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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

frischem Fleisch versehen könne, das Rößli, in welchem die Wirthin als gute und reinliche Köchin walte, und endlich den vorzugsweise von Veltlinern besuchten Adler.“

1830 bildete sich eine Aktiengesellschaft mit gegen 8000 Gulden Kapital. Damit war nichts zu machen und es wurde auch nichts gemacht. Die Zeit für St. Moritz war noch nicht erfüllt.

1852 lief der Kontrakt der alten Gesellschaft ab, und nun begann eine neue Kommission vorzüglicher Männer ihr Verbesserungswerk, dessen vornehmster, wenn auch schwierigster Theil, die Neufassung der Quellen war. Das waren die richtigen „Felschirurgen“, von denen es im „Faust“ heißt:

„Die hohen Berge schröpfen wir,
Aus vollen Adern schöpfen wir.“

Bald wurde aus dem Vollen geschöpft: die Quellen hatten quantitativ und qualitativ ganz ungemein gewonnen. Früher flossen etwa drei Liter in der Minute ab, jetzt 22, die aber bis auf 60 in der Minute erhöht werden können.

Vom Jahre 1853 datirt dann die zweite Blüthe des Kurortes und sein Weltruf, welchen die Männer, denen die Quellen anvertraut wurden, mit allen Kräften zu erhalten und zu erhöhen bemüht sind. Jedes Jahr verzeichnet neue großartige Verbesserungen.

Zwei Hauptquellen sind am Orte, beide sind natronhaltige Eisensäuerlinge, die chemisch sich nicht sehr wesentlich von einander unterscheiden, nur etwa in der Weise, daß die neue Quelle mehr Eisen, die alte etwas mehr kohlensaures Natron enthält.

Hier, wo ich, „des trocknen Tons nun satt“, mir zur Lust von den Reizen der Landschaft schreiben möchte, von Bergen und Wäldern, von Pässen, Gletschern und Seen, muß ich leider abbrechen, denn die Reize der Engadiner Landschaft vermögen Worte schwerlich zu schildern. Besser geben sie die Skizzen unseres Malers wieder.

Er führt uns nur bequeme, auch von schwachen Füßen zu begehende Pfade, zunächst nach der im Arvenwalde liegenden „Meierei“, der Acla Silva, am östlichen Ufer des Sees und nur wenige hundert Schritte von diesem entfernt. Auf dem Wege dahin kommen wir über die Brücke an der See-Ausmündung, unterhalb deren der grüne Inn als Fall in die Chiarnadurasschlucht stürzt, in der vor Zeiten ein Exemplar von „der Drachen alter Brut“ sein Wesen trieb. Von der Meierei wie von dem höheren Schafberg aus hat man einen genußreichen Blick über das Thal, den See, die Ortschaft und die Berge, von denen die berühmten aussichtsreichen Piz Languard und Piz Ot breit sich in den Vordergrund drängen. Ruhig und schön ist hier das Genießen für Genesende bei Wanderungen im Thale, etwa nach dem nahen Dorfe Campfèr am Ufer des gleichnamigen Sees, hinter welchen der Silvaplanasee hervortritt. Die breite Masse, die den Hintergrund dieser Bühne bildet, ist der Piz della Margna. Links auf unserm Bilde (S. 477) ist auf der Spitze eines waldigen Hügels der durch seine schöne Aussicht beliebte Ausflugsort Crest’alta sichtbar. In dieser ganzen Gegend ist gut Hütten bauen: das thaten einst die armen Hirten. Reiche Leute bauen sich Villen, und wer diese Absicht hätte, der nehme als Modell die schöne Villa Planta. Die Familie Planta (= Bärentatze) ist zugleich der Urtypus des von der einstigen wilden Bärentatzigleit zu europäischem Schliff, Wohlstand und Reichthum emporgestiegenen Normal-Engadiners.




Magdalena.
Von Arnold Kasten.
(Fortsetzung.)
4.

Mir bleibt immer noch ein Ausweg,“ sagte eine Stunde später Graf Hochberg, als er, von einem Gang ins Freie zurückkehrend, sein Haus wieder betrat. Er trug den Kopf hoch und sein Schritt klang fest und sicher. Der kurze Aufenthalt draußen hatte ihm wohlgethan. Bekannte waren ihm begegnet, auch Prinz Ottokar, der seinen Arm in den des Grafen schob und plaudernd ein paar Straßen weit mit ihm ging. Der Anblick des tausendgestaltigen fremden Lebens hatte ihn von seinen innern Konflikten abgezogen; sie erschienen ihm jetzt nicht mehr so schlimm, wie vorher in seinen einsamen vier Wänden. „Was da! – Ein Schnitt ins Fleisch, wird freilich im Anfange schmerzen, aber man gewöhnt sich allmählich daran. Heute Abend noch muß ich damit ins Reine kommen, ich könnte mit diesem Druck auf der Brust nicht schlafen. Friedrich,“ wandte er sich an den entgegenkommenden Diener, „sehen Sie nach, ob die Gräfin zu Hause ist.“

Und ohne die Meldung des Mannes abzuwarten, ging er ihm auf dem Fuße nach, durch den Korridor, hinüber nach dem Zimmer seiner Frau.

Es herrschte schon fast Dämmerung in dem hohen Raum voll reicher Möbel und Luxusgeräthe, den die Veilchen und Hyacinthen der Blumentische und Jardinièren durchdufteten. Zwischen den schweren Fenstervorhängen herein fiel der letzte Abendschein auf die Chaise longue und die darauf ausgestreckte schöne Frau, deren Angesicht unbeweglich dem Himmel draußen zugekehrt war. Sie schien so tief in Gedanken verloren, daß sie den leise Eintretenden nicht bemerkte.

„Claire!“ sagte er halblaut.

„Ach, Du bist es, Erich!“ erwiederte sie überrascht, sich aufrichtend, „wie kommst Du denn zu dieser Stunde hierher?“

„Das klingt ja gerade, als käme ich Dir ungelegen,“ erwiederte er scherzend, indem er, sich über sie beugend, einen flüchtigen Kuß auf ihren Scheitel drückte und dann einen Stuhl an ihre Seite zog.

„Wie kannst Du das denken! Du kommst nur ein wenig überraschend – und das nicht ohne Deine eigene Schuld,“ sagte die Gräfin in leichtem Ton, indem sie ihn lächelnd ansah. Aber in demselben Augenblick erschrak sie über die angegriffenen und sorgenvollen Züge ihres sonst so schönen und stattlichen Gemahls. „Es ist Dir etwas Besonderes begegnet, Erich!“ rief sie angstvoll. „Was hast Du? Du erschreckst mich!“

Er legte sich in den Schatten zurück. „Nein, nein! Beruhige Dich! Ich habe allerdings widerwärtige Geschäfte gehabt. Eins gab dem Andern die Thür in die Hand. Das hat mich auch verhindert, Dir gestern schon die unangenehme Geschichte mit Eckartshausen näher zu erklären. Es war mir bitter leid – ich wußte, daß Dir der Verkauf nahe gehen würde, verschob deßhalb die Mittheilung auf eine günstige Stunde, und nun muß die Indiskretion jenes albernen Weibes –“

„Nein nein,“ fiel die Gräfin ein, „Du brauchst Dich nicht zu entschuldigen, es ist ja Dein Recht, jede derartige Veränderung zu treffen. Ueberrascht freilich hat es mich, das kann ich nicht leugnen, aber nur, weil ich nie an eine Möglichkeit dachte, Eckartshausen zu verlieren. Mein Herz hing gar zu sehr an dem alten guten Schloß.“ Sie sagte die letzten Worte mit zitternder Stimme.

„Ich weiß, ich weiß,“ sagte ihr Gemahl etwas unbehaglich. „Aber der Aufenthalt hatte doch auch seine bedeutenden Schattenseiten.“

„Ich fühlte sie nicht,“ erwiederte sie einfach. „Mir war Eckartshausen der liebste Ort auf der Welt, wegen der Erinnerungen, die er für mich birgt an unsere ersten Ehejahre, wo wir uns noch so nahe standen – und so glücklich waren!“

Der Graf biß sich den schönen lockigen Bart; diese Wendung des Gespräches kam ihm unbequem.

„Aber ich bitte Dich, liebes Kind –“

„Nein sei unbesorgt, ich werde das Thema nicht fortsetzen; ich weiß, daß die Zeiten sich ändern. Ich mache Dir auch keinen Vorwurf über den Verkauf, aber seit gestern quält mich eine unbestimmte Furcht über die Veranlassung dazu. Sollten es am Ende … pekuniäre Verlegenheiten sein, die Dich zu dem Entschlusse brachten?“ Sie richtete sich auf und sah ihm angstvoll forschend in die Augen.

Er athmete auf, erleichtert, daß ihm die Einleitung erspart blieb.

„In der That,“ erwiederte er rasch, „unsere Verhältnisse haben sich etwas brouillirt. Ich bin in der letzten Zeit – ich weiß kaum wie – in allerhand Geschäfte und Spekulationen hineingerathen, von welchen ich eigentlich nichts verstehe und die mich nun drücken.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 479. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_479.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)