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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Schwer athmend lag die Sprecherin zwischen den Kissen und von dem Antlitz war jede Spur von Milde verschwunden, wahrend Kordula mit fest auf einander gepreßten Lippen der kurzen Erzählung nachsann.

„Und das Kästchen am Boden der Truhe – birgt es auch eine Erinnerung an jene Zeit?“

Tante Renate lachte kurz und schneidend auf. „Nein, Kind, wenn ich seinem Inhalt auch vielleicht mein ganzes Elend danke. Es enthält kostbare Diamanten, den fürstlichen Familienschmuck meiner Mutter, welcher meinem Vater für die Tausende Kredit verschaffte, die dann den Leuten Sand in die Augen streuten. Mir graut vor ihm!“

Tiefe Stille folgte dem letzten, fast wilden Aufschrei der gequälten Frau – und leise brach der erste Dämmerschein des kommenden Morgens durch den Vorhang, mit dem rothen Licht der Lampe zu kämpfen, die zu verlöschen drohte. Kein Laut war hörbar, als das leise Uhrticken von der Wand her.

(Schluß folgt.)




Schießübungen unserer Soldaten.

(Mit Illustration S. 365.)

Kompagniebefehl. Morgen früh schießt die Kompagnie auf Stand 3. Der erste Schuß fällt um 7 Uhr.

Es ist in der Hochsaison der Schießübungen, im Monat Juni oder Juli. Der Befehl, den der gestrenge Herr Feldwebel mit seiner etwas monotonen Jupiterstimme bei der Parole-Ausgabe verliest, trifft daher Niemand unvorbereitet, aber er veranlaßt doch während des Nachmittags in dem Quartier der Kompagnie eine rege Thätigkeit. Da hat der Schießunterofficier – bei jeder Kompagnie hat bekanntlich ein womöglich auf der Schießschule in Spandau ausgebildeter älterer Unterofficier diese wichtige Stellung inne – die Listen vorzubereiten, die Unterofficiere zur Aufsicht, den Schreiber zu kommandiren und die erforderlichen Patronen bereitzustellen; der Tischler der Kompagnie, natürlich auch ein Grenadier, der hier Gelegenheit findet, seinen civilen Beruf zu verwerthen, eilt auf den Boden und sieht noch einmal nach, ob der fertige Scheibenbestand auch ausreichen wird. Auf dem Kasernenhofe übt die Mannschaft „Anschlag und Zielen“; einzelne schlechte Schützen erhalten eine kleine Nachhilfe, indem der Chef sie persönlich mit dem Zimmergewehr schießen läßt. Der zur Leitung des Schießens kommandirte Herr Premierlieutenant aber macht, als ihm beim Mittagstisch in dem Kasino das Dienstbuch vorgelegt wird, sein süßsauerstes Gesicht. „Von 7 bis 11 Uhr auf dem Scheibenstande bei 19 Grad im Schatten,“ meint er leise, „das kann ja ein recht angenehmer Vormittag werden. Na: je mehr Dienst, je mehr Ehre!“

So ganz Unrecht hat der Premier nicht. Beim Frühschoppen sitzen ist entschieden angenehmer als drei oder vier Stunden „schießen lassen“. Es gehört eine eiserne Willenskraft dazu, die ganze Zeit über nicht nur seine volle Aufmerksamkeit auf die Schützen zu koncentriren, von denen jeder Einzelne gerade auf dem Scheibenstand seiner Individualität nach anders behandelt werden muß, wenn man einen Erfolg erzielen will, sondern auch die Scheibe und die Anzeiger fortgesetzt im Auge zu behalten, um diese zu kontrolliren und Unglücksfälle zu vermeiden. Wird einer der Anzeiger verwundet – und die Möglichkeit ist trotz aller Vorsichtsmaßregeln nicht ausgeschlossen, wenn das Aufsichtspersonal nicht äußerst aufmerksam ist – so lastet meist die ganze Verantwortlichkeit auf dem Officier.

Aber der Schießdienst ist andererseits auch sehr interessant. Wie jeder Musketier dafür Interesse zeigt, daß „seine Kompagnie“ am besten im Regiment schießt, so ruft der Wetteifer auch unter dem Ausbildungspersonal die höchste Anspannung hervor. Jeder fühlt außerdem, daß es sich um die wichtigste Vorbildung für den Ernstfall, für den Krieg handelt. Die Zeiten, wo der Soldat „über den Daumen“ anstatt über ein Visir zu zielen angehalten wurde, sind längst und für immer vorüber, und wie eine historische Kuriosität erscheint es, daß es vor noch nicht 80 Jahren als ein gewaltiger Fortschritt gepriesen wurde, den Infanteristen nunmehr jährlich 10 Patronen nach der Scheibe verschießen zu lassen. Heute genügt die zwanzigfache Munitionsmasse kaum für die jährlichen „vorgeschriebenen Uebungen“, und der Infanterist muß sein Gewehr in allen Lagen und auf alle in Betracht kommenden Entfernungen praktisch erprohen lernen, der Kavallerist muß mit der Pistole oder dem Karabiner durchaus vertraut sein.

Es ist ein langer Weg von den ersten Zielkunststückchen, die der ungelenke Rekrut mit dem unbekannten Ding, dem Gewehr nämlich, auf dem Sandsack vornimmt, von der „Vorübung“ gegen die Strichscheibe auf hundert Meter bis zu den weiten Entfernungen, den verschiedenen Scheibenarten gegenüber, und endlich bis zu dem Schießen im Terrain und in kriegsgemäßen Gliederungen. Hier wie bei allen Ausbildungszweigen in der deutschen Armee baut sich die größere und schwerere Anforderung an die Truppe stets auf der gründlichen, erschöpfenden Beendigung einer leichteren auf: für das Schulschießen mit seiner Stufenleiter von „Bedingungen“ ist die Mannschaft z. B. in drei Klassen eingetheilt, und nur wer die vorhergehende absolvirt hat, kann im nächsten Jahre in die höhere, die wieder größere Ansprüche stellt, aufsteigen. An das Schießen des einzelnen Mannes gegen die Strich-, Ring- oder Figurscheibe schließt sich dann endlich das Gefechtsschießen der Kompagnien, in dem die Führer in der Feuerleitung auszubilden, die Mannschaften in ihrer Gesammtheit zu prüfen und an gefechtsmäßige Situationen zu gewöhnen sind. Gerade die jüngste Errungenschaft des deutschen Heeres, das Magazingewehr, hat nach dieser Richtung hin wesentliche Veränderungen hervorgerufen, und es ist hier vielleicht der passende Ort, um das neue Infanteriegewehr M(odell) 71. 84 unseren Lesern in Wort und Bild vorzuführen.

Es sind etwa 14 Jahre verflossen, seit die deutsche Infanterie ihre letzte Feuerwaffe empfing. Dies war bekanntlich das Infanteriegewehr M/71, oder nach dem Volksausdrucke „Mauser-Gewehr“, welches im Jahre 1871 in dem deutschen Reichsheere zur Einführung gelangte. Das System Mauser löste damals das System Dreyse ab, nachdem letzteres in den Feldzügen der preußischen Armee 1864 und 1866 und in dem großen Kriege des geeinigten deutschen Heeres von 1870 auf 1871 seine guten Dienste gethan hatte, von dem man jedoch bald darauf einsah, daß es nicht mehr auf der Höhe der Zeit stehe. So ergeht es gegenwärtig dem Modell Mauser: dasselbe entspricht nicht mehr den Anforderungen, welche an eine durchaus kriegsbrauchbare Feuerwaffe gestellt werden müssen, und deßhalb macht dasselbe jetzt einem neuen Gewehr Platz, welches die bisher gewährten Vortheile des Hinlerladers mit denen der Schnellfeuerung des Mehrladers vereinigt.

Das neue Gewehr ist also ein Repetirgewehr, das heißt ein mit einer Mehrladevorrichtung versehener Hinterlader. Die Bezeichnung M/71.84 soll ausdrücken, daß die neue Feuerwaffe ihrer Konstruktion nach im Wesentlichen das alte Modell (M/71)geblieben ist, welches nur durch die im Jahre 1884 angenommene Neu-Einrichtung eine Mehrladevorrichtung, sowie einige andere, das Wesen der Waffe aber nicht aufhebende Veränderungen erlitten hat.

Werfen wir jetzt einen Blick auf die neue Waffe, wobei uns die hier nach den amtlichen Vorbildern[1] in Holzschnitt wiedergegebenen Abbildungen gute Dienste leisten werden.

Das Gewehr besteht aus drei Haupttheilen: Lauf, Schloß, Schaft und der Garnitur. Das Zubehör bilden Gewehrriemen, Mündungsdeckel, Visirkappe und Schraubenzieher; von letzterem kommt je einer auf zehn Gewehre. Zu jedem Gewehr gehört ein Seitengewehr, welches aufgepflanzt wird, wenn das Gewehr als Stoßwaffe benutzt werden soll.

Von den drei Haupttheilen des Gewehrs glauben wir hier den Lauf und Schaft außer jeder Betrachtung lassen zu können, weil beide unwesentliche Veränderungen gegen früher erfahren haben, dagegen wollen wir unsere Aufmerksamkeit dem Schlosse zuwenden, welches als Sitz der neuen Mehrladevorrichtung vornehmlich Beachtung verdient.

Das Schloß dient zum Verschlusse des Laufs, zur Entzündung der Patrone, zum Ausziehen der Hülse der abgefeuerten Patrone und zum Zuführen der Patronen aus dem Patronenmagazin, wenn dessen Füllung zur Verwendung gelangen soll.

Die Bestandtheile des Schlosses sind: die Hülse, das eigentliche Schloß, welches alle die Theile umfaßt, die mit der Kammer unmittelbar in Verbindung stehen und nach dem Lösen der Kammerscheibe zugleich mit der Kammer aus der Hülse entfernt werden können, dann die Abzugs- und endlich die Mehrladevorrichtung.

  1. Dieselben sind enthalten in der amtlichen Schrift „Instruktion über das Infanteriegewehr M/71.84 nebst zugehöriger Munition. Berlin, 1886, E. S. Mittler u. Sohn, königliche Hofbuchhandlung.“ Die kleine Schrift war anfangs nur auf dienstlichem Wege aktiven Mitgliedern des Reichsheeres zugänglich, ist jedoch seit December 1886 für den Buchhandel freigegeben worden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 366. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_366.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)