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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


immer wiederkehrende Gedanken und Vorstellungen einfach über Bord zu werfen.

Nein, der Name war daran schuld gewesen. Der Name webte und flocht und verknüpfte allerlei geheimnißvolle Beziehungen zwischen ihm und ihr. Er hatte Olga von Gamlingen immer gern gelitten, er liebte ihre Gesellschaft, und sie vertrugen und schätzten sich wie zwei gute Kameraden. Sie war „seines Kalibers“, wie er sich burschikos ausdrückte; sie verdarb keinen Spaß, und Niemand lachte herziger über seine Scherze. Nun, und ihre großen Kinderaugen, die Einen so treu und lieb anlachen konnten! Als er im Fieber lag, hatten diese Augen oft genug vor ihm gestanden. Er hatte den Namen oft genug in seinen Phantasieen vor sich hergelispelt. Er hatte sich des Namens wegen geschlagen – zuweilen, wenn er daran dachte, überkam ihn ein Aerger, daß es nicht der Person wegen, nicht ihretwegen geschehen war!

Und dann das Wiedersehen! Er saß in dem von Lichtflittern besprenkelten Schatten einer Linde und rauchte seine Cigarre, als sie den sonnigen Weg, Arm in Arm mit Lolo verschränkt, zwischen den blühenden, von Insekten umsurrten Beeten daherkam.

Was es doch für seltsame Anfälle giebt: als wenn Einem der Athem plötzlich ausginge! Ob das eine Folge der Verwundung ist?

Damals war er noch nicht so stark auf den Beinen, und als er Miene machte, sich zu erheben, um die Damen zu begrüßen kam ihm Lo zuvor und trippelte ihm entgegen:

„Daß Sie nur sitzen bleiben, Herr Lieutenant!“

„Ha, famos! famos!“ rief er, „freu’ mich, Sie wiederzusehen!“

Lolo war erst kurz vor der Hochzeit aus Erfurt zurückgekehrt, wo das Paar sie abgeholt hatte.

„Nun, wie geht’s? wie geht’s?“

Er schüttelte dem Mädchen herzlich die Hand mit seiner heilen Linken.

„Welch’ ein Glück, daß Sie wieder auf sind!“ rief sie fast gleichzeitig. „Sie haben uns schöne Sorgen gemacht! Welche Geschichten!“

Sie hielten sich noch die Hände, wie im Gefühl, daß sie doch Beide eine Kampagne durchgemacht, jedes in seiner Art.

Ja, aber sieht er denn Olga gar nicht? Er thut ja so, als sei sie gar nicht da! Ja, warum ist sie nicht sofort gefolgt? Warum schleicht sie so langsam und verlegen heran wie ein Schulmädchen, das zum Geburtstag ein schlecht memorirtes Gedicht aufsagen soll?

„Mein gnädiges Fräulein!“ rief er plötzlich, als gewahrte er die Kleine jetzt erst.

Aber mein Gott, das ist ja seine schnarrende Lieutenantsart! – dachte Lolo. Ich meinte, die Zwei hätten herzlicher mit einander gestanden?

Wahrhaftig, er fühlte, während er ihr die Hand reichte, etwas wie eine leichte Gluth sein Antlitz überfluthen. Ist das wieder eine Folge der Verwundung? Und wie um dieser Abnormität Herr zu werden, zeigte er froh lächelnd seine breiten Zähne.

„Wie geht’s? Wie geht’s, mein Fräulein, wir haben uns lange nicht gesehen …“

Eine Redensart zur Aushilfe. Was sollte man sagen? Kein Wort „darüber“ – über das Duell – das geht nicht! Olga meinte, sie könne es doch nicht ganz unberührt lassen. „Wie schön, daß Sie wieder da sind, Herr Lieutenant –“ irgend so etwas sagte sie, sie wußte nicht was.

Mühüller sprang, nachdem man sich gesetzt hatte, gewaltsam in den altgewohnten Ton über und erzählte ihnen das Bunteste durch einander. Er wollte wissen, ob sein „Sprechanismus“ denn nicht gelitten, was er fast fürchtete. Von seinem „geheimen Medicinalrath“, dem Lazarethgehilfen, von den dreiundachtzig Büchern, die er während seiner Krankheit „eingenommen“ – als wären es so viele Flaschen Medicin, und er wird Jahre gebrauchen, bis er all die Bildung wieder aus dem Körper hat.

Ah, das paßte nicht mehr! Früher so, aber jetzt paßte der Ton nicht mehr! Es war Alles anders. In Mühüller war eine Veränderung vorgegangen, sie selbst schien ihm wie umgewandelt. Er hatte bisher einen lustigen Kameraden in ihr erblickt, der durch alle Tonarten der Fröhlichkeit mit ihm scherzte und schäkerte. Nun webte etwas wie eine Verklärung um ihr ganzes Wesen.

Er hatte noch nie in seinem Leben über etwas und über Jemand soviel nachgedacht, wie in diesen Tagen über Olga. Das Capua war schuld daran. Nun zum Teufel, man darf nicht ganz darin versinken! Man muß sich bei Zeiten davonzumachen suchen, ehe es zu spät ist. Die „große Badekur“ wird ihm gut thun und den alten Zustand wieder herstellen. Was soll es auch heißen? Wozu könnte das führen? Er hat nichts und sie hat nichts, und sie werden sich Beide nicht mit offenen Augen in das glänzende Elend einer Kommißheirath stürzen!

Aber Melitta sorgte dafür, daß „sein Capua“ nicht an Wirkung nachließ. Die Manie der Neuvermählten, Verlobungen und Hochzeiten zu stiften, stand bei ihr in voller Blüthe. Es ist selbstverständlich, daß sie ein Paar werden! Und sie werden eins! dekretirte sie. Sie waren vordem schon für einander bestimmt – nun, nach diesem Duell sind sie es erst recht! Der Name hat es so gewollt! So ist das unselige Duell dennoch zu einem Glück ausgeschlagen! Man wird fortan nicht mehr mit einem Schauder daran zu denken haben! Das Blut, das dieses Namens wegen vergossen wurde, wird durch dieses Glück hinweggelöscht.

Und sie arbeitete mit Eifer an ihrem Werk. Sie wußte so hübsche und bequeme Gelegenheiten zu veranstalten und zu improvisiren, wo die Beiden sich treffen mußten. Sie drechselte die raffinirtesten Anspielungen, sie legte ihnen so förmlich die Hände in einander – sie brauchten nur herzhaft zuzugreifen und diese Hände festzuhalten. Aber nein – es war zum Verzweifeln! Dies Zugreifen erfolgte nicht. Sie sahen nicht, sie hörten nicht. Und dennoch waren sie für einander bestimmt!

„Aber Litta, gute Litta!“ sagte Gamlingen eines Morgens, „was soll das nur heißen, laß doch die jungen Leute selber machen! Laß doch jeden nach seiner Façon selig werden!“

„Es ist doch Deine Schwester,“ warf sie hin.

„Nun ja, nun ja gewiß – (eine Pause) gerade deßwegen! Ich will nicht, daß sie sich ins Elend stürzen! Laß sie nur machen!“

Sie betrachtete unwillig den braunen Rücken eines Hörnchens, das sie eben aus dem Korb genommen. Den Einwand schien sie kaum gehört zu haben. „Weißt Du, wenn man mit Papa ein Wort redete, das Bischen Zulage würde ihn nicht arm machen …“

„Auf keinen Fall!“

Er setzte wie erschrocken die Tasse vom Mund ab. „Auf keinen Fall! Was denkst Du, wie kann man das ihm und ihr zumuthen!“

„Nun, sie ist doch Deine Schwester,“ wiederholte sie, ohne ihn anzusehen.

Zum ersten Mal fiel ihm das Bewußtsein der Pflichten, die er mit dem Namen übernommen, schwer aufs Herz. Gewiß ist sie seine Schwester, seiner Sorge und seinem Schutz unterstellt. Und zum ersten Mal fand sich das peinigende Gefühl der Ohnmacht bei ihm ein, daß er von den Belzigs abhänge, daß er eigentlich nichts für sie thun könne, der Bruder für die Schwester. Wie beschämend das ist! Er wollte von Neuem in Olga dringen, daß sie sein Heim als das ihre ansähe. Sie hatte sich bisher geweigert, und ihre Andeutungen wegen eines Engagements in England schienen nun sogar greifbare Gestalt anzunehmen. Man wird sie nicht fortlassen dürfen!

Mühüller wußte immer noch nicht, wo er seinen „Bade-Urlaub“ zu verbringen hätte. Die Aerzte waren noch nicht einig. „Ich denke mir so etwas wie Kasemattenheim,“ sagte er mit listigem Schmunzeln, das betreffende Wort undeutlich hinmurmelnd.

„Wie? Wohin?“ horchte Frau Belzig auf. „Ich kenne das Bad nicht. Wo sagten Sie?“

„Na, ich kann mich auch verhört haben. Es soll aber sehr heilsam sein. Leider dauert die Kur eine Weile.“

„Wir wollen uns Mühe geben, Sie heraufzubringen,“ fiel Lolo ein.

„Sie dürfen nicht gehen! Sie bleiben einfach!“ dekretirte Melitta. „Wie wir Jemand anders auch nicht gehen lassen!“

Ein deutlicher Seitenblick auf Olga. Aber diese blieb regungslos, als verstände sie nicht.

„Na, ich bitte Sie,“ fiel Mühüller ein, „ich habe die Kur doch von Staatswegen, sie geht auf Staatskosten und kostet mich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_390.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)