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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Empfindung in sich aufsteigen: also darum der Besuch! Aber er zwang sie sofort nieder und fragte ruhig: „Wie meinst Du das?“

„Sprich ihr von mir, suche die Gräfin günstig zu stimmen und treibe ein wenig, daß sie Wort halten und kommen, um meine ,Raritätenkammer’ anzusehen, wie die Komtesse sagte. Nur muß ich es einen Tag vorher wissen; ich möchte ihnen ein kleines Fest veranstalten, welches ihrer würdig wäre – ein arabisches Fest, mit Hilfe meiner schönen Teppiche, Kostüme und Waffen.“

„Fort!“ schrie es von Neuem in Richard’s Seele, „so schnell wie möglich fort!“ Dazu sprachen seine Lippen: „Du hast Recht, das kann sehr hübsch werden, und ich glaube, Komtesse Gabriele wird daran großen Spaß haben!“

„Ich sollte es denken,“ erwiederte Emil, schon in der Erwartung glücklich. „Sie schien sich sehr für meine Sammlungen zu interessiren, war überhaupt sehr liebenswürdig gegen mich. Aber man wird so verzagt, wenn man ernsthaft hofft und fürchtet, und muß sich manchmal mit Gewalt an Dies und Jenes erinnern, was Einem ungesucht geworden ist, um Kourage zu behalten!“

Er hatte, während er das sagte, einen Ausdruck von so bescheidener Liebenswürdigkeit, daß Richard im Innersten nicht mehr an seinem Erfolge zweifelte. Und warum, wenn für ihn selbst keine Hoffnung war, sollte er nicht dem Freunde alles Glück gönnen? Es war ein harter innerer Kampf, aber er stritt ihn mit Ehren und sagte nach einer kurzen Frist, mit aller Ueberzeugung in Blick und Ton:

„Ich glaube sicher, Du wirst reussiren, Emil. Auch der Graf ist, trotz eines gewissen Standeshochmuths, doch ein gebildeter und vernünftiger Mann, und er steckt neuerdings selbst so tief in finanziellen und industriellen Unternehmungen, daß ihm der Gedanke, mit Eueren Kreisen in nähere Verbindung zu treten, kaum abstoßend sein wird.“

„Ja,“ sagte Emil leiser, indem er einen raschen Blick ringsum warf, „das hätte ich beinahe über meinen Angelegenheiten vergessen – darüber wollte ich noch mit Dir reden, ganz abgesehen von meinen eigenen Hoffnungen und Wünschen.“ Er drehte ein paar Augenblicke die Cigarre zwischen den Fingern und sagte dann: „Es kommt mir vor, als ob sich allerlei Wolken über dem Grafen zusammenzögen!“

„Wieso?“ fragte Richard erstaunt.

„Ich kann es Dir auch nicht genau sagen; nur so viel weiß ich, er macht schlechte Geschäfte, und kann auf die Länge den bisherigen Train nicht fortführen. Eckartshausen ist bereits verkauft –“

„Eckartshausen, der Lieblingsaufenthalt der Gräfin?“

Emil nickte. „In den letzten Tagen. Anderes wird, fürchte ich, nachfolgen.“

„Aber um Gotteswillen, woher weißt Du denn –“

„Durch einen Zufall,“ sagte Emil aufstehend, indem er nach seinem Paletot griff. „Höre, verkehrt hier nicht ein gewisser Treiber öfter in Geschäften mit dem Grafen?“

„Ein Galgengesicht mit devoten Bücklingen und unterthänigen Redensarten?“

„Derselbe. Ihn sollte der Graf je eher, je lieber kopfüber zum Hause hinauswerfen; ich fürchte, er wird mit diesem Rathgeber bei seinen neuen industriellen Unternehmungen die schlechtesten Erfahrungen machen; ich habe Grund, ihn für einen gewissenlosen Schurken zu halten; ja, ich vermuthe sogar, daß er es direkt auf den Ruin des Grafen abgesehen hat.“

Richard war ziemlich betreten. Er erinnerte sich, daß noch vor einigen Tagen der Graf lobend von der „Gewandtheit“ des Menschen gesprochen hatte.

„Darf ich von Deinen Worten Gebrauch machen?“ fragte er endlich.

„Aber ohne meinen Namen zu nennen,“ erwiederte Emil. „Wenn der Graf ihn erführe, müßte er doch zunächst an den Einfluß meines Vaters denken, und da dieser gar nicht betheiligt ist, steht es mir nicht zu, ihn zu kompromittiren. Aber die Sache verhält sich so. Warne den Grafen, warne ihn nachdrücklich, es ist Ursache dazu.“

Er drückte dem Freunde die Hand zum Abschied und sagte, indem er sich zum Gehen wandte:

„Ich möchte der Gräfin noch meine Aufwartung machen. Finde ich Jemand draußen, um mich zu melden?“

„Ich will gleich nachsehen,“ erwiederte Richard; „komm nur einstweilen mit hinüber.“

Dann kehrte er, während Emil dem voraneilenden Diener in den Seitenflügel folgte, nach seinem Zimmer zurück. Die neue Abhandlung, von einem bedeutenden Zoologen geschrieben, in der er heute nach Tisch eine Stunde lang mit großem Interesse gelesen, lag noch an derselben Stelle aufgeschlagen, und mechanisch setzte er sich wieder daran. Aber eine Viertelstunde um die andere verging, ohne daß er eins der engbedruckten Blätter umwandte; seine Augen hafteten an den Zeilen; aber es war ihm unmöglich, auch nur den Sinn einer einzigen zu erfassen. Vergebens versuchte er, seine Gedanken mit Gewalt auf die Lektüre zu lenken; sie kehrten augenblicklich zu ihrem Ausgangspunkt zurück und zergliederten rastlos alles heut Erlebte in selbstquälerischer Schärfe. Er wollte soweit kommen, das „natürliche Ende“, Gabrielens und Emil’s Verbindung, mit ganz ruhigen Augen anzusehen. Aber, er kam nur soweit, mit einem unwillkürlichen Aufseufzen endlich halblaut zu sagen: „Es muß sein. Ich melde mich sofort um die Stelle für das Aquarium, hoffentlich ist sie noch frei.“

Der gefaßte Entschluß hat immer eine erlösende Kraft. Ruhig und ohne weiteres Grübeln holte sich Richard Papier und Feder, und bald war seine Aufmerksamkeit vollständig von dem Schreiben in Anspruch genommen, das er mit festen Zügen begann.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

E. Marlitt †. Unsere „Gartenlaube“ hat einen tiefschmerzlichen Verlust erlitten: Eugenie John (E. Marlitt), die Schriftstellerin, die mit unserem Blatte aufs Engste verwachsen war, die seit Jahrzehnten unsere Leser durch ihr seltenes Erzählungstalent gefesselt hat, ist am 22. Juni in Arnstadt an den Folgen einer Rippenfell-Entzündung aus diesem Leben geschieden. Wie Wenige besaß sie die Lust am Fabuliren, den Reichthum der Phantasie, aus dem immer neue Geschichten und Gestalten hervorquellen – und sie selbst lebte glücklich in dieser Phantasiewelt, seitdem ein dauerndes Leiden sie von der äußern Welt mehr oder weniger abgeschlossen. Und doch – es herrschte keine mißmuthige Stimmung, keine düstere oder gar verzweifelte Weltanschauung in den Bildern, welche sie uns entrollte: es war so viel Lichtes und Anmuthendes in ihren Erzählungen, so viel Sonnenschein; niemals hat sie Grau in Grau gemalt; sie freute sich der bunten Farben des Lebens und ließ auch Andere sich daran erfreuen.

Nun ist sie dahingegangen, die Schöpferin so vieler holdseliger Mädchengestalten, die Erzählerin so wechselvoller Lebensschicksale, die unsere Leser und Leserinnen so lange Zeit in ihrem Banne gehalten, die Muse des „häuslichen Herdes“, welchen sie nie durch eine unreine Empfindung, ein unedles Wort entweihte.

Wir wissen, daß die Trauer um unsere erfolgreichste und treueste Mitarbeiterin von Allen getheilt wird, die unserem Blatte seit langen Jahren warme Anhänglichkeit bewahrt haben, und auch die Stimme derjenigen, welche ein anspruchsloses Schaffen glaubten verurtheilen zu dürfen, weil sie es mit dem Maße unberechtigter Ansprüche messen wollten, werden verstummen der Todten gegenüber, deren jetzt abgeschlossenes Wirken so bescheiden und doch in seltenem Maße einflußreich und weitreichend gewesen.

Wir werden noch ausführlicher auf das Leben und Schaffen von E. Marlitt eingehen, welche, soweit es ihre Krankheit verstattete, noch immer beeifert war, für unser Blatt zu dichten und uns ein neues Werk ihrer schöpferischen Phantasie zuzuwenden. Heute legen wir in Wehmuth und Trauer dies flüchtige Blatt mit unserem warmempfundenen Nachruf auf ihr frisches Grab – Friede ihrer Asche! Die Redaktion. 

Eine neue Schwarzwaldbahn. Durch die Eröffnung der ersten Höllenthalbahnstrecke ist nicht nur die wichtige Linie Donaueschingen-Freiburg ihrer Verwirklichung nahe gerückt, sondern vor allen Dingen der schönste Theil des Schwarzwaldes so recht dem touristischen Genuß erschlossen. Wer jemals vom Freiburger Schloßberg aus das Auge nach den ernsten Feldberghöhen wandte und langsam über die herrlichen Wälder und Matten zu seinen Füßen zurückstreifen ließ, der kennt den Reiz jenes unvergleichlichen Thales und kann ermessen, welcher Zuwachs von genußvollen Touren nun den Bewohnern in den Schoß fällt. Künftig wird man an schönen Sommertagen nach Tisch in Freiburg wegfahren, an dem hochgelegenen, waldumgebenen Titisee den Nachmittag zubringen und Abends wieder in der Stadt sein können, wenn man es nicht vorzieht, von dort aus die Wanderung weiter zu richten zum „waldigen Feldberg“, von dem der alte Hebel singt, an den man hier auf Schritt und Tritt gemahnt wird. Eine Wanderung durch die von ihm so sehr geliebten und gefeierten Thäler gehört zu den schönsten Genüssen, und es ist nur zu wünschen, daß die neue Bahn, indem sie Vielen dieselbe erleichtert, auch den umgebenden armen Gegenden zum materiellen Segen werden möge.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_450.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)