kommen Sie!“ rief der Graf, sich gewaltsam zusammenraffend, indem er nach der Thür des Nebenzimmers deutete.

In diesem Augenblicke öffnete sich die gegenüberliegende Thür und Komtesse Gabriele in lichten Gewändern erschien auf der Schwelle. Sie wollte den Papa zum Koncert abholen und war sehr erstaunt, ihn nicht bereit, ja, seiner kurzen Abweisung nach, offenbar schlechter Laune zu finden. Das kam sicher von seinem Gespräch mit dem gemein aussehenden Menschen dort; gewiß hatte dieser den Papa geärgert. Sie drehte also ihm vor allen Dingen den Rücken zu und fuhr, als sei Niemand weiter im Zimmer anwesend, mit der Beharrlichkeit des verzogenen Kindes fort:

„Aber nicht wahr, Papa, morgen früh um neun Uhr reitest Du mit uns nach Taxenbach? Du hast es uns versprochen, und der Tag wird wunderschön!“

Dem gequälten Manne riß fast die Geduld. Er hätte laut aufschreien mögen und mußte ruhig reden, aber seine Stimme zitterte doch, als er hastig unter allen möglichen Vorwänden die Zumuthung ablehnte. Alles, was Gabriele wolle, nur nicht morgen – er könne nicht, und damit gut.

„Ach, lieber Doktor,“ rief er mitten in seiner Rede dem jungen Hauslehrer zu, der soebem hinter dem meldenden Diener in der halboffenen Thür erschien: „Sie könnten mir einen großen Gefallen thun. Begleiten Sie morgen früh zu Pferde dieses hartnäckige Fräulein und ihren Bruder nach Taxenbach zu dem Jagdschlößchen. Sie nehmen meinen Ali, bis Mittag seid Ihr zurück. Wollen Sie mir die Liebe thun? Ich habe dringende Geschäfte hier und kann nicht mit. Sie sind ja ein famoser Reiter, wie ich höre!“

Der junge Mann zögerte einen Augenblick. „Wie Sie befehlen, Herr Graf,“ sagte er endlich in so trockenem Tone, daß Gabriele heimlich die kleine Faust ballte. „Aber ich möchte vorher noch in einer wichtigen Angelegenheit um einige Minuten Gehör bitten,“ fügte er dringend hinzu, indem er argwöhnisch den im Hintergrunde stehenden Agenten betrachtete, dessen lauernder Gesichtsausdruck ihm äußerst widerlich war.

Aber der Graf, nur von Einem Gedanken erfüllt, sah nicht die ernste Miene des jungen Gelehrten und sagte hastig, mit kaum verhehlter Ungeduld.

„Morgen lieber Doktor, morgen. Sie sehen, ich bin heute sehr beschäftigt. Adieu, Gabi, Du erzählst mir dann von Eurem Ausritt!“

Doktor Reiter zögerte noch einen Augenblick, aber die verabschiedende Bewegung des Grafen wiederholte sich, und so mußte er wohl gehen. Auf der Schwelle hob er seine Augen nach der vorausgeschrittenen Gabriele und begegnete einem Blick voll so strahlender Glückseligkeit, daß große Selbstbeherrschung nöthig war, um die ruhige Außenseite zu wahren. „Morgen, morgen!“ klang es unaufhörlich auch in seinem Herzen trotz aller Anstrengung, den Jubel zu unterdrücken.

Mittlerweile unterzeichnete in seinem Arbeitszimmer Graf Hochberg den Wechsel, drückte den ihm als Präsidenten der Bau- und Bodengesellschaft anvertrauten Gesellschaftsstempel darauf, siegelte das Papier ein und übergab es dem Agenten, welcher dafür sechzigtausend Thaler in Kassenscheinen auf den Tisch zählte.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Sklavenexekutionen in Afrika. Welche große Aufgaben für die Fortschritte der Civilisation noch dem Kongostaat gestellt sind, das beweisen die zum Theil abschreckenden und grausamen Gebräuche der Negerstämme, gegen welche einzuschreiten die Europäer noch immer machtlos sind. So berichtet Henry Stanley in seinem Werke „Der Kongo“, das gegenwärtig in zweiter Auflage vorliegt (Leipzig, F. A. Brockhaus), daß es dem Lieutenant Vangelé, dem Chef der Aequatorialstation, am Kongo wohl gelang, seine Sklaven vor den Aufkäufern zu schützen, welche sie zum Zweck der Leichenfeier eines bedeutenden Häuptlings als Schlachtopfer erwerben wollten, daß er aber nicht in der Lage war, die gräßliche Ceremonie selbst zu hindern. Bekanntlich ist’s der Gebrauch vieler innerafrikanischen Stämme, besonders der Bakuti, Sklaven umzubringen, welche die todten Häuptlinge in das Land der Geister begleiten sollen. Vangelé wohnte selbst dem Opferfest bei, das sich von ähnlichen Festlichkeiten nur durch das grausame Raffinement unterschied, mit welchem die Hinrichtung ausgeführt wurde. Er fand eine große Schar von Männern auf dem Schauplatze der Feier versammelt. Die zum Tode Verurtheilten knieeten mit gefesselten Armen in der Nähe eines hohen jungen Baumes, an dessen Spitze ein Strick befestigt war. Eine Anzahl Leute hielten den letzteren und zogen ihn so straff an, daß der obere Theil des Baumes wie ein Bogen gekrümmt war, dann ward ein Gefangener ausgewählt und ihm das lose Ende des Stricks um den Hals gelegt, worauf man den Baum soweit wieder in die Höhe ließ, daß der unglückliche emporgezogen, der Hals ausgerenkt und der Körper fast vom Erdboden gehoben wurde. Inzwischen war der Henker herangetreten und hatte mit seinem kurzen Schwert mit breiter Klinge die Entfernung bis zum Genick des Sklaven gemessen, um den Hals sicher zu treffen. Er wiederholte das zweimal: dann schlug er zu, trennte das Haupt glatt vom Rumpfe, und dieses wurde durch die Schwungkraft des losgelassenen Baumes emporgeschnellt und mehrere Meter weit fortgeschleudert.

Wir hoffen, daß der Kongostaat allmählich Kraft genug gewinnen wird, um den Sieg der Humanität in allen seinen Marken zu sichern. †     

Der Kampf zwischen den Wollenen und Baumwollenen. Die Anhänger Jäger’s und seiner Lehre von der alleinseligmachende Wolle haben jetzt eine neue eifrige Gegnerschaft gefunden in den Vorkämpfern der Baumwolle, und es ist in Berlin vor einiger Zeit zu einem Redeturnier zwischen beiden Parteien gekommen, bei welchem die jedesmalige Opposition sich nach parlamentarischem Brauch durch heftiges Zischen bemerkbar machte. Dr. Lahmann aus Chemnitz vertrat in dieser Versammlung, die im Hôtel de Rome stattfand, die Vorzüge der Baumwolle, erkaunte die Verdienste Jäger’s insoweit an, als dieser die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Frage der Bekleidung gelenkt und für durchlässige Kleider eingetreten sei, doch die Baumwolle erfülle diese Bedingung, wenn sie nur trikotartig und nicht appretirt und gestärkt sei, eben so gut wie die Wolle, ja sogar noch mehr als die letztere, die eine Ueberreizung hervorrufe und die Haut erhitze, wodurch diese empfindlicher werde für die Schwankungen der Temperatur. Auch verbreiteten Pflanzengewebe an sich nicht schlechte Düfte: reine lockere Baumwolle nehme nicht mehr riechende Stoffe auf als Wolle, nur die Appretur und Stärke sowie das Schlichtmaterial binde die schlechten Düfte. Auch sei die Baumwolle billiger als die Wolle. Zum Beweis, daß die Reformbaumwollstoffe so weich, warm und schmiegsam wie die zarteste Wolle seien, waren zu beiden Seiten der Rednertribüne baumwollene Garne, Trikotstoffe, fertige Hemdenn u. dergl. m. ausgestellt. „Hie Wolle, hie Baumwolle“ ist jetzt die Losung; bei der Baumwolle handelt es sich indeß bloß um die Unterkleider. Die Anhänger der Leinwand haben bei diesem Kampfe das Zusehen: jedenfalls werden sie von beiden Reformparteien in die Rumpelkammer der Diätetik und Hygiene verwiesen. †     

Ein litterarischer Schutzmann. Das Verdienst, das sich unsere Schutzmänner um die öffentliche Sicherheit erwerben, wird man gewiß mit Freuden anerkennen; wer empfindet nicht ein Gefühl von Beruhigung, wenn er zur Nachtzeit die wackeren Träger der Pickelhauben über die Straßen patrouilliren sieht? Anstrengend genug ist ihr Dienst – und man muß um so mehr erstaunen, wenn man erfährt, daß es einen Berliner Schutzmann giebt, der noch Muße für litterarische Beschäftigung gefunden hat. Adolf Schulze hat das Werk des Obersten Tscheng Ti Tong über China und die Chinesen ins Deutsche übertragen, eben so das Werk Arthur Pougin’s über „Verdi“, außerdem den in der „Schles. Ztg.“ veröffentlichten Roman „Schneeblume“ von der Fürstin Kantacuzène. Auch verfaßt er Novellen und Romane und hat, mit der Bewilligung seiner Vorgesetzten, eine Schrift. „Aus dem Notizbuche eines Berliner Schutzmanns“ herausgegeben, welche gewiß manches interessante Ereigniß aus dem Berliner Straßenleben darstellen wird. Dieser sprachenkundige und schriftstellerisch thätige Schutzmann zeigt, daß man bei Talent

und Neigung in allen Lebensstellungen noch Muße finden kann zu literarischem Wirken und Schaffen. †     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_483.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)