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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

pathetischen Weise über das unverdiente Unglück des armen Büchner ausgesprochen hatte. „Können wir denn über Niemand und nichts Anderes in der Welt sprechen als über Herrn Büchner und seine traurige Lage? Fast hat es den Anschein, als liege es in Ihrer Absicht, mich zu verstimmen.“

„Das können Sie bei meiner Ihnen bekannten Verehrung für Sie unmöglich glauben; aber da Sie mich dazu auffordern, so erlaube ich mir, ganz offen mit Ihnen zu sprechen. Ja, ich wünschte, daß Sie etwas für Büchner thäten, nachdem Sie ihn unglücklich gemacht haben.“

„Ich bin mir nicht bewußt, ihn unglücklich gemacht zu haben.“

„Sie haben das gegen Ihre Absicht und ohne Ihr Wissen, aber Sie haben es doch wirklich gethan. Hätten Sie Ihren Verdacht nicht so bestimmt geäußert, so wäre Herr Büchner heute noch in derselben Lage wie Herr Wallice zum Beispiel, dessen Stellung und Ruf durch den bei Ihnen verübten Diebstahl in keiner Weise berührt worden sind. Dadurch allein, daß Sie dem Brautpaar gegenüber eine zwecklos feindliche Haltung eingenommen haben – denn verhindern können Sie die Verbindung zwischen den Beiden schließlich ja doch nicht, da Fräulein Rawlston Ihrer Vormundschaft entwachsen ist, – dadurch haben Sie meinen Freund aus Ihrem Hause getrieben und ihn in die schreckliche Lage versetzt, in der er sich jetzt befindet. Denken Sie an sein Los, Herr Rawlston! Malen Sie sich aus, was der Unglückliche zu erdulden hat – und zwar unverschuldet – und auf Ihre Veranlassung. Und sagen Sie selbst, die Hand aufs Herz: halten Sie Büchner einer Unterschlagung für fähig?“

Vor drei Wochen hätte Rawlston darauf unbedingt mit „Ja“ geantwortet, aber seitdem war seine Zuversicht geschwunden. Auch der Polizei-Inspektor, mit dem Rawlston noch verschiedene Unterredungen gehabt hatte, war seiner Sache durchaus nicht mehr ganz sicher. Büchner hatte nämlich einen Schritt gethan, auf den die Beiden nicht vorbereitet gewesen waren: an demselben Tage, an dem er seine Stelle aufgegeben, hatte er an Rawlston einen Check für den ganzen abhanden gekommenen Betrag mit einem kurzen Schreiben eingesandt, in dem gesagt war, er, Büchner, betrachte sich für die von ihm geführte Kasse verantwortlich und überweise deßhalb den Betrag, der an derselben fehle. Rawlston hatte die Anweisung zurückgesandt: es sei in China nicht Gebrauch, daß ein Kassirer die Verantwortlichkeit dafür übernehme, daß seine Kasse nicht ausgeplündert werde. Aber Büchner hatte das Geld nicht zurücknehmen wollen, sondern es auf dem amerikanischen Konsulat niedergelegt: „zur freien Verfügung der Herren Rawlston & Co. bis zu dem Tage, an dem die jüngst abhanden gekommene Summe von zehntausend Dollars wieder in deren Besitz gelangt sein würde.“ Büchner’s Guthaben bei Rawlston & Co. hatte nur achttausend Dollars betragen, die fehlende Summe war ihm geliehen worden und zwar, wie man später erfuhr, von seinem Kollegen und Freunde Prati, der sich im Besitz eines Vermögens von etwa zwanzigtausend Dollars befand, die er während der letzten glücklichen Jahre als Seideninspektor verdient hatte.

Als der Polizei-Inspektor erfahren, die zehntausend Dollars seien bei Rawlston wieder eingezahlt worden, hatte er zunächst gesagt: „Ich gratulire Ihnen, da sind Sie ja wieder zu Ihrem Gelde gekommen!“ Aber gleich darauf war er nachdenklich geworden, hatte sich das Kinn gestrichen und hinzugesetzt: „Das ist eigenthümlich. Ein ordentlicher Dieb hätte das Geld nicht so leicht wieder herausgegeben; der hätte es verscharrt oder irgendwo in Sicherheit gebracht, um später die Hand wieder darauf legen zu können.“ – Mit der Zeit war der Beamte immer unsicherer geworden, er hatte noch einmal die genauesten Erkundigungen über alle Bewohner des Hauses eingezogen und schließlich gesagt: „Mein Latein ist zu Ende. Vielleicht ist der Mensch so unschuldig wie Sie und ich.“ – „Der Mensch“ war Büchner, und es wurde Herrn James Rawlston recht unbehaglich zu Muthe, wenn er daran dachte, daß er „diesen Menschen“ ins Unglück gestürzt und sich seinetwegen mit Edith überworfen habe. – Als Prati ihn deßhalb fragte: „Halten Sie Büchner einer Unterschlagung für fähig?“ und ihn dabei mit seinen klugen Augen scharf ansah, zerrte Rawlston eine Weile an seinem Schnurrbart und antwortete endlich langsam: „Sie können Recht haben.“

„In diesem Falle habe ich sicherlich Recht,“ entgegnete Prati mit großer Bestimmtheit. „Unter den anständigen Menschen in Shanghai herrscht darüber nur eine Meinung. – Was die Andern sagen und denken, ist von keinem Werth und kümmert Sie nicht.“

„Das Geschwätz der Leute kümmert mich überhaupt nicht. Aber es ist in der That meine Sorge, das zu thun, was recht ist.“

„Nun wohl, Herr Rawlston, dann machen Sie Ihr Unrecht wieder gut. schreiben Sie an Ihre Schwester oder an Herrn Büchner und geben Sie Ihre Zustimmung zu deren Vermählung.“

„Nein, heute kann ich das nicht thun. Zunächst muß ich den Ausgang des Processes abwarten, in den Büchner verwickelt ist.“

„Das halte ich für falsch, denn einmal dürfte Ihre Haltung in der Sache auf die Richter, so unbefangen sie auch sein mögen, von großem Einfluß sein, und sodann werden weder Büchner noch Fräulein Rawlston in Ihrer Zustimmung, wenn dieselbe nach Büchner’s unzweifelhafter Freisprechung erfolgt, eine Genugthuung für das ihm von Ihnen zugefügte Unrecht erblicken.“

„Es würde mir sehr leid thun, wenn ich mich für immer mit meiner Schwester entzweien sollte, aber ich muß mich auch darüber hinwegsetzen, wenn es sich darum handelt, eine Pflicht zu erfüllen, und ich halte es für meine Pflicht, der Verlobung meiner Schwester mit einem Manne, der noch unter dem Verdacht eines Verbrechens steht, meine Einwilligung zu verweigern. – Weit wichtiger für meine Entschließungen ist Ihre erste Betrachtung. Ich möchte die Richter in keiner Weise beeinflussen, am wenigsten zu Ungunsten Büchner’s. Aber nach dem, was nun einmal geschehen ist, weiß ich nicht, was ich in der Sache thun könnte.“

Prati sann einen Augenblick nach und dann sagte er: „Sie könnten vielleicht dem Untersuchungsrichter ein Wort schreiben. Sie brauchten in dem Briefe nur zu wiederholen, was Sie eben gesagt haben, nämlich: daß Sie Ihre Zustimmung zur Vermählung Ihrer Schwester einfach deßhalb noch nicht gegeben hätten, weil Herr Büchner durch ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände in den Verdacht gerathen sei, eine unehrliche Handlung begangen zu haben. Sie selbst wären der Ansicht, daß der Verdacht ein unbegründeter sei, und nähmen an, daß auch der Gerichtshof sich in diesem Sinne aussprechen würde. Jedenfalls wollten Sie den Herrn Untersuchungsrichter darauf aufmerksam machen, daß Ihre augenblickliche Haltung Herrn Büchner gegenüber keineswegs einen Verdacht gegen diesen in sich schließe, und Sie im Gegentheil hofften, ihn bald als Ihren Schwager begrüßen zu können.“

„Den Brief will ich schreiben, “ sagte Rawlston, augenscheinlich befriedigt, irgend etwas zur Beruhigung seines Gewissens thun zu können. „Und um Ihnen zu zeigen, daß ich bereit bin, ganz in Ihrem Sinne zu handeln, bitte ich Sie, das Schriftstück selbst aufzusetzen und mir morgen früh zur Unterschrift vorzulegen. Sind Sie nun zufrieden mit mir? Sehen Sie nun ein, daß mein Benehmen durch keinerlei Feindseligkeit gegen Büchner, sondern nur durch berechtigte Fürsorge für meine Schwester beeinflußt ist?“

„Sie handeln wie ein Ehrenmann, Herr Rawlston, und ich hatte nichts Anderes von Ihnen erwartet. Ich werde Ihnen den Brief morgen früh auf Ihr Zimmer senden, denn es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Die Verhandlungen sind, wie ich erfahre, auf übermorgen angesetzt.“




4.

Der verhängnißvolle Tag war gekommen, und Büchner stand vor den Schranken des Gerichts, das über sein Schicksal entscheiden sollte. Sein Aeußeres machte einen günstigen Eindruck. Seine Kleider saßen zwar etwas schlotterig auf dem abgemagerten Körper, aber es waren die Kleider eines Mannes aus der guten Gesellschaft, und daß Büchner dazu gehörte, das sah man sofort. Er trat ohne Aengstlichkeit und ohne Uebermuth auf: bescheiden und ernst. Das Gesicht war blaß, der Mund fest geschlossen, und die großen Augen hatten einen traurigen und gleichzeitig unverzagten Blick. Der Mann sah sicherlich nicht wie ein gemeiner Verbrecher aus! – Das hatte sich schon der Untersuchungsrichter gesagt, und in den Akten war von der guten Haltung des Angeklagten während des Verhörs gesprochen; das sagten sich jetzt auch die Mitglieder des Gerichtshofs, als sie in den öden Saal traten. – Derselbe war nämlich ganz leer. Die Freunde und Bekannten Büchner’s hatten unter einander verabredet, Keiner

solle den Gerichtsverhandlungen beiwohnen. Sie wollten Büchner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_471.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2023)