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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

wohl werth sein könnten, ohne zu vergessen, was überdies noch aus dem Holz der prächtigen Bäume zu lösen wäre. Dann ging er zu einer genauen Musterung des Zimmers über. Er betrachtete und taxirte die Pendule über dem Kamin, die Bilder an den Wänden, betastete die Stoffe der Möbel und Gardinen und war so in seine Untersuchungen vertieft, daß er erschrocken zusammenfuhr, als hinter ihm plötzlich die Worte ertönten: „Nun, Herr Treiber, was machen Sie hier?“

Es war ein Bureaudiener, welcher einige Wechsel der Bau- und Bodengesellschaft dem kürzlich gewählten Vorsitzenden des Verwaltungsraths, Grafen Erich, zur Genehmigung und Unterschrift gebracht hatte und dies nun dem neugierigen Agenten auf sein Befragen auseinandersetzte.

„Lassen Sie doch einmal die Wechselchen sehen, lieber Herr Maier! Richtig, ja: der Gesellschaftsstempel – allgemeine Bau- und Bodengesellschaft – ein hübsches Stempelchen – und darunter: Graf Erich Hochberg-Eckartshausen. Hm! Merkwürdig, was jetzt für vornehme Herren bei den Geschäftchen mitmachen!“

Die Wechsel schienen den Agenten ausnehmend zu interessiren; er schaute sie lange unverwandt an, und ein angenehmer Gedanke schien ihm dabei zu kommen; denn er schmunzelte mit einem Male ganz vergnügt.

„Nun ist’s aber genug,“ meinte der Diener und nahm sie ihm aus der Hand, „hätte die Papiere eigentlich gar nicht zeigen sollen. Guten Tag, Herr Treiber! Gute Geschäfte!“

Damit ging er fort und ließ den Agenten wieder allein mit seinen Betrachtungen. Es dauerte aber nicht lange, so erschien unter der Thür des Nebenzimmers Graf Erich.

„Nun, was bringen Sie, Treiber?“ redete er den plötzlich in die lebhafteste Bewegung gerathenen und sich unaufhörlich verbeugenden Agenten an.

„Unterthänigster Diener, Herr Graf! Da Eure Excellenz neulich meinten, Sie könnten unter Umständen brauchen einen kleinen Posten –“

„Kommen Sie herein,“ unterbrach Graf Erich den Wortschwall des Agenten. Und kaum hatte sich die Thür geschlossen, so fragte er hastig: „Haben Sie das Geld?

„Gott,“ erwiederte dieser, „wenn ich das Geld hätte! Aber ich hab’s nicht, Herr Graf! Schwere Zeiten! Die Papiere gehen immer weiter herunter, und man wird so viel betrogen von schlechten Leuten!“

„Nun,“ erwiederte der Graf mit einer ungeduldigen Bewegung, „wenn Sie nichts haben –“

„Erlauben Excellenz,“ beeilte sich Treiber zu versichern, „wenn ich auch das Geld nicht habe, und ich hab’s wahrhaftig nicht, –“ er legte dabei betheuernd die Hand aufs Herz – „so kenn’ ich doch einen Mann, ’s ist ein braver, ein rechtlicher Mann, der Excellenz könnte das Geld verschaffen.“

„Was verlangt er?“ frug der Graf kurz.

„Verlangen? Gott, Herr Graf, er verlangt gar nichts; der Mann behält ja lieber seine Papiere, die er müßte verkaufen mit großem Verlust. Aber wenn Excellenz den Posten von sechzigtausend Thalern nothwendig haben müssen auf drei Monate, muß er berechnen dreißigtausend Thälerchen Provision!“

„Aber das ist ja enorm!“ rief der Graf aus.

„Es ist viel, Herr Graf,“ erwiederte Treiber, seinen Hut streichelnd, „und es ist nicht viel, wie man’s nimmt. Der Herr Graf könnten das Geld wohl billiger haben, wenn –“

„Nun?“

„Wenn der Herr Graf die Herrschaft Hochberg verkaufen wollten –“

„Nein,“ erwiederte Graf Erich bestimmt, „davon kann keine Rede sein.“

„Oder wenn der Herr Graf wollten errichten lassen eine Hypothek auf dieses Haus.“

„Nein, auch daran ist nicht zu denken. Das Haus gehört überdies der Gräfin. Wenn Sie mir das Geld nicht ohne Wechsel schaffen können –“

„Ohne Bürgen, Herr Graf?“ warf Treiber mit weinerlichem Tone ein.

Graf Erich nickte bejahend.

„Nun, sehen Sie, Herr Graf,“ fuhr Treiber fort, „ohne Bürgen, das ist so ’ne Sache! Wir sind Alle sterblich – man weiß nie, was passiren kann, und sechzigtausend Thaler ist ein Wort – und das Geld ist rar! Aber mein Mann – es ist ein rechtlicher Mann – würde dem Herrn Grafen auf seine Unterschrift das Geld schaffen, wenn – wenn der Herr Graf auf dem Wechsel über seinem Namen das Stempelchen der Baugesellschaft abdrucken würden!“

Der Agent sah den Grafen mit listigem Lächeln an.

„Was fällt Ihnen ein? Die Gesellschaft braucht ja kein Geld durch Ihre Vermittlung. Ich will das Geld für mich persönlich.“

„Weiß ich, Herr Graf, weiß ich; aber was schadt’s, wenn Sie das Stempelchen doch aufdrucken auf dem Wechsel! Wenn mein Mann das Stempelchen sieht, giebt er das Geld her, und ich behalte den Wechsel in Verwahrung, bis ihn der Herr Graf wieder einlösen am Verfalltage.“

Graf Erich stand eine Weile sprachlos über die Frechheit des Agenten, der ihm einen solchen, auf offenbare Fälschung hinauslaufenden Vorschlag zu machen wagte. Das Blut schoß ihm ins Gesicht, dann aber erhob er seinen Stock und rief: „Hinaus! Hinaus!“ Und er rief es mit solcher Heftigkeit, daß Treiber, blaß vor Schrecken, mit einigen verzweifelten Sätzen, die jeden unbefangenen Zuschauer in die heiterste Stimmung versetzt hätten, seine rundlichen Glieder zur Thür hinaus in Sicherheit brachte.

„Elender Schuft!“ murmelte der Graf halblaut zwischen den Zähnen, während er in heftiger Aufregung auf- und abschritt. Es war viel, was heute dem sonst so gelassenen und heiteren Manne drohend vor der Seele stand und keinen Augenblick mehr weichen wollte. Seine Blicke wanderten unruhig in dem eleganten, behaglich eingerichteten Raum umher, als suche er in seinem gesicherten Frieden Beistand gegen die Gewalten, die ihn bedrängten. Es schien ja fast unmöglich, sich nach langen Jahren des ruhig vornehmen Besitzes nun mit einem Male in einer so peinlichen Situation zu befinden. Alles um ihn her war unverändert; wie gestern sank sein Fuß in den weichen Teppich ein; dort glänzten die goldgepreßten Bücherrücken aus den Mahagonischränken heraus; gegenüber hing der große Ruysdael, den er so oft und gern von seinem Rauchsessel aus betrachtete – Alles das war sein, gehörte ihm wie Hand und Auge – und konnte ihm doch möglicherweise entrissen werden, wenn Schlimmes zum Schlimmen kam!

„Pah, so weit sind wir noch nicht,“ tröstete er sich selbst. „Aber – wenn ich nun auch die Summe für Eckartshausen habe, so reicht das eben nur für meine und Hugo’s Schulden. Der verdammte Junge! Muß das auch schon Geld verlieren! Und dann –“ die Hand des Grafen preßte sich gegen seine Stirn, als er ruhlos weiter schritt, „dann kommen die neuen Verpflichtungen; es ist ja unglaublich, wie rasch so ein Stoß Rechnungen wächst. Wir brauchen hier jetzt das Doppelte wie früher, und noch ist Gabriele nicht einmal bei Hofe vorgestellt; wo soll das hinaus? Aber das ginge ja Alles noch, wenn nicht –“ der Graf warf sich unmuthig in seinen Lehnstuhl, stützte den Kopf in die Hand und starrte vor sich hin. Er sah ihn wieder, den schlimmen Abend im Klub, wo er sich einem „kleinen Jeu“ nicht hatte entziehen können und wo es vom Gewinn zum Verlust, zum großen Verlust gegangen war … sechzigtausend Thaler, zahlbar in den nächsten Tagen an Karkow …

Er fuhr wieder empor und begann die rastlose Wanderung von Neuem. Jeder peinliche Gedanke wurde von einem noch peinlicheren abgelöst. In seiner Verlegenheit hatte er sich gestern – wenn auch bitter ungern – an Felsing gewandt und bis jetzt keine Antwort erhalten. Er empfand neben aller Angst über die Entscheidung diese Rücksichtslosigkeit sehr scharf.

„Im Nothfalle muß auch Hochberg verkauft werden,“ gingen jetzt die unerfreulichen Gedanken weiter. „Freilich geht so eine Besitzung um die andere in fremde Hände, aber – was will ich denn? – Die Zeiten des Adels sind nun einmal vorüber! Den Gründern und Spekulanten gehört heute die Welt!“

Er lachte bitter auf, hielt aber plötzlich in seinem Lauf inne und richtete sich stramm empor, als die Thür geöffnet wurde und der Diener unter der Portiere erschien: „Es sind zwei Herren aus Hochberg hier, welche bitten, dem Herrn Grafen ihre Aufwartung machen zu dürfen.“

„Aus Hochberg?“ wiederholte dieser erstaunt. „Mögen sie eintreten!“

Im nächsten Augenblicke standen ihm die wohlbekannten Figuren seines Schultheißen und Pfarrers gegenüber, und auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_463.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)