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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

mit geheimnißvollen Worten von einer Millionentante gesprochen, die Kordula nun beerbt hatte.

Der phantasievolle Erfinder dieser Details hielt sich bei dieser Wanderung mehr im Hintergrunde und rieb sich als stiller Beobachter nur schmunzelnd die Hände über das „Preisrennen“, das er durch seine Worte hervorgerufen hatte, unbesorgt um ernsthafte Folgen. Er hatte ja offene Augen, konnte also bei einem nicht zu besorgenden „Reinfall“ eines Kameraden zur rechten Zeit einschreiten. An eine größere Erbschaft der Kleinen glaubte er nicht, doch gönnte er ihr die kurze Blüthezeit von ganzem Herzen. Besonders machte ihm Stangen Spaß, den die plötzlich entdeckten fascinirenden Augen Kora’s, ihre strahlenden Brillanten und die vermeintlichen Geldsäcke völlig überwältigt hatten. Diesem eleganten Gesellschafter konnte es Kordula zumeist danken, daß sie so schnell der Mittelpunkt des Festes geworden war, hatte er sie doch als pikantes reizvolles Mädchen bezeichnet!

Jetzt, als sich die kleine Gesellschaft von Kordula vor deren Wohnung verabschiedete, behielt Stangen ihre Hand auch länger in der seinen, als gerade nöthig gewesen, und seine Augen suchten mit ganz besonderem Blick die ihren. Ein alter Kunstgriff, welcher aber bei dem unverwöhnten Mädchen seine Wirkung nicht verfehlte, denn ihre Finger bebten leicht zwischen den seinen, und dieses Zittern hielt noch an, als sie die finstere schmale Treppe emporstieg.

Leise öffnete sie die Stubenthür, doch kaum war sie eingetreten und hatte Licht angezündet, als die Stimme der Tante vom Nebenzimmer her ihren Namen rief. Kordula stand athemlos. Noch knisterte die Seide an ihrem Körper, noch lagen die Steine schwer um Hals und Arm – was sollte sie thun? Antwortete sie, so begehrte die Tante wie sonst, daß sie sich auf den Bettrand setze, um ihre Erlebnisse zu schildern. Mußte dann nicht der tastende Finger, jede von unvermeidlichem Rauschen begleitete Bewegung der Blinden ihre Handlung offenbaren? Während sie noch überlegte, was zu thun sei, hörte sie die Tante sich von ihrem Lager erheben, und bald stand die gebückte Gestalt unter der Thür, mit den erstorbenen Augen unruhvoll durchs Gemach spähend.

Kordula regte sich nicht, kaum hob der Athem ihre Brust, und nur die Blicke folgten angstvoll jeder Bewegung der Blinden, welche langsam durch das Zimmer herangeschritten kam und, nur durch einen Tisch von ihr getrennt, vorüber wandelte.

„Kordula?“ frug diese von Neuem, doch leiser, ungewisser; dann plötzlich erhob sich der Kopf mit bebenden Nasenflügeln. „Das ist doch Lavendel!“ murmelte sie, und plötzlich, indem sich ihr Gesicht eigenthümlich verzog, tastete sie sich in ungewohnter Hast dem Schrank in der Ecke des Zimmers zu. Nachdem sie ihn geöffnet, bückte sie sich, um bald darnach einen Seufzer der Erleichterung auszustoßen „Da ist er ja,“ hörte Kora Tante Renate wieder leise vor sich hinsprechen – „Thorheit, Thorheit – aber wo mag der Schlüssel sein?“

Die Finger streiften suchend am Boden, immer unruhiger und hastiger, dann plötzlich schüttelte sie wie im Aerger über sich selbst den Kopf. „Er wird hinabgefallen sein – vielleicht unter den Schrank – was weiter!“ beruhigte sie sich, um dann endlich wieder nach dem Schlafzimmer zurückzugehen

Kordula schien zur Bildsäule erstarrt zu sein; nur die großen brennenden Augen ließen nicht von der gebrechlichen Frauengestalt, und tiefe Blässe und Röthe wechselten auf ihrem Antlitz. Reue war es nicht, was sie fühlte, nur die Furcht, der alten Frau Schmerz zu bereiten, und eine brennende Scham vor dem Ertapptwerden. Die kurzen Minuten wurden ihr furchtbar lang.

Noch als Frau von Velsen längst das Zimmer verlassen, stand das Mädchen bewegungslos, erst als tiefe Athemzüge den eingetretenen Schlummer verriethen, wagte Kordula sich von der Stelle zu rühren. Völlig unhörbar verließ sie von Neuem das Zimmer und begann sich in der Küche aus- und wieder anzukleiden; mit dem Domino über dem Arm kehrte sie dann geräuschvoller zurück.

Wie sie vermuthet, schreckte die alte Frau auch diesmal wieder empor, und sogleich beeilte sich Kordula, zu antworten, und nachdem sie scheinbar den Mantel abgelegt und die Lampe entzündet, in Wahrheit aber das Kleid und den Schmuck in die Truhe eingeschlossen, trat sie an das Lager der Tante.

Mit Genugthuung fühlte sie, wie der dürre Finger heimlich über ihr Kleid hinstrich; doch bald sprach der gerade Sinn der Alten aus, was sie „thörichterweise“ vermuthet, wie sie kopfschüttelnd eingestand.

„Ich weiß nicht, woher es mir plötzlich durch den Sinn schoß, daß Du mein Brautkleid anhabest, Kind, ich muß es wohl geträumt haben, eben so, daß ich deutlich die Thür gehen hörte. Mein Gott, riecht mir denn heute Alles nach Lavendel?“ unterbrach sie sich plötzlich, sich über des Mädchens Hand beugend.

Kordula strich zärtlich über die faltige Wange. „Wie mußt Du Dich aufgeregt haben, Tante, um solch’ hartnäckige Sinnestäuschungen zu erleiden! Aber sage mir,“ begann sie vorsichtig das Gespräch zu wenden, „Du hängst in wahrhaft rührender Liebe an diesem Kleide und doch warst Du nicht glücklich in Deiner Ehe? Ein seltsamer Widerspruch, den ich mir nicht zu erklären vermag!“

Frau von Velsen richtete sich halb auf ihrem Lager empor. „Du fragtest mich bisher nie nach meinen Schicksalen, Kind! Ich will Dir aber den Widerspruch verständlich zu machen suchen, vielleicht auch zugleich mein eigenes Wesen, das Dir gewiß manchmal schrullenhaft und ungerecht erschienen ist. – Ich war, wie Du weißt, das Kind eines Kavallerie-Officiers. Gerade, als ich in die Gesellschaft eintrat, ernannte man meinen Vater zum Regimentskommandeur der Gardedragoner. Die Eltern lebten auf großem Fuß; man sah uns überall, wir machten große Reisen, und der ganze Zuschnitt unseres Hauses war überhaupt ein derartiger, daß Jedermann uns für reich halten mußte. Es war nicht der Fall, doch thaten meine Eltern nichts, mir meinen Glauben zu nehmen, eben so wenig, die anderen Menschen aufzuklären. Ein Tag wie der andere schwand in Saus und Braus dahin, und ich ließ mich, vom Glück übermüthig gemacht, von der Woge tragen. Es stellten sich genug Bewerber um meine Hand ein, doch ganz besonders Einem schien mein Vater seine Gunst zu schenken, und daß ich mit dieser Vorliebe nicht unzufrieden war, kannst Du Dir denken, da Du die Bilder meines späteren Gatten kennst und ich noch hinzusetzen darf, daß er einer der elegantesten Reiter und Tänzer war und in den glänzendsten Vermögensverhältnissen sich zu befinden schien.

Als wir uns verlobten, schmunzelte mein Vater über die glänzende Partie seiner ältesten Tochter – und doch hatten sich beide gegenseitig betrogen. Kurz vor der Hochzeit, bei Eingabe des Konsenses kam es zur Aussprache, doch noch immer versuchte Einer dem Andern allerlei Vorspiegelungen zu machen. Erbschaften erschienen am Horizont, niedrige Spekulationspapiere und Aehnliches mehr, und – mir noch heute unerklärlich – sie glaubten einer dem Anderen.

Man nahm es damals nicht so streng mit Sicherstellung des Heirathsgutes, wie heut zu Tage, und so gründeten wir unseren Hausstand eigentlich auf Nichts.

Ich hatte von dem, was sich hinter den Koulissen abgespielt, keine Ahnung, ging ganz in der Liebe zu meimm Bräutigam auf und stand strahlend glücklich mit ihm vor dem Altar. – Wie der letzte Blick vor dem Scheiden auch der schönste zu sein scheint, also erging es mir in der Erinnerung mit diesem Tag. Alle Seligkeit meiner Jugend, das ganze Glück meiner Kinderjahre koncentrirte sich in meiner Erinnerung an ihn – begreifst Du jetzt vielleicht meine Liebe für das Gewand, das greifbare Andenken an jene Stunden reinen vollkommenen Glückes?“

Tief aufseufzend ließ sich die Greisin in die Kissen zurücksinken, und aus den todten Augen rollten schwere Tropfen langsam über die runzlige Wange.

„Und wie kam dann das Unheil, Tante?“ wagte endlich nach längerer Pause Kordula zu fragen.

„Schritt für Schritt, unerbittlich!“ sagte die Frau mit veränderter schneidender Stimme. „Schon am Tage nach unserer Hochzeit wurde mein Gatte unruhig und argwöhnisch, durch irgend ein Manöver meines Vaters aufgeschreckt, und seine Liebe begann rasch vor dem Mangel zurückzuweichen. Nicht der Blick auf die Zukunft stachelte ihn aber zu den rücksichtslosen Vorwürfen auf, die mich von nun an Tag und Nacht verfolgten, vielmehr das unerbittliche Muß, welches ihn zwang, endlich den falschen Schein abzuthun und unsere Dürftigkeit einzugestehen. Es war ein harter Kampf, mit meinem ganzen Glück hab’ ich den Sieg bezahlt – und seit jener Zeit hasse ich den Schein, wie sonst nichts in der Welt!“

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