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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

aber Du wirst begreifen, daß es nicht Lebensziel für mich sein kann, einen albernen Jungen zu unterrichten, der ebenso gut wild aufwachsen könnte, und …“ Er hielt inne, wie von der plötzlichen Erinnerung an etwas ganz Anderes ergriffen, fuhr dann aber in ruhigerem Tone fort:

„Für einen Zoologen giebt es kaum eine andere, als die akademische Karriere, für sie habe ich Neigung und Fähigkeit, ich mußte mich also einrichten, um Fühlung mit der Universität zu behalten, ohne die kostspieligen Privatdocentenjahre zu leben. Das konnte ich hier. Der Graf ist ein ebenso gescheiter wie vortrefflicher Mensch –“

„Er hat mir vorgestern den angenehmsten Eindruck gemacht,“ sagte Emil, „auch die Gräfin.“

,Sie ist eine vorzügliche Frau,“ erwiederte Richard lebhaft; „ich bin Beiden großen Dank schuldig und bemühe mich, ihn an dem Jungen abzutragen, dessen Fassungsgabe meine Geduld oft auf harte Proben stellt. Der Graf, der meine Situation vollkommen versteht, giebt mir ein reichliches Gehalt und beansprucht nur meine halbe Zeit, so daß ich jeden Nachmittag bis spät am Abend draußen im physiologischen Institut zubringe und dort eine Arbeit mache, die schwierig und zeitraubend ist, aber, wie ich sicher hoffe, meinen Namen bekannt machen wird. Du siehst also, meine Zeit ist besetzt, ich darf nicht rechts noch links sehen. Um diesen Weg gehen zu können, habe ich ein anderes Anerbieten ausgeschlagen, das viel verlockender aussah als die Stelle eines gräflich Hochberg’schen Hauslehrers. Ich sollte Sammler für ein großartiges Aquarium werden, das sie in Petersburg errichten wollen, hätte meinen Wohnsitz etwa an der Riviera oder in der Nähe von Venedig nehmen können mit einer eigenen Wohnung dicht an der Küste, und dafür lag mir nur die Verpflichtung ob, die Herren Russen mit immer neuen Meeresschaustücken zu versehen. Natürlich wäre mir daneben reichlich Muße zu eigenen Arbeiten geblieben, ich zog aber den Aufenthalt hier vor, die Möglichkeit, selbst noch mehr zu lernen, und den Anschluß an unsern genialen Zoologen Volkmann, dessen Umgang und Beistand für mich geradezu unschätzbar sind.“

Emil drückte dem Freunde kräftig die Hand. „Du bist noch der alte Prachtkerl: die Augen fest aufs Ziel und vorwärts! Einer solchen Arbeit fehlt der Erfolg nicht. Noch ein paar Jahre und Du stehst an einer tüchtigen Stelle, während ich, der es leider nicht nöthig hat, Felsing’scher Haussohn bleibe, geborenes Mitglied der geographischen Gesellschaft, mit der Erlaubniß, alle zwei Jahre einmal eine zahme Reise nach wohlbekannten Küsten zu machen, aber ohne jede Aussicht, dorthin zu kommen, wo Neues zu finden wäre und man sich einen Namen machen könnte …“

„Und wo wäre das etwa?“ fragte Richard.

„In den Gletscherthälern des Kuen-Luen zum Beispiel oder mit einer unserer Polarexpeditionen, oder wenigstens nach Uganda zu König Mtesa, um diesen interessanten Völkerhirten aus der Nähe kennen zu lernen – aber daran ist ja kein Gedanke! Ich könnte es vielleicht durchsetzen, wenn ich alle Minen springen ließe, aber es würde ein solches Herzeleid für meinen Vater sein, daß ich nicht daran denken darf. Später einmal vielleicht – einstweilen muß ich mich an die Beförderung durch Eisenbahn und Postdampfer haltent und auf die vermittelst Hundeschlitten und Büffelkarren verzichten …“

„Erzähle mir,“ sagte Richard, sich wieder zu ihm setzend, „wo bist Du bis jetzt herumgekommen?“

„Was ist da viel zu erzählen?“ erwiederte Emil, indem er nach dem Feuerzeug griff und eine Cigarre anbrannte, „ich kam gerade weit genug, um zu sehen, daß die Welt überall ziemlich dieselbe ist. Im Atlas glotzten mich die Amazirghbauern mit denselben Gesichtern an, wie unsere Hansjörgel hier, in Algier klagten mir die Händler über die Noth ihrer Kunstindustrie im Gedränge mit der Pforzheimer Konkurrenz; die Palmen sind dort struppiger als die unsern in den Gewächshäusern, und der Himmel nicht so blau, wie man ihn ausschreit. Und wie klein ist doch die Welt! Man kann auch in Afrika keine drei Schritte machen, ohne auf Bekannte zu stoßen – ich habe dort die merkwürdigsten Leute in den merkwürdigsten Situationen wiedergefunden und mir dabei allerhand Vorurtheile abgewöhnt. Nun, und so weiter. Wenn Du mich besuchst, wozu Du Dich nun doch hoffentlich verstehen wirst, erzähle ich Dir mehr davon.“

„Eins mußt Du mir aber doch noch sagen: woher weißt Du denn, daß ich überhaupt hier bin?“

„Sehr einfach, durch Deine Schülerin, Komtesse Gabriele.“

„Ach so,“ lachte Richard, „nun verstehe ich auch den Brückenreiter, den sie mir vorhin an den Kopf warf.“

„Natürlich,“ erwiederte Emil ebenfalls lachend, „sie forschte so eifrig nach der Vergangenheit ihres ehrfurchtgebietenden Lehrers, daß ich der Versuchung nicht widerstehen konnte. Uebrigens ist sie ein wirklich reizendes Geschöpf! Wie viel natürliche Anmuth in Linien und Bewegung, welch eine Frische in Gedanken und Ausdruck! Sie war mir schon lange im Park beim Spazierenreiten aufgefallen mit ihren strahlenden Kinderaugen aus allem aristokratischen Toilettenschick heraus. Die Art, wie sie im Reiten einem Gruße dankt, ist geradezu entzückend: so ein gewisses vornehmes Kopfnicken mit einem kleinen aufblitzenden Schalk um die Mundwinkel. Ich beneide Dich, Du Glückspilz, um eine solche Schülerin. Aber mir scheint, daß Dir die Augen fehlen für dieses kleine Schöpfungswunder. Dreifaches Erz um die Brust sitzest Du hinter dem Mikroskop!“

Richard wandte sich halb ab und räumte ein paar Bücher zur Seite, wie um mehr Platz auf dem Tischchen zu machen. Dabei sagte er ruhig: „Jedenfalls ist es für einen armen Teufel klüger, ins Mikroskop zu sehen, als in die blauen Augen einer jungen Gräfin, die für ihn unerreichbar ist, wie die Sterne am Himmel.“

Emil betrachtete prüfend die schlanke Gestalt seines Freundes und das jugendschöne Gesicht, welches jetzt einen so andern Ausdruck hatte, als in den frohen Studententagen. Der bräunliche Teint, die dunklen Haare waren noch dieselben; aus dem Flaum der Oberlippe aber war ein hübscher, weicher Bart geworden, der die energischen Linien des Mundes halb verdeckte. Dafür hatten sich alle andern Züge gefestigt und vertieft; sie waren nicht weniger anziehend, aber viel bedeutender geworden, und Emil fühlte heute wie ehemals den bestimmten Herzenszug, welcher der Freundschaft zu Grunde liegt, wie der Liebe … Aber in seine Bewunderung von Richard’s männlicher Schönheit mischte sich plötzlich ein anderer Gedanke: war es denn nicht nur zu wahrscheinlich, daß der kleinen Komtesse dieser interessante Lehrer gefährlich war? Solche junge Mädchen – und mit welcher Angelegentlichkeit hatte sie von ihm gesprochen! Ein Rival, auch wenn es der beste Freund ist, bleibt ein Rival …

„Richard!“ sagte er plötzlich; „es scheint mir, daß Deine schöne Schülerin etwas hellere Augen hat als ihr stoischer Lehrer. Sie sprach neulich sehr warm über Dich – und im Grunde bist auch Du in sie verliebt, gestehe es nur!“

„Was fällt Dir ein!“ fuhr Richard so entrüstet auf, daß Emil sich vollständig erleichtert fühlte. „Weder sie noch ich haben einen solchen Gedanken. Wenn hier überhaupt Jemand verliebt ist, so wirst Du es wohl sein, der für seine Bewunderung nicht genug Worte finden kann!“

Es sollte ein Pariren aus Nothwehr sein, was er sagte. Aber alles Blut schoß ihm jäh zum Herzen, als Emil seine Hand faßte und ausbrechend rief:

„Nun denn, ja, ich bin verliebt, und zwar so, daß ich seit vorgestern herumgehe wie ein verwandelter Mensch. Sie hat es mir vollständig angethan – es ist ein schrecklicher Unsinn, so für eine Sechzehnjährige zu entbrennen, aber was will ich machen? Ueberall sehe ich die blonden Haare mit den goldenen Lichtern. höre ihre Stimme, sehne mich nach ihrer Gegenwart, und wenn das nicht bald anders wird, so bleibt mir Nichts übrig, als die große Thorheit wirklich zu begehen und vor den gräflichen Papa hinzutreten, um ihre Hand zu bitten – und mir höchst wahrscheinlich einen Korb zu holen.“

„Warum?“ entgegnete Richard mit mühsamer Ruhe. „Deine Persönlichkeit und Stellung geben Dir doch alle Aussicht auf Erfolg, und wenn sie Dich liebt –“

„Wenn sie mich liebt! – Aber das ist es eben – das zu hoffen habe ich vorläufig nicht den mindesten Grund, und wie soll ich es anfangen bei dem entfernten gesellschaftlichen Verhältniß zwischen unseren beiden Häusern, um ihr näher zu treten?“

Emil durchmaß rasch das Zimmer ein paar Mal, dann blieb er vor Richard stehen und sagte: „Du allein könntest mir helfen!“

„Ich? Ich soll Dir helfen?!“ erwiederte Richard, indem er aufsprang und ans Fenster trat. Er fühlte eine bittere

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_448.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)