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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Begleiter voran war. Wohl rief er mir noch ein paarmal sein mahnendes „Zeit lassen!“ nach; dann aber überließ er mich meiner Ungeduld; vielleicht merkte er auch, welch besonderen Genuß es mir bereitete, mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren hören zu dürfen und mich so allein zu fühlen inmitten des sonnigen, sacht und geheimnißvoll rauschenden Bergwalds.

Und wie schön war dieser Wald in seinem bunten Wechsel! Da standen schwarze, hochragende Tannen, lichte, kronenrunde Buchen und fahlgrüne, spitzgewipfelte Lärchen traulich durch einander, und zwischen Farren, Moos und grauen Steinen verschlangen sich ihre Wurzeln in einem Grunde, der sich ansah wie ein Teppich, gewirkt aus dunklen, unruhigen Schatten und grellen, zitternden Lichtern. Aus dichteren Beständen führte der Steig über schmale Lichtungen mit niederem Buschwerk, mit üppigen Heidelbeer- und Almrauschbeeren, die in voller Blüthe standen. Dann wieder verlor sich der Pfad im dunkleren Walde, um plötzlich einzubiegen in eine jener schattenkühlen, tief in den Berggrund eingesprengten Felsenrinnen, durch welche der schmelzende Höhenschnee seine krystallklaren Wasser mit Murmeln und Plätschern thalwärts sendet. Emsig ließ ich die Blicke auf und nieder wandern über das Gehänge und lauschte in gespannter Erregung jedem leisesten Geräusche, jedem Vogelruf.

Manchmal stockte mir der Herzschlag, wenn von den höheren Felsen hernieder der zischende Pfiff einer allzu wachsamen Gemse sich vernehmen ließ, wenn aus dem tiefer liegenden Gehege ein kurzes Rascheln und Brechen hörbar wurde, das von flüchtendem Rothwild herzurühren schien.

Jeder dieser Zwischenfälle steigerte meine Erregung, verschärfte aber auch meine Aufmerksamkeit und bezwang die Ungeduld meiner Füße, so daß ich nun von selbst in den richtigen, achtsam und lautlos ziehenden Jägerschritt verfiel.

So gelangte ich wieder einmal aus dem dunkleren Walde auf eine mit dichtem Beerengestrüpp bewachsene Lichtung, als ich plötzlich von unfern unter dem Steige ein sachtes Knappen vernahm, wie das Brechen eines dünnen Zweiges. Hurtig flogen meine Augen der Richtung zu, aus welcher das Geräusch gekommen – und wie ein Schauer rann es mir über die Schultern, als ich des dunkelgefiederten mächtigen Vogels ansichtig wurde, der mit gespreizten Schwingen auf der Erde kauerte und mit dem Hakenschnabel das Gestrüpp durchwühlte.

„Ein Adler!“ fuhr es mir in der halben Blindheit meiner Erregung und in der unwillkürlichen Erinnerung an jene sehnsuchtvollen Träume durch den Kopf – doch riß ich auch im gleichen Augenblick die Büchse von der Schulter. Beim Knacken des Hahnes zuckte der Vogel mit dem schwarzen Kopf in die Höhe; ich sah ein rundes, dunkles Auge unter rothem Lide blitzen; ein Ruck durchfuhr das schöne Thier; mit schwerem, rauschendem Flügelschlage hob es sich von der Erde – schon aber krachte mein Schuß – im Feuer brachen dem Vogel die Schwingen, und prasselnd stürzte er nieder in das blühende Kraut.

Im Forsthause nach der Jagd. Originalzeichnung von Hugo Engl.

Mit einem jubelnden Jauchzer sprang ich vom Steig hinweg und meiner Beute zu. Ein Adler war es nun freilich nicht; aber das that meiner hellen Freude keinen Eintrag; denn was ich da in der hocherhobenen Rechten hielt, es war ja auch ein edles Wild und auch eine Erstlingsgabe meines Jägerglückes – mein erster Auerhahn.

In Stolz und Neugier betrachtete ich des Vogels ausdrucksvollen Kopf mit dem starken, gelblichen Hakenschnabel, mit der grellrothen „Rose“ über dem Auge, den Federbart an der Kehle, die grün und stahlblau schillernde Brust, die kräftigen braunen Schwingen mit dem schneeweißen „Spiegel“ an den Schultern, den langen fächerartigen „Stoß“ mit den weißen Bändern auf schwarzbraunem Grunde, und besonders den weiß und schwarz gesprenkelten Unterstoß mit den schaufelartigen Federn, die nun als stolze Trophäe auf meinem Hute prangen sollten. Jetzt wurden rasche Schritte auf dem Steige hörbar und der Jagdgehilfe erschien mit der hastigen Frage:

„Was is? Han? Auf was haben S’ denn g’schossen?“

Als er aber des Vogels ansichtig wurde, verlängerte sich sein Gesicht so merkwürdig, und gedehnt klangen seine Worte: „Ijeh, jetzt da schau, a Hoh(n)! Und mit der Kugel g’schossen?“ fügte er bei, während er das Thier aus meinen Händen nahm und näher untersuchte.

„A sauberer Schuß! Alle Achtung! – Aber –“ noch länger wurde sein Gesicht, und mit der Linken schob er den Hut in die Stirn, um sich den struppigen Hinterkopf bequemer krauen zu können, „aber – an Haken wird die G’schicht halt dengerst haben!“

„Einen Haken?“

„No – von wegen der Schußzeit halt. Wissen S’, bei uns herin wird a Hoh(n) halt nie net anders g’schossen, als wie am Falz, im Fruhjahr. Das heißt, es is schon a Schußzeit auch im Sommer – aber weil’s g’rad a Wunder is, wann im Sommer amal an Hoh(n) zum sehen kriegst, drum weiß halt Unsereiner so ’was net. Der Förstner drunten könnt’s ei’m schon sagen – aber – an Putzer müssen wir schon riskiren! Denn natürlich – außer der Schußzeit – das wär’ halt so a Sach’!“

Da war nun allerdings meine Freude bedenklich herabgestimmt. Meinen ersten Auerhahn außer der Schußzeit erlegt zu haben – welch eine schmerzliche Wunde für meinen jungen Jägerstolz! Ich wollte und mußte Gewißheit haben, und so entschloß ich mich zur sofortigen Heimkehr, für die ich eine glaubwürdige Ausrede rasch zur Hand hatte.

Es dämmerte schon, als wir vor dem Forsthause anlangten. Der Jagdgehilfe machte sich gleich aus dem Staube, indem er mir allein es überließ, mein von Zweifeln bedrängtes Gewissen zu beruhigen. Der Förster empfing mich im Flur, wo ich meinen Rucksack, darin ich die Beute verwahrt hatte, mit gut gespielter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_393.jpg&oldid=- (Version vom 15.6.2023)