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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Sie stutzte, ergriff dann aber ihres neuen Bruders Hand und drückte sie innig. Wieder wie damals umflorten Thränen ihre Augen. Und die beiden Damen waren sofort bereit, mit ihrem Thränentribut beizuspringen und die Rührung mitzumachen.

Aber die Spießruthengasse mußte noch weiter durchlaufen werden.

Drei Tage darauf langten zwei Briefe aus Erfurt bei Gamlingen an. Die zaghaften, oft der Bindungsstriche ermangelnden Buchstaben seiner Mutter und die resolute, steile Männerschrift der „Autorität“. Beide Adressen waren an den alten Namen Eff adressirt. Bei der guten Mama war es wohl nur die Zimperlichkeit, die sich nicht sofort in die Situation schickte, die „Autorität“ aber schien damit von vornherein Protest einzulegen; der Inhalt der Briefe bestätigte Beides.

Gamlingen sowohl wie die Belzig’s hatten übrigens für gut befunden, die Adoption bis zur Allerhöchsten Genehmigung geheim zu halten, damit ein etwaiges Scheitern des Gesuches nicht die Lächerlichkeit herausfordere, und die Erfurter waren völlig damit überrascht worden.

Die kleine alte Dame schien außer Fassung gerathen. „Ich bin so erschreckt,“ schrieb sie, „ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wie ist das nur gekommen? Wie hast Du das nur thun können? Die beiden Mädchen (sie meinte Lolo und ihre Tochter damit) haben mich ausgelacht, ich habe so geweint. Mein lieber, guter Sohn!“

Die letztere Anrede stand isolirt da. Als wäre Mama hier und umfinge ihn mit ihren Armen, bittend und weinend, daß er ihr doch das nicht anthun sollte!

„Ich muß mich erst darein finden, lieber Walther! Es hat mich so erschreckt. Mir ist, als habe ich mein Kind verloren und als hättest Du Dich von mir abgewandt. Dein guter Vater – siehst Du, er hat seinem König vierzig Jahre lang treu und gewissenhaft gedient, kein Makel klebt an unserem Namen, wir sind stets allgemein beliebt und geachtet gewesen. Was soll ich nur denken?

Nun, ich will nicht klagen. Ich werde mich mit der Zeit daran gewöhnen. Bitte, theile uns Deine neue Adresse mit. Mir ist wirklich, als seist Du es nicht mehr. Ich weiß, daß das, was Du thust und thun wirst, das Rechte ist. Dieser neue Name – ich habe Angst davor, siehst Du, mir ist, als wenn er Dir keinen Segen bringen wird. Bitte, komme recht bald und bring’ Deine Braut mit, nach der ich solche Sehnsucht habe. Wenn sie so lieb ist wie Lolo, die unser Aller Herz längst erobert, so kann man Dir nicht Glück genug wünschen.“

Mit einem Lächeln, das mitleidig begonnen hatte, dann aber in einer wehmüthigen Verlegenheit endete, legte er den Brief hin.

Der andere Brief war die „Autorität“ in ihrer schönsten Polterlaune. Gamlingen sah während des Lesens das aufgeregte Zwinkern der grauen Wimpern und das unruhige Hin und Her der rundlichen quecksilbernen Figur.

„Lieber Walther, ich habe Deine Nachricht erhalten, wonach Du durch Kabinettsordre die Erlaubniß erhalten hast, Deinen Namen umzuändern. Ich kann nicht behaupten, daß Du uns grosse Freude mit dieser Ueberraschung bereitet hast. Ich hoffe, daß Du von der Erlaubniß keinen Gebrauch machen wirst. Der Name Eff ist Deinem Vater gut genug gewesen, und Deinem Großvater und dessen Vater, so wird er Dir auch gut genug sein. Wir sind eine anständige Familie, das muß ich mir sehr ausbitten! Du hast keine Veranlassung, Dich unseres Namens zu schämen.

Ich hätte Dir, offen gestanden, Solches nicht zugetraut; meine Gunst hast Du Dir gründlich verscherzt. Ich liebe so etwas nicht! Unser Name ist kein Mantel, den man mir nichts Dir nichts an die Wand hängt. Ist der andere etwa schöner? Ich habe ihn nicht einmal lesen können. Du denkst doch nicht, daß Dir solch ein adliger Name heut zu Tage irgend nützen wird? Die Zeiten sind vorüber. Es giebt keinen Respekt und keine Religion mehr. Ich hätte Dich nicht für so dumm gehalten, Du hast Dich gründlich blamirt.“

So ging es noch vier Seiten weiter. Er las den Brief gar nicht einmal zu Ende. Der helle Unmuth bewältigte ihn.

Es ist nicht wahr! Ich habe mich noch nie wegen meines alten Namens geschämt, so wenig hübsch er klang. Das sind eben die kleinlichen Erfurter Ansichten! Mama hatte Recht, ich weiß, was ich thue, und was ich thue, kann ich verantworten, trotzte er. Sie verstehen das nicht, dort hinten. Ich will sobald wie möglich mit Litta nach Erfurt fahren und ihnen Rede stehen.

Bei dem Gedanken an diesen Erfurter Besuch überlief es ihn mit einem neuen Anfall von Examenangst. Seine alten Lehrer, seine früheren Mitschüler, seine Jugendgespielen, die unentwirrbare Verhedderung von Bekanntschaft und Verwandtschaft, die den Namen Eff umwuchert, der allgewaltige, allvermögende Klatsch der guten, lieben ehrwürdigen Stadt Erfurt – wie werden sie den Namen begucken und betasten, wie werden sie ihn zerrupfen und zerfasern und um und um kehren!




18.0 Bluttaufe.

In den Bureaus des Generalstabs tauchte das Gerücht auf, Mühüller von den Boxern sei in einen Ehrenhandel verwickelt, eine scharfe Mensur sei unvermeidlich.

Und weßwegen? Natürlich ein Nichts, ein Stecknadelkopf, der Schatten eines Schmetterlings – irgend eine mißverstandene Miene, irgend ein schiefer Lachton, ein ausgeglittener Seitenblick, höchstens ein oder zwei wirklich ausgesprochene Worte! Nun, stellt man sich denn zumeist wegen Dinge von größerer Wichtigkeit vor die Pistole?

Gamlingen war bestürzt und aufgebracht: das kommt von seiner überflüssigen Schneid! Das kommt davon, wenn man die Dinge beim rechten Namen nennt! Er wollte Mühüller aufsuchen – vielleicht ließe sich durch eine Vermittlung noch Alles einrenken.

Mühüller kam ihm zuvor. Er holte Eff am Nachmittag aus dem Dienstgebäude ab.

„Aber was für Streiche, Mühüller! Was soll das heißen!“ rief ihm Gamlingen ärgerlich entgegen, als er in den Korridor trat, wo jener wartete.

„Keinen Vorwurf! Keine Moralpredigt! Das muß ich mir ausbitten! Ich bin gekommen, Sie um Entschuldigung zu bitten. Schenken Sie mir eine Cigarre.“

„Wieso – Entschuldigung?“ Gamlingen blieb verwundert auf der Treppenstufe stehen.

„Nun, daß ich Sie nicht zum Sekundanten genommen. Ich hätte Sie doch nehmen müssen, wie wir zueinander stehen. Sie sind aber verlobt, und die sechs Wochen Festung würden Ihnen jetzt sehr wenig schmecken. Kein Sport für einen Hochzeiter – für einen Generalstäbler erst recht nicht!“

Mühüller biß mit seinen scharfen Schneidezähnen die Spitze der Cigarre ab, daß es hörbar knisterte, und nachdem er die Tabakreste mit einem Pff! aus dem Munde geschleudert, sagte er: „Außerdem die Damen! Ich liebe, wie Sie wissen, den Spektakel nicht.“

Er, Mühüller, liebte den Spektakel nicht! Zu einer andern Zeit hätte Gamlingen laut aufgelacht. Er, der durch seinen amüsanten Spektakel die Ehre so manches Salons vor dem dräuenden Drachen Langeweile rettete! Möglich, daß er in ernsteren Dingen wirklich den Spektakel verschmähte.

„Aber ums Himmelswillen, was ist nur vorgefallen?“ rief Gamlingen. „Erzählen Sie doch! Ich werde mir’s nicht nehmen lassen und Alles versuchen, die Sache beizulegen. Sie hätten sich übrigens schon früher einfinden können!“

Mühüller schnitt mit der einen Seite des Gesichtes eine Grimasse, als thäte ihm etwas weh. „Lassen Sie mich damit in Ruh’, ich bitte schönstens! Es ist seit gestern schon so viel an der Sache herumgedoktert worden. Ich habe es satt! Ich liebe es: eins, zwei, drei! – Schlag auf Schlag! Ich brauchte ja bloß zu revociren, ich bin der Beleidiger.“

„Wer ist Ihr Mann?“

„Lächerlich –“ und Mühüller lachte stumm, die breiten Schultern mit den Epauletten schüttelnd, die er stets statt der bequemeren Achselstücke trug. „Wissen Sie, es ist urkomisch! Ich habe aber heut Morgen erst erfahren, daß er eigentlich Menkel heißt und gar nicht der von Dipperbach ist. Wir haben uns ein paar Mal während des Frühschoppens bei Töpfer gesehen, ich habe kaum zehn Worte mit ihm gewechselt, außer dem corpus delicti, wie der Auditeur sagt. Einer von der Versuchsbombe. Kommt da von seiner Tegeler Knallbude und will mitreden. Sagt was, ein Anderer sagt wieder was, und noch ein Dritter, ich aber sag’ auch was. Da sagt er wieder was – schwapp, geb’ ich ihm eins aufs Maul, daß er still ist. Ist übrigens ganz gleichgültig, was es war; zerbrechen Sie sich darüber, bitte, nicht den Kopf!“

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