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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.
Stickapparat an Doppelsteppstich-Nähmaschinen.

Viele von unseren Leserinnen, welche die Frauenbäder Elster, Franzensbad und Marienbad besucht haben, durcheilten auch im Fluge das sächsische Vogtland. Die wenigsten von ihnen hatten jedoch Gelegenheit gefunden, dort die Stätten einer Industrie aufzusuchen, welche für die Frauen besonders interessant ist, jene großen Fabriken, in welchen die Stickmaschine ihre Triumphe feiert. Diese gewaltige Konkurrentin der geschickten Frauenhand ist dort bereits seit Jahrzehnten eingebürgert. So oft ich jedoch in früheren Jahren ihre Massenarbeit beobachtet, mischte sich in die Bewunderung des erfinderischen Geistes der Menschheit das Bedauern, daß diese Wohlthaten nicht der so überaus wichtigen Hausindustrie, der still und ruhig in ihrem Hause stickenden und nähenden Frau zu Gute kamen. Die kleinen Tambourir-Stickmaschinen und Stickapparate konnten leider mit der Fabrikstickerei nicht konkurriren.

Eine Wendung zum Bessern ist inzwischen auf diesem Gebiete eingetreten, namentlich seitdem man auf den Gedanken verfiel, die Nähmaschine mit dem Stickapparat zu verbinden. Ueber die einzelnen Etappen dieses Fortschritts, über die kleinen Triumphe der Technik haben wir schon wiederholt in diesem Blatte berichtet. Heute sind wir in der erfreulichen Lage, auf eine Erfindung hinweisen zu können, die in ihrer Wirkung uns förmlich überrascht, auf einen Stickapparat, welcher in jedem Haushalt aufgestellt werden kann und die feinsten Stickereien liefert, wie sie bisher kaum eine der bekannten Stickmaschinen herzustellen vermochte.

Auf die Einzelheiten in der Konstruktion des kleinen Apparates wollen wir nicht eingehen, denn dieselben würden unsere Leserinnen ermüden. Ihnen kommt es ja in erster Linie darauf an, Näheres über die Handhabung und den Nutzen desselben zu erfahren.

Der Apparat läßt sich an allen Doppelsteppstich-Nähmaschinen, mit Ausnahme der nach dem Wheeler und Wilson’schen System gebauten, anbringen. Er besteht, wie dies unsere Abbildung zeigt, aus einem System von Schienen, mit welchem der Stickrahmen verbunden ist. An diesen Schienen ist ein aus verschiebbaren Linealen zusammengesetztes Hebelwerk befestigt, welches an seinem äußersten Ende mit einem Stift versehen ist. Dieses Hebelwerk führt in der Technik den gelehrten Namen Pantograph. Christoph Scheiner, welcher dasselbe schon um das Jahr 1650 erfunden, bezeichnete es mit dem guten deutschen Namen „Storchschnabel“. Dieser Storchschnabel dient zur Verkleinerung von Zeichnungen und vermittelt auch in dem vorliegenden Apparate denselben Zweck. Ein Blick auf die Abbildung wird uns das sofort klar machen. Wir haben vor uns eine Vorlage, ein sehr groß gezeichnetes A; würden wir nun die Nadel der Nähmaschine durch eine fein zugespitzte Bleifeder ersetzen, so könnten wir die Zeichnung mit Hilfe des Pantographen in verkleinertem Maßstabe auf das unter der Nadel im Stickrahmen ausgespannte Zeug übertragen. Wir brauchten nur mit dem Stift, den die Hand hält, auf den Kontouren der Zeichnung hin und her zu fahren: das Hebelwerk würde alsdann den Stickrahmen entsprechend den Bewegungen des Stiftes verschieben und die Zeichnung würde auf dem Zeug verkleinert erscheinen. Aehnlich verfahren wir auch beim Sticken mit unserem Apparat. Die Maschine ist eingefädelt; wir legen die Vorlage vor uns und setzen auf ihr den Stift von einem Punkt auf den anderen, als ob wir die einzelnen Stiche auf der großen Vorlage ausführen wollten. Die Nähmaschine wird inzwischen selbstverständlich in Bewegung gesetzt und die Stickerei erscheint in sechsfach verkleinertem Maßstabe auf dem ausgespannten Zeuge.

Das ist, wie wir sehen, eine durchaus leichte Arbeit, die im Vergleich mit dem bis jetzt üblichen Sticken noch manche Vortheile aufzuweisen hat.

Das bisher nöthig gewesene umständliche Vorzeichnen oder Schabloniren auf den zu bestickenden Stoff ist nunmehr nicht mehr nöthig; es genügt eine einzige Vorlage als Stickmuster, um die Stickerei auf dem Stoff beliebig oft auszuführen.

Da ferner beim Arbeiten nicht die Stickerei selbst, sondern nur die bedeutend größere Vorlage mit den Augen verfolgt wird, so ist es einleuchtend, daß der bisher so schädliche Einfluß der Handstickerei auf die Augen nun ganz aufgehoben wird.

Was die Leistung des neuen Stickapparates anbelangt, so ist die mit ihm hergestellte Stickerei viel haltbarer als die durch den bekannten Tambourirstich gelieferte und fällt auf beiden Seiten gleichmäßig schön aus. Der Stickapparat kann endlich unter Benutzung einer karrirten Vorlage auch noch zum tadellosen Stopfen von Löchern der Wäsche benutzt werden.

Und der Preis des Stickapparates? Er ist für die meisten Haushaltungen erschwinglich, denn nach einer Mittheilung der Firma Houchet u. Komp. in Leipzig, welche die Fabrikation desselben übernommen hat und ihn an Fabrikanten und Nähmaschinenhändler abgiebt, wird derselbe im Detailverkauf etwa 30 Mark betragen. An der Nähmaschine muß vor dem Anbringen des Apparates eine kleine Aenderung vorgenommen werden. Jede Nähmaschinenhandlung wird jedoch im Stande sein, dieselbe auszuführen, und die Nähmaschine bleibt ungeachtet dieser Aenderung intakt, so daß sie nach dem Abstellen des Stickapparates sofort zum Nähen in gewohnter Weise gebraucht werden kann.

Lithographirte Vorlagen zum Sticken mit diesem Apparat: Buchstaben, Monogramme, Kronen, Blumen, Arabesken, Figuren etc. sind schon in großer Auswahl fertig zu haben, aber außerdem können die Frauen auch andere zu diesem Zweck geeignete Bilder benutzen, wie Photographien, Holzschnitte etc., den kunstsinnigen Damen aber bleibt für die von ihnen selbst gezeichneten Entwürfe nach wie vor der weiteste Spielraum offen.

Auch wir Männer dürfen den Apparat willkommen heißen, denn wenn wir künftig die zierlichen, uns verehrten Stickereien ansehen, so werden wir uns nicht mehr zu ärgern brauchen über die vielen verlorenen Stunden und Tage und über das Verderben der schönen Aeuglein, die Stich für Stich den Faden verfolgten. Die Geschenke werden uns gewiß ebenso theuer sein wie zuvor, denn wir sind höflich genug, nicht zu viel Anstrengung von den Damen zu verlangen. Wir gönnen ihnen von Herzen die Segnungen der modernen Kultur. Für die Faust des Schmiedes schwingt schon längst der Dampf tausend wuchtige Hämmer, auch die Frauenhand wird immer mehr und mehr durch die Maschine entlastet. Das ist ja auch eine der erwünschten Wandlungen, welche bewirkt werden durch die Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit. C. Falkenhorst.     




Die Einsame.
Erzählung von S. Kyn.
(Fortsetzung.)


Der nächste Tag und auch der darauf folgende gingen im gewohnten Gleichmaß hin. In der Fensternische saßen sich wie immer Tante und Nichte gegenüber, und die langen Holznadeln der ersteren klapperten unaufhörlich gegen einander, während Kordula, tief über die kunstvolle Blattstichstickerei gebückt, emsig arbeitete. Nur selten einmal hob sie die Augen, um einen Blick durchs Fenster zu werfen, sie kannte ja längst jede Hand voll Erde da unten, und die Leute, die hin und wieder über den schnurgeraden Kiesweg eilten, konnten ihr durchaus kein Interesse abgewinnen.

„Wie lange noch und der Baum wird neue Blätter tragen,“ brach wieder einmal die alte Frau das tiefe Schweigen, in welches sie nur zu oft versanken. „An dem Rauschen der Gossen höre ich, daß es mit Schnee und Eis für diesmal vorbei ist.“ Und lauschend wandte sie ihr Antlitz dem Fenster zu, an welches der Wind unaufhörlich dicke Tropfen warf.

Müde hob das junge Mädchen den Kopf, und die halbverschleierten Augen glitten fast widerwillig zu den rauchdunklen kahlen Aesten der alten Linde hinaus. „Du hast Recht, Tante, die Knospen schwellen mit jedem Tage dicker an. Wie seltsam doch, daß der schöne Baum Jahr für Jahr in diesem luftlosen Raum immer wieder keimt und sproßt,“ setzte sie nachdenklich hinzu, für einen Augenblick die Hände müßig in den Schoß senkend.

„Kind, die Natur hat keine Launen, sondern thut redlich ihre Pflicht. Sie bleibt uns nichts schuldig, wie das Leben.“

„Pflicht, Pflicht!“ lachte Kordula spöttisch, „der arme einsame Baum wird nicht gefragt, ob er weiter vegetiren will oder nicht, er muß einfach leben!“ Dann schwiegen Beide wieder; nur das eintönige Geräusch des stürzenden Regens klang durch die Stille, bis dieser durch ein kräftiges Pochen an die Thür ein Ende gemacht wurde.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_361.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2023)