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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

großen Garten sollten irgendwo ein paar einfache Bänke und ein fester Holztisch stehen. Sehen Sie vielleicht einen solchen Tisch?“ Und sie streifte mit mißbilligenden Blicken die breiten geschweiften Bänke unter den Kastanien sowie die halbrunde marmorne Sitzgelegenheit um das Springbrunnenbassin. Einen Tisch sah Friedrich nun wohl nicht, aber er schüttelte dennoch den Kopf.

„Wenn nur der Herr Graf nicht recht böse werden, wenn sie herunter kommen“ wagte er neuerdings einzuwenden.

„Ja,“ schrie Hans schadenfroh, „das wird Papa gewiß. Ihr habt ja den ganzen Rasen verdorben, und dann sage ich auch, Gabi, daß Du die ganze Geschichte angegeben hast. Und ich sage ihm auch noch, daß Du heute bei Rothenburgs abgesagt hast, um das Ding da aufzubauen und dem lieben Herrn Doktor damit eine Freude zu machen …“

Hier fühlte der kleine Unhold einen festen Griff an seiner Schulter, und die gebietende Stimme, welcher er, wenn auch äußerst ungern zu folgen pflegte, sagte in scharfem Tone: „Das läßt Du bleiben, wenn Du nicht als ein elender Feigling angesehen sein willst!“

Hans warf seinem Lehrer einen bösen Blick zu und rannte dann ins Haus. Indem er sich nun zu dem tief erröthenden Mädchen wandte, sagte Doktor Reiter ruhig und unbefangen: „Es ist sehr freundlich von Ihnen, Komtesse Gabriele, den Gedanken, den ich neulich einmal flüchtig aussprach, gleich ins Leben setzen zu wollen. Aber ich glaube auch, die angefangene Laube kann hier nicht stehen bleiben.“

,O,“ rief Gabriele mit aufgeworfenen Lippen, „und warum nicht?“

„Weil der Grundeigentümer nicht gefragt wurde,“ entgegnete scherzend der junge Mann, „und weil die marmornen Tanten hier wirklich entsetzt scheinen über solchen Frevel. Wollen wir nicht rasch die Stangen und Latten abnehmen? Vielleicht erlangen wir die Erlaubniß, sie am untern Gartenende wieder aufzurichten oder wenigstens einen Tisch unter den Kastanien …“

Gabriele hatte Hammer und Nägel bei Seite gelegt und sah unverwandt in die hellen braunen Augen des Redners, die so freundlich zu blicken verstanden; sie folgte dann seinen Bewegungen, als er gewandt und kräftig zugriff und in wenigen Augenblicken ihr Werk von einer Stunde zerstörte. Als aber Friedrich sich offenbar sehr erleichtert mit der Last entfernte, zuckte die kleine Gräfin die Achseln, nahm der Flora ihr Jäckchen ab und sagte, indem sie sich zum Gehen wandte und dem großen Strohhut einen entschlossenen Ruck gab.

„Wissen Sie auch, daß Sie ein rechter Pedant sind?“

„Nein, das wußte ich bis heute nicht,“ entgegnete er heiter; „woraus ziehen Sie denn diesen plötzlichen Schluß?“

„Aus Ihrer Unzufriedenheit, daß ich da mit Friedrich herum hantirte!“

„Sie täuschen sich völlig, Komtesse; ich freute mich im Gegentheil Ihrer Freundlichkeit gegen den Mann und seiner verklärten Miene. Meine Furcht war wirklich nur, daß der Herr Graf ärgerlich werden könne –“

„Ach, der Papa,“ lachte der junge Leichtsinn, „der ist nicht halb so gefährlich wie Sie. Und neulich –“ sie stellte sich entschlossen quer über den Weg, „warum durfte ich da nicht mit, als Sie bei dem herrlichen Wind mit Hans im Segelboot fuhren, und warum wollen Sie nie mit uns ausreiten und sehen allemal unzufrieden aus, wenn ich mir Othello satteln lasse? Solche Dinge sind ja wohl ganz unweiblich, wie?“

Doktor Reiter machte ein erstauntes Gesicht. Ein Gelehrter braucht immer einige Momente, um sich in einem unvorhergesehenen Platzregen weiblicher Vorwürfe, und kämen sie aus einem sechzehnjährigen Munde, einigermaßen zurechtzufinden.

Seine kleine Gegnerin bemerkte dies mit vieler Genugthuung. „Ja, ja, leugnen Sie nur nicht!“ beharrte sie. „Mademoiselle Renard sagte mir gestern und noch dazu französisch in ihrer langweiligen Konversationsstunde, daß der Herr Doktor sich so geäußert hätte.“

Diesem blitzte eine Erleuchtung auf. Bis dahin hatte er die kleine schwarzgelbe Französin und ihre angelegentlichen Blicke kaum bemerkt. „Ach so,“ sagte er gedehnt, „nun, Mademoiselle Renard hat sich da keiner großen historischen Treue beflissen. Ich nannte Ihre Spazierritte nicht unweiblich, sondern bedenklich, weil ich neulich sah, zu welch’ rasendem Galopp Sie Ihren Othello spornten, und ich nehme keinen Anstand, Ihnen selbst zu sagen, daß ich es unvernünftig finde, sich einer solchen Gefahr auszusetzen!“

„Also doch unvernünftig! Nun,“ der Schelm blitzte bereits wieder lebhaft aus den blauen Augen, „Sie müssen da eben etwas Nachsicht haben mit der Jugend. Die meisten Leute sind in ihren jüngeren Jahren noch nicht so sehr vernünftig, wie sie es später werden können. Das bitte ich Sie ergebenst zu bedenken, Herr Doktor – Brückenreiter!“

Und mit lautem Lachen glücklich über den gelungenen Kernschuß, lief das übermüthige Mädchen davon und war bald im Hause verschwunden.

Der Doktor blieb in sprachlosem Erstaunen zurück. Woher in aller Welt hatte sie diesen ihm selbst verklungenen Spitznamen seiner Studentenzeit erfahren? Er konnte nicht einmal zu einer Vermuthung darüber kommen, kehrte endlich um und schritt langsam die Allee hinunter, ganz in Gedanken verloren. Wo war denn nun die Vernunft, die er sich vorhin noch so feierlich angelobt? Verflogen und zerschmolzen unter dem Blick der hellen Augen, dem Klang ihres fröhlichen Lachens! Konnte man denn eine solche Schwachheit für möglich halten? Und nun … nach dieser Erfahrung – was weiter? Eine feste Stimme in dem ehrlichen Herzen sprach. „Fortgehen!“ Aber sie mußte es mehrmals sagen, bis sie gehört wurde, und auch dann folgte heftiges Widerstreben. War es denn wirklich Pflicht, sich von hier zu lösen, das liebgewordene Haus aufzugeben und den ahnungslosen Menschen auch noch falsche Gründe vorzuspiegeln? „Ja, es muß sein,“ wiederholte die unerbittliche Stimme, „du könntest dem Grafen nicht mehr in die Augen sehen. Lächerlich – oder schlecht! Eins so schlimm wie das Andere. Entschließe dich schnell, es ist nicht anders …“

Mitten in diese Ueberlegungen klang ein eiliger Schritt, und aufblickend sah der junge Mann einen der Lakaien, der ihm eine Visitenkarte überbrachte. „Der Herr wartet oben.“

„Emil Felsing!“ Doktor Reiter wandte sich eilends um, und mit ein paar Sprüngen eilte er die Treppe hinauf in sein Zimmer.

„Emil, Du! Wie freue ich mich, Dich zu sehen, alter Junge!“

„Nun, die Freude hast Du Dir ziemlich lange zu versagen gewußt,“ erwiederte etwas ironisch der junge Felsing, „was fällt Dir denn ein, Mensch, hier als Veilchen im Verborgenen zu blühen und kein Lebenszeichen zu geben? Daß ich hier in der Stadt bin, hast Du doch sicher gewußt!“

„Ja, das wußte ich,“ erwiederte Reiter, indem er den Freund zum Sitzen nöthigte, mit einer leichten Verlegenheit.

„Nun, – und?“

„Und – Du kannst Dir das vermuthlich nicht vorstellen – mein Leben ist hier ein so ganz anderes, als es meine Freunde von früher kennen, ich muß so angestrengt arbeiten, um im Gleichgewicht zu bleiben, daß ich nicht über meinen engen Kreis hinausblicken darf. Ich hatte wohl immer vor, Dich einmal aufzusuchen, es kam aber nicht dazu. Meine gegenwärtige Stellung legt mir eine gewisse Reserve auf. Du wirst mich verstehen –“

„Nein, das verstehe ich wirklich nicht,“ sagte Emil und streckte sich im Schaukelstuhl aus. „Und Dir hätte ich so etwas am allerletzten zugetraut! Was ist das für eine Kleinlichkeit! Weil Du im Augenblick die wenig imposante Stellung eines Hauslehrers bekleidest, fühlst Du Dich im Gemüthe bedrückt und vermeidest alte Freunde? Laß Dir sagen, daß das Einem komisch vorkommt, der vor Jahresfrist in Amerika mit einem Manne zusammen wohnte, welcher erst Schreiner gewesen war, dann später Staatssekretär wurde – allerdings noch später wieder einmal Versicherungsagent, und der jedes Stadium seiner Laufbahn mit der vollkommensten Gemüthsruhe ausfüllte. Von diesen Leuten könnt ihr empfindlichen Kategorie-Menschen noch viel lernen!“

Richard’s Stirn hatte sich geröthet. „Du hältst mich wohl nicht im Ernste für einen solchen Einfaltspinsel,“ sagte er rasch; „wenn ich mich der Stellung hier im Hause schämte, würde ich sie nicht angenommen haben. Etwas halb zu thun, war niemals meine Sache.“

„Das weiß ich, mein Alter,“ versetzte Emil gemüthlich. „Heidelberg kann davon erzählen.“

„Nur wußte ich damals noch nicht,“ ergänzte Richard, „wie die Freiheit des Menschen vom Gelde abhängt, das ich so freigebig verthat und so gründlich verachtete. Die Konsequenz davon ist meine heutige Hauslehrerstelle. Ich beklage mich nicht darüber;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_447.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)