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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

zerrissene Lackstiefeln an den Füßen, in zwei Taschen steckten Visitenkarten, beschmutzt und verschabt, mit dem pompösen Namen: ‚Freiherr Trutz von Gamlingen zu Trachenberg.‘ Und nun nehmen Sie sich die Sache nicht zu sehr zu Herzen, lieber Trutz. Schade um den armen Jungen – sein Schicksal hat uns gewiß Alle gefammert, aber vielleicht ist es das Beste so! Wer weiß, was aus ihm geworden wäre!“ Dann ein mit Tintenstrichen zugedeckter Satz, welcher das Wort „verpfuscht“ zu enthalten schien. „Sie werden nun zu sich kommen, Sie werden vernünftig sein – nehmen Sie mir’s nicht übel, aber ich habe Sie in letzter Zeit nicht ganz kapirt. Na, wenn Sie kommen, so müssen Sie schon gestatten, daß Ihnen Ihr alter Mühüller im Wetteifer mit den Tanten den Kopf zurechtsetzt.“

Walther las dieses nicht zu Ende. In einer plötzlichen Bewegung sprang er von dem Brief ab und öffnete Adolf’s Schreiben.

Es enthielt nochmals die Todesnachricht, dann einige Details äber das Begräbniß. Es war Alles geschehen, was man Dicks und seiner Familie schuldig war. Man hatte ihn freilich in aller Stille bestattet, nur wenige Leidtragende, er, Adolf, sein Kompagnon, Herr Belzig, Mühüller, Olga von Gamlingen, auch ein paar Arbeiter, unter anderen jener gewisse Mäpke, hatten sich eingefunden. Von diesem hatte er Einiges über die letzten Schicksale des Verstorbenen in Erfahrung bringen können. Nicht viel, immer wieder der Refrain des Arbeiters: „Ein Unglück für ihn, daß er an den Namen gerathen!“ Von da ab war er für die ehrliche Arbeit verdorben. Der Baron war ihm in den Kopf gestiegen. Die Noth zwang ihn wohl. Aber der Name, der Rappel dieses Namens, jagte ihn immer wieder von der Arbeit. Ein Baron und arbeiten! Da verfiel er dem Trunk und sank immer tiefer. Es ging so grauenhaft schnell abwärts. Vielleicht wenn er sich ermannt und den Namen abgeworfen und den Rausch mit diesem Baron ausgeschlafen hätte … aber der saß ihm zu dick im Kopfe. Der Götze verlangte es so!

Durch seinen eigenen Namen zu Grunde gerichtet!




28.0 Das Land der Freiheit.

„Nun ist Alles gerettet! Der Alp wird sich von uns heben, wir werden wieder aufathmen. Dem Namen droht keine Gefahr mehr – wir dürfen ihn von nun an in Ruhe genießen und uns seiner zu freuen beginnen. Jetzt erst ist er uns zu eigen.“

So hört er die Anderen sprechen und flüstern. Sie wagen das zwar nicht offen auszusprechen, aber zwischen den Zeilen der Briefe grinst die Freude über diese Erlösung.

Dumpf brütend steht er am Fenster seines Hotels, das die begehrte Aussicht auf den weltberühmten Dom bietet. Er sieht das gigantische Werk, das übermächtig sich in den Himmel reckt, in der Verklärung der Abendröthe leuchten und den zauberischen Dämmer des Mondscheins über den Wald der Pfeiler, Fiale und Wimperge gebreitet. Was ist’s für ein Spuk, daß das herrliche Werk, das Andere zu überwältigen und berauschen pflegt und das er selbst zum ersten Male erschaut, auf ihn keinen Eindruck macht? Man ist eben daran, den Gipfel der beiden Thürme zu bekrönen und das von hier aus wie ein feines Gespinst wirkende Gerüst von den oberen Theilen des Baues zu entfernen. Da vernimmt er wohl das Keuchen der Dampfmaschine, welche das Hebewerk treibt, und das Girren des letzteren, auch fällt ihm das Krächzen der Krähen auf, das so laut in dem gemeißelten Wald wiederhallt. Warum nur das? Es ist, als habe er für jetzt und allezeit die Fähigkeit eingebüßt, sich über etwas Großes und Herrliches zu freuen.

Nun, er hat ja den Namen, dessen er sich freuen wird! „Jetzt erst gehört er uns!“ – wie ein höhnisches Lachen klang das ihm.

Und er gab sich so verzweifelte Mühe, seine Zukunft, ihr gemeinsames Glück auf der Basis des Namens wieder aufzubauen – immer wieder stürzte das Kartenhaus zusammen.

Doch sein Weib? Liebe – das was ihm das Herz seines Herzens und das Mark seiner Seele bedeutete?

Da saß er und tiftelte, nörgelte, krittelte und untersuchte so lange, bis er auch hier nichts als das alltäglich Häßliche, das erdenmäßig Kleine, das erbärmlich Menschliche gewahrte und in Verzweiflung das letzte Ideal zusammenstürzen sah.

Sie ist ein eitles Weltkind – sie ist zu sehr die Tochter ihrer Mutter, der Dämon ist zu mächtig in ihnen Beiden. Der Name bedeutet ihnen wahrhaftig die Seligkeit auf Erden. Es wäre grausam, ihnen Lust und Licht und die Bedingung ihres Seins zu rauben. Nein, ich werde Melitta nicht in diesen Bankerott mit hinabstürzen!

Sie würde elend verkümmern. Sie ist an Glanz und Ehre und Sonnenschein gewöhnt, sie würde ersticken. Mag sie sich des Namens freuen, so lange sie dies vermag. Ich aber – und in Gedanken schleuderte er den Namen zur Erde, wie er vor Wochen das Schild hingeschleudert.

Er wollte sich keinen Schwankungen mehr aussetzen und endgültig mit dem Namen brechen. Ehe er also an sein Weib schrieb, reichte er sein Abschiedsgesuch ein, bis zur Erledigung desselben den üblichen Urlaub erbittend. Was dann?

Sie und Niemand von ihnen Allen gedachte er wieder zu sehen. Er könnte sie ja vor den Entschluß stellen und er ist sicher, sie wird keinen Augenblick zögern, und das Gebot ihrer Pflicht wird sie ihm folgen heißen bis ans Ende der Welt. Aber bis aus Ende der Welt wird sie ihn nicht begreifen können, wie eine Mauer wird der Schatten des Namens zwischen ihnen aufgebaut bleiben.

Also fliehen! Den Namen abwerfen und fliehen! Meinetwegen nach Amerika! Den Namen meiner Väter sühnen von der Schmach, die ich ihm angethan. Ehrliche tüchtige Arbeit – Alles, das ganze Leben nochmals von vorne beginnen …

Für wen? Wozu das?

Ein Kleinmuth, eine wachsende Verzagtheit bemächtigte sich seiner und der Gedanke an ein anderes unbekanntes Land, in dem er eine Zuflucht finden könnte, begann sich über seine Seele auszubreiten. Das Land der vollkommensten Freiheit, wo es keine Lüge und keine Heuchelei, keine Scham und keine Reue mehr giebt, wo die Namen wie die Namenlosen in bewundernswerther Toleranz friedlich zusammen hausen, wo Niemand mehr sich zu bücken braucht vor den Flitterpuppen, die in der großen Harlekinade dieses Lebens die Götzen spielen.

Er schrieb an sein Weib. Er wollte sie allmählich auf Alles vorbereiten, mochte die Flucht diese oder eine andere Richtung nehmen. Er meinte es vorsichtig anzufangen und deutete nur von fern darauf hin, daß er im Stande wäre, seinen Abschied zu nehmen und den Namen abzulegen. Jetzt, warum gerade jetzt, nachdem jede Gefahr für den Namen beseitigt? – Sie würde wohl schwerlich den sonderbaren Entschluß begreifen. Er wollte also nichts einfließen lassen, das sie direkt erschrecken und aufstöbern konnte – einstweilen noch nicht! Aber der unselige Schatten lastete so schwül auf seinen Worten und der fatalistische Wahn, daß ihr Glück an dem Namen zerschellen müßte, stierte durch die Zeilen – und dann die Sehnsucht nach dem Land der vollkommensten Freiheit …




29.0 Nach Amerika.

So träge und mürrisch, jeder freundlichen Himmelshelle überdrüssig, wälzte sich dieser Novembermorgen herauf.

Walther hatte sich früh nach einer schlaflosen Nacht erhoben. Jetzt stand er am Fenster, die heiße Stirn gegen die Scheibe gedrückt. Vom nahen Bahnhof kam der hohl klagende Ton einer Lokomotive und das Kreischen bremsender Räder, Omnibusse und Droschken, von Regen triefend, rasselten über das Pflaster; auf dem Korridor vermehrte sich das Hin und Her von Tritten. Es war die Stunde des Berliner Kourierzuges, der eben eingetroffen sein mochte.

Wenn sie … wenn sie käme …! Er zitterte innerlich vor der fernsten Möglichkeit einer solchen Ueberraschung. Sie hatte doch seinen Brief noch nicht, er hatte ihn doch selbst erst gestern Abend in den Briefkasten des Zuges geworfen. Und wenn sie sich, von der Stimmung, weniger von dem Inhalt des Briefes alarmirt, sofort aufmachte, so konnte sie doch nicht vor morgen früh da sein.

Ersehnte er denn ihr Kommen? Als wenn das die Rettung bedeutete!

Er malte sich’s aus, wie es sein müßte, wenn sie jetzt käme. Er sieht ihre schlanke Gestalt, im Mantel vermummt, auch das Haupt gleich einer Flüchtenden dicht verhüllt, ins Koupé steigen, er sieht sie dort in die Ecke geschmiegt sitzen, mit offenen Augen in die müde Dämmerung des Koupés hinein starrend; er sieht sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_422.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)