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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


„So, das will er nicht?“ Felsing schlug ein kurzes häßliches Lachen auf. „Er wird wohl so fortmachen, dann kommt der Tag, wo man ihn von Haus und Hof jagt, wie einen Bettler, diesen vortrefflichen Herrn Grafen.“

Der Agent stand erstaunt über den plötzlichen Ausdruck von wildem Haß in Blick und Ton des sonst so kalten Mannes. So hatte er ihn noch niemals gesehen. Er rückte näher und fragte in unterwürfig schmeichelndem Ton. „Wie meinen der Herr Konsul?“

Allein dieser erwiederte schroff: „Nichts! Machen Sie jetzt, daß Sie fortkommen, und bringen Sie mir morgen die Papiere.“ Er trat an den Schreibtisch, während Treiber sich zur Thür hinaus wand und in seinen stillen Gedanken die plötzliche Aufregung seines Patrons als wohl zu beachtendes und sehr merkwürdiges Moment in Erinnerung zu behalten beschloß. Aber noch ein Anderer fragte sich befremdet, was hier eigentlich verhandelt worden sei? Während der letzten Reden hatte sich leise die Thür von Felsing’s nebenan liegendem Schlafzimmer geöffnet und ein blonder, schlankgebauter junger Mann im Gesellschaftsanzug war auf der Schwelle erschienen, aber stehen geblieben, als er den Agenten sah. Nach dessen Weggang trat er einen Schritt näher: „Vater!“

Felsing fuhr aus seinem Brüten auf. „Du, Emil – was willst Du?“

„Dich herüber holen, Vater, wir müssen auf den Posten. Aber vorher – Du erlaubst, daß ich die Luft von der Anwesenheit dieses Mannes reinige.“ Und er öffnete ruhig einen der Fensterflügel.

„Du bist komisch mit Deinen Antipathien, Emil,“ sagte Felsing, indem seine Augen doch mit großer Genugthuung auf der hohen Gestalt und den feinen, regelmäßigen Zügen des ihm so unähnlichen Sohnes ruhten. „Das Geschäft erfordert mancherlei Werkzeuge, und dieser Treiber ist ein sehr brauchbares.“

„Aber auch ein sehr schmutziges,“ entgegnete Emil mit lebhafter Verachtung. „Nimm es mir nicht übel, Vater, aber ich gäbe viel darum, wenn ich diese Kreatur nicht mehr in unser Haus schleichen sähe. Ich habe allen möglichen Respekt vor dem Geschäft, wenn es Macht aus Ehrenhaftigkeit und Intelligenz gewinnt, aber eben darum ist mir der Anblick dieses sogenannten Geschäftsmannes und notorischen Wucherers hier äußerst fatal. Warum duldest Du ihn? Nöthig kannst Du ihn doch nicht haben!“

Felsing pfiff durch die Zähne. „Das verstehst Du nicht. Man hat Allerhand nöthig und muß Vielerlei wissen, auch das, was Einem die andern Ehrenhaften und Intelligenten nicht sagen!“

„Auch die Anstalten zum Ruin eines Mannes, den man selbst in sein Haus einladet?“ fragte der junge Mann scharf und bitter.

„Was soll das heißen?“

„Nur, daß ich vorhin Eure letzten Reden mit anhörte und daß es mir einen Augenblick vorkam – aber nein, es ist ja nicht möglich, daß Du, Vater, ein Interesse daran haben könntest, den Grafen Hochberg bankerott zu sehen, den Mann, der heute Abend Dein Gast sein wird!“

Die Stimme des jungen Mannes bebte vor Erregung, und seine klaren Augen hefteten sich durchdringend auf das Gesicht seines Vaters, der diesen Blick nicht auszuhalten vermochte.

„Dummes Zeug,“ sagte Felsing, unwillig sich abwendend, „was gehen mich Graf Hochberg und seine schlechten Geschäfte an? Wenn ich davon sprach, so that ich das wie jeder Andere auch, der einen Einblick hat. Und warum soll denn das nicht erlaubt sein? Bin ich denn sein Busenfreund? Er würde sich schön dafür bedanken, der hohe Herr, für den Du Dich ja sehr zu interessiren scheinst!“ Es lag etwas wie Schreck in dem langen Blick, welchen Felsing auf seinen Sohn warf, während er die letzten Worte leise, beinahe zischend hervorstieß. Bald aber schien er sich wieder zu fassen und ein sarkastisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er fortfuhr: „Daß ich ihn für heute Abend eingeladen habe, geschah, weil Breda mir sagte, er wünsche in näheren Verkehr mit mir zu treten. Er sucht also den Umgang, nicht ich!“

„Du solltest ihn warnen, Vater, das wäre offen und freundschaftlich gehandelt.“

„Um den bekannten Teufelsdank zu ernten!“ versetzte Felsing spöttisch. „Was bist Du doch für ein unpraktischer Idealist!“

„Die Idealisten behalten schließlich Recht, Vater.“

„In der Studirstube vielleicht. Im Leben mißhandelt man sie und tritt sie so lange mit Füßen, bis sie hart werden – oder untergehen. Jeder gegen Alle! Das ist die Losung, seit die Welt steht; man muß mitzumachen wissen.“

„Sprich nicht so!“ rief Emil empört, „Du selbst denkst ja innerlich ganz anders.“

„Ich denke nicht anders, mein Junge,“ sagte der Vater langsam und bedeutungsvoll, „aber allerdings – ich fühle für Dich etwas, das ich für die Andern nicht fühle. Ich möchte Dich nicht anders haben, als Du bist, bleibe bei Deinen Studien, mache Deine Reisen und brauche dafür, was Du Lust hast. Aber ums Geschäft kümmere Dich nicht; denn dafür hättest Du nicht getaugt.“

„Nein, das weiß der Himmel!“ sagte Emil, „ich kann überhaupt den Gelderwerb als Zweck gar nicht verstehen. Man muß ja wohl die Mittel zu seiner Existenz gewinnen, aber was hat man denn von dieser, wenn man sie nicht zum Lernen und Genießen anwendet? Ich kann mir auch allenfalls das wissenschaftliche Interesse an Deinen großen Maschinen draußen, obwohl es persönlich meine Sache nicht wäre, vorstellen; aber was darunter gewalzt und geschnitten und gar zu welchem Preise es verkauft wird, das ist mir, offen gestanden, vollkommen gleichgültig.“

„Das Endresultat davon in Gestalt eines schönen Hauses und einer behaglichen Existenz lassen wir uns aber doch recht gern gefallen,“ sagte Felsing sarkastisch.

„Nein, wahrhaftig,“ protestirte der junge Mann lebhaft. „Das Alles wäre zu meiner Zufriedenheit nicht nöthig. Ich war unter meinem Zelt in der Wüste seelenvergnügt und aß wochenlang zähes Hammelfleisch, ohne etwas Anderes zu vermissen. Ja, die materielle Lebensgleichheit mit meinen braungesichtigen Berberinern war mir sogar erfreulicher als hier der Blick auf unsere Arbeiter, die durch eine so enorme Kluft von unseren Genüssen getrennt sind.“

„Fange mir nur so an!“ rief Felsing jetzt ernstlich erbost, „das hat mir gerade noch gefehlt, den Unsinn in meinem eigenen Hause zu hören! Als ob nicht heut zu Tage Jeder, der Kraft und Willen besitzt, sich heraufarbeiten könnte! Dafür stehe ich als redendes Beispiel da. Aber freilich, es hat Anstrengung gekostet, harte Mühe und bitteren Schweiß – und den möchten sich alle Diejenigen ersparen, die nach der Staatshilfe schreien! Strenge Dich mit keiner Rechtfertigung an,“ wehrte er unmuthig ab, als Emil den Mund öffnen wollte, „ich glaube selbst nicht, daß es mehr als eine Redensart von Dir war, und das Beste ist,“ fügte er halb im Selbstgespräch hinzu, „daß derartige sentimentale Anwandlungen sofort aufhören, sobald Einer selbst in den Besitz tritt. Da gewinnt die Sache plötzlich ein ganz anderes Ansehen!“

Emil zuckte statt zu antworten nur leicht die Achseln; der Moment war nicht günstig für eine der hitzigen Kontroversen, wie sie zuweilen zwischen Vater und Sohn über ähnliche Fragen zu entstehen pflegten. In die momentane Stille tönte das erste Wagenrollen von unten – schnell öffnete Emil die Thür und schritt hinter seinem Vater in den gegenüberliegenden großen Salon.

(Fortsetzung folgt.)




Kurpfuscherunwesen.
Von Dr. med. Otto Cahnheim.

Nur den Wenigsten wird es bekannt sein, daß in Deutschland, zum großen Unterschiede von anderen europäischen Staaten, im Jahre 1869 die sogenannte Kurirfreiheit eingeführt wurde. Durch diese Verordnung ist es in das Belieben eines Jeden gestellt, ob er sich in Bezug auf die Wiederherstellung seiner Gesundheit der Hand und Sorge eines hierzu approbirten Arztes anvertrauen will, oder ob er es vorzieht, hiermit irgend einen hergelaufenen Schwindler und Betrüger zu beauftragen. Man ging damals von der Voraussetzung aus, daß das große Publikum Urtheil genug haben würde, um den staatlich approbirten Arzt, welcher durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_411.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)