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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Na, es kann Dir ja doch egal sein, ob so oder so!“ fuhr ihn sein Herr ärgerlich an. –

Es waren die ersten Hiebe der Spießruthen, die er mit dem neuen Namen zu durchlaufen haben würde. Später würden die Hiebe weniger hörbar sausen, aber um so empfindlicher brennen! Er würde still halten müssen – es geschah ihm recht!

Zuerst die Meldnug bei den Vorgesetzten, die er gleich zur Meldezeit abzumachen hatte. Eine wahre Examenangst befiel ihn, vor seine Vorgesetzten hinzutreten und das Ereigniß mit dürren Worten meldemäßig herzuschnarren. Ja, die Form der Meldung – mühsam drechselte er unterwegs an dem Wortlaut herum.

Im Treppenflur und auf den Korridoren des Dienstpalastes am Königsplatz begegneten ihm mehrere Kameraden. Einige Fremdere grüßten mit dem üblichen förmlichen Gruß. Ein paar seiner näheren Bekannten riefen oder nickten ihm einen „Guten Morgen!“ zu. Wie er meinte, kälter und flüchtiger als sonst; sie hatten Eile mit ihren Papieren und Akten, vielleicht wußten sie auch noch nichts davon.

Doch – sie mußten es schon wissen! Die Nachricht war dem officiellen Parolebuch längst vorausgeflattert. Einer, ein Württemberger, der zum preußischen Generalstab abkommandirt war, vertrat ihm den Weg und gratulirte ihm in seiner schwäbischen Biederkeit gerade heraus, ihm dabei die Hand fast zerdrückend.

„Man kann es diesen Preußen nie recht machen,“ dachte der Biedermann bei sich, als er sah, daß die Gratulation dem neuen Freiherrn offenbar unangenehm war; „bald thut man zu viel, bald zu wenig. Warum hat er den Namen denn changirt, wenn er ihm unangenehm ist?“

„Hat ihm schon – Herr Baron!“ kam ihm sein Bureaukamerad, ein urlustiges Haus mit einer ins Kupferne schillernden Nase, trällernd entgegen. „Na, wir werden den neuen Baron doch begießen müssen, he?“

„Ich melde ganz ergebenst, daß mir laut Allerhöchster Kabinettsordre die Erlaubniß ertheilt wurde, den Namen meines Adoptivvaters …“

Gott, welch ein Monstrum von einer Meldung! dachte Eff, während er an dem Satze weiterhaspelte.

Der Oberst, sein Abtheilungschef zog die Lippen mehrmals während der Meldung ein, streng schmeckend, als gefiele ihm das Gericht nicht.

„Ah!“ rief er laut, nur die eine hervorgestoßene Silbe als Quittung, daß die Meldung richtig abgeliefert war. Und kein Wort weiter. Gamlingen wußte sofort, daß er in dem Urtheile dieses Bärbeißers mit der Namenspielerei bedenklich gesunken war.

„Seine Excellenz den Feldmarschall werden Sie gerade jetzt treffen,“ rief er dem sich vorschriftsmäßig zum zweiten Male an der Thür verbeugenden Hauptmann nach.

Der Feldmarschall! Es ward ihm schwül zu Muthe, obgleich er wußte, daß dieser die Meldung mit vollkommenem Schweigen hinnehmen und wohl auf ihren Wortlaut kaum achten werde. Aber es kam ihm fast wie ein Verbrechen vor, in das von weltwichtiger Gedankenarbeit geweihte Arbeitszimmer des großen Strategen mit der ungeheuren Trivialität dieser Meldung hineinzuplatzen.

Moltke erhob sich langsam vom Schreibtische, nickte kaum merklich auf die Verbeugung des Hauptmanns und stand dann aufrecht, den rechten Arm mit den Knöcheln der Hand auf die Kante des Tisches gestützt, das rechte Bein vorgesetzt, den Kopf leicht nach vorn gebeugt, daß die Haartour sich von dem hageren Nacken in einer starken Biegung abhob.

„Ich melde ganz gehorsamst …“ begann die wankende Stimme des Hauptmanns. Der Feldmarschall horchte anscheinend sehr aufmerksam, die dünnen Lippen zusammengepreßt, mit dem Ausdruck unerschütterlichen Ernstes. Das edle Profil des feinen Kopfes zeichnete sich dunkel und scharf gegen die Helle des gegenüberliegenden Fensters. Er trug einen geöffneten Ueberrock und der Hals war mit einer locker sitzenden Binde bekleidet, auf der das etwas verschlafene Silberband des Ordens pour le mérite, doch ohne den Orden selbst, befestigt war.

Als wäre die Meldung von großer Wichtigkeit, so schien er zu horchen. Keine Regung in den unzähligen kleinen Fältchen des bartlosen Gesichtes. Jetzt, nachdem Gamlingen geendet, nach einer kurzen Pause, während welcher der Feldmarschall immer noch zu lauschen schien, wandte sich das Profil um ein Viertel nach ihm herüber.

„Wie geht’s Ihnen?“ kam es über die schmalen Lippen.

„Sehr wohl, Euer Excellenz!“

Es klang so frisch und freudig. War es Gamlingen’s Ueberraschung darüber, daß, nach dieser Anrede zu schließen, der hohe Herr von der Meldung nur den Klang der Worte, nicht den Sinn vernommen? Man kennt ja dessen Zerstreutheit den kleinen Dingen des Alltags gegenüber.

Als ein abermaliges kurzes Nicken des Adlerprofils ihn entlassen hatte und die Thür sich hinter ihm schloß, dehnte sich seine breite Brust wie in einer befreienden Erlösung.

Bah, man muß es leichter nehmen mit diesem Namen; man macht sich zu viel Skrupel um die Gesichter der Anderen! Noblesse oblige! Man hat den Namen nun einmal, man hat ihn sich durch die Umstände aufzwingen lassen! Es war ihm nicht zu entgehen – wohlan, so soll er auch herhalten!

Mit einer Art mitleidigen Lächelns gedachte er seines verstorbenen Adoptivvaters, wie dieser das Paradepferd nicht zu reiten verstanden hatte, wie ihm der ehrwürdige Name zuletzt zu einer Last, fast zu einem komischen Anhängsel geworden war, dort in dem vierten Stock des Hinterhauses.

Der Name ist in meiner Hand, ich werde ihn wieder hoch zu bringen suchen! Ich bin es diesem fünfhundertjährigen Geschlechte schuldig!

In gehobener, erzwungen übermüthiger Stimmung fand er sich bei Belzig’s ein.

„Sieh’ mich einmal recht an,“ rief er mit lachendem Gesicht, sich der ersten Begrüßung mit Melitta, die ihm entgegengeeilt war, entwindend. Er trat zwei Schritt zurück und stand hoch aufgerichtet, sie mit den Strahlen seiner Augen und den blinkenden Zähnen herausfordernd:

,Nun?!“

Er sah überaus prächtig aus in dem Glanz des Meldeanzuges. Aber das war ihr doch nichts Neues; sie stürzte auf ihn los und umschlang seinen Nacken mit ihren Armen. Sie brauchte nicht erst zu fragen: „Ist es da?“ Sie wußte es! – In seiner erregten Miene hatte sie es sofort gelesen. Eine so stürmische Freude überwältigte sie.

Allein der Freude wegen, die ihr das Spielzeug bereitete, hätte es sich verlohnt, den Namen nicht nur zu erdulden, sondern sich darum zu bemühen. Diese Freude erleichterte und erlöste ihn von dem unheimlichen Druck. All’ die Spießruthenschläge werden ja tausendfach aufgewogen durch dieses Glück!

Frau Belzig rauschte herzu. „Ist es?“ fragte sie kurz, Melitta’s Erregung gewahrend, mit einem eigenartig lüsternen Ausdruck ihrer Miene.

Auf Gamlingen’s Nicken fuhr sie mit einem sonoren „Gottlob!“ heraus. Eine geheime Angst hatte sich in den letzten Wochen, da die Adoption mühsam durch die Instanzen kroch und noch immer nicht vorwärts rücken wollte, ihrer bemächtigt. Es konnte irgend ein Hinderniß eintreten – vielleicht scheiterte das Gesuch an Allerhöchster Stelle. Und dann die leidige Spitzfindigkeit der Juristen! Der Oberstlieutenant war doch inzwischen gestorben und begraben – darf die Adoption auch noch über das Grab hinausgreifen?

Aber, Gottlob, nun war Alles gut! Die heiße, die ungeheuerliche Sehnsucht ihres Lebens war gestillt. Von nun an ist es genug des Götzendienstes!

Doch da kam Olga an. Die laute Freude mußte wohl an sich halten vor der Trauerkleidung, die der zarten Blondine übrigens reizvoll stand, und vor der still verhärmten Miene, die auf lange hin die alte Schmetterlingsfröhlichkeit nicht mehr aufkommen lassen würde.

Olga hatte in dem Belzig’schen Hause vorläufige Unterkunft gefunden. Sie plante allerlei Engagements, die sie in England, irgendwo in der weiten Welt, annehmen würde. Belzig’s wollten natürlich nichts davon wissen. „Sind wir, oder werden wir denn nicht verwandt, Olga?“ drängte Frau Belzig. „Du bleibst einfach, wir lassen Dich nicht fort!“

Der Hauptmann trat respektvoll auf die Nahende zu, nahm zu deren Ueberraschung ihre Hand und führte sie an seine Lippen.

„Meine Schwester, meine theure Schwester, darf ich Sie von heute ab so nennen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 370. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_370.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)