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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Willen überwinden! Die Vorschule wird absolvirt, eben so der Steuermannskursus, und es geht in die Prüfung. Wer kennt sie nicht, die Schrecknisse einer Prüfung? Auch unsern angehenden Steuermann ergreift das Prüfungsfieber. Wie viel wird verlangt, und wie wenig weiß er! Doch unser Steuermannskandidat und wir mit ihm haben uns umsonst geängstigt. Fleiß und gute Führung sind hei der Feststellung des Gesammtresultats mit in Anrechnung gebracht. „Bestanden“, so lautet der Ausspruch der Prüfungskommission. Er ist jetzt Steuermann. Da er sich „freigefahren“ hat[1], so braucht er nicht bei der Marine zu dienen, sondern kann sich nach einer Heuer (Stellung an Bord) umsehen. Dieselbe ist bald gefunden. Jeder Schiffer weiß, was er an ihm hat, einen ganzen Mann nämlich, auf den er sich in allen Lagen verlassen kann. Seine Heuer (hier Gehaltseinnahme), welche gleich der doppelten Matrosenheuer ist, setzt ihn in den Stand, in wenig Jahren nicht bloß die gemachten Schulden abzuzahlen, sondern auch eine Summe zu erübrigen, welche zur Bestreitung der durch den Besuch der Schifferschule entstandenen Kosten ausreicht. Unser Steuermann wird, nachdem er 24 Monate als solcher gefahren, zur Schifferprüfung zugelassen. Dieselbe wird ebenfalls glücklich bestanden, und die Lehrjahre überhaupt sind beendigt.

Doch welches Aussehen hat jetzt unser Freund? Ist es noch gerathen, ihm aus dem Wege zu gehen? Nun freilich, allzuviel Spaß versteht er auch heute nicht, und einige Vorsicht dürfte sich im Verkehr mit ihm immerhin empfehlen. Aber kaum etwas erinnert noch an den früheren Schiffsjungen. Du siehst vor dir einen jungen Mann, dessen kräftige Gestalt und gebräuntes Gesicht von Gesundheit strotzen, und der in seiner kleidsamen Schiffertracht einen fast eleganten Eindruck macht. Seine Manieren haben durch den längeren Aufenthalt in der Stadt gewonnen, und auch die Sprache hat sich zu ihrem Vortheil verändert. Wenn er sich auch mit Vorliebe des niederdeutschen Idioms bedient, so geschieht es doch in mehr gebildeter Weise. Die auffälligste Veränderung aber ist mit seiner gesellschaftlichen Stellung vor sich gegangen: er gehört jetzt dem Honoratiorenstande an, gleichviel welches Herkommens er ist. Auch der schöneren Hälfte der Bevölkerung gegenüber sind natürlich seine Aussichten und Ansprüche bedeutend gestiegen. Er darf überall anklopfen und ist in jeder Familie, auch der angesehensten, als Schwiegersohn willkommen. Unser Freund hat denn auch bald seine Wahl getroffen und sich mit der Tochter eines wohlhabenden Schiffers verlobt. Die Verwandtschaft der Schwiegereltern ist zahlreich und gut situirt, was für das schnelle Vorwärtskommen des angehenden Schiffskapitäns besonders ins Gewicht fällt.

Wir müssen bei dieser Gelegenheit einer eigenthümlichen Einrichtung gedenken, die vorzugsweise an demjenigen Theil der Küste, dem das vorstehende Lebensbild entnommen ist, angetroffen wird. Unsere Küstenleute haben nämlich schon früh die Vortheile der Association erkannt und praktisch verwerthet. Man baut die Schiffe auf Aktien, von denen jede in der Regel auf ein sechzigstel Antheil lautet und ein Schiffspart genannt wird. Sämmtliche Antheilbesitzer bilden die Rhederei, welche Eigenthümerin des Schiffes ist und die durch den Korrespondentrheder vertreten wird. (Diese Stellung wird in der Regel durch einen angesehenen Kaufmann der nächsten Hafenstadt bekleidet, der für seine Mühwaltung gewisse Procente der Frachteinnahme bezieht.) Da nun wohlhabende Verwandte sich selten weigern, ein Schiffspart zu zeichnen, so leuchtet ein, daß ein möglichst großer Kreis von Angehörigen dem jungen Mann sehr zu Statten kommt. Er wird eben die Parten des von ihm zu erbauenden Schiffes um so leichter und schneller an den Mann bringen. Mitunter gelingt es auch, einen Fremden zur Uebernahme eines Antheils zu bereden; denn das Rhedereigeschäft ist, oder richtiger war, ein gewinnbringendes. Was zuletzt noch an Parten übrig bleibt, übernimmt der junge Schiffer auf eigene Rechnung; an Kredit fehlt es jetzt nicht mehr. Nachdem so Alles vorbereitet ist, wird mit einem Schiffsbaumeister ein Kontrakt abgeschlossen und der „Kiel gestreckt“ (der Bau begonnen). Da es an den nöthigen Mitteln nicht fehlt, rückt der Bau munter vorwärts, und vielleicht schon nach Verlauf weniger Monate kann das Schiff vom Stapel laufen.

Bis dahin verlebt unser Freund die schönsten Tage seines Lebens, er theilt seine Zeit zwischen Schiff und Braut. Während er den Tag auf der Baustelle zubringt, um darauf zu sehen und darüber zu wachen, daß der Bau seinen Angaben und Wünschen entsprechend ausgeführt wird, widmet er den Abend der Liebsten und den Angehörigen. Des Sonntags macht er mit der Braut bei den Verwandten die üblichen Visiten, und bei dieser Gelegenheit sehen wir ihn zum ersten Mal mit dem ehrbaren Cylinder, der späteren ständigen Kopfbedeckung des verheiratheten Schiffers. Nachdem das Schiff unter großer Feierlichkeit und lebhafter Betheiligung des Publikums vom Stapel gelaufen ist, wird die letzte Arbeit an demselben, die Takelung, in Angriff genommen. Unterdessen ist die Mutter der Braut mit der Aussteuer fertig geworden, und die Hochzeit kann mit mehr oder weniger Pomp, je nach Geschmack und Vermögen, gefeiert werden. Das Schiff ist fertig, eine Fracht ist an- und eingenommen und fort geht’s einer ungewissen Zukunft, einem Leben voll Mühseligkeit und Gefahr entgegen. Sein junges Weib begleitet ihn. Für das Kind der Küste, für die Tochter des Seemanns hat das Meer keine Schrecken; sie ist bereit, Noth, Gefahr und Tod mit dem Mann zu theilen.

Wir dürfen in dem Leben unseres Helden einen Zeitraum von zwanzig und einigen Jahren überspringen. Er hat sich nur selten und immer nur auf kürzere Zeit in der Heimath sehen lassen. Dieselbe ist ihm und er ihr fast fremd geworden. Er hat den Ocean nach den verschiedensten Richtungen hin durchkreuzt und weit entlegene Hafenplätze aufgesucht. Er hat ein Leben geführt voll Mühe und Entbehrung und mehr als einmal dem Tode ins Auge geschaut. Aber sein Ringen ist nicht erfolglos geblieben. Er hat, von seiner wackeren Hausfrau unterstützt, die, als die Familie sich vergrößerte, zu Hause geblieben ist und des Hauswesens treulich gewaltet hat, etwas vor sich gebracht; er denkt daran, sich in Ruhestand zu begeben. Sobald der Sohn sein Schifferexamen gemacht hat, wird er sein Schiff demselben abtreten.

Sehen wir uns nun zum Schluß den in Ruhestand getretenen Schiffskapitän etwas näher an. O, er macht einen ganz respektablen Eindruck, unser alter Freund in seinem, wenn auch nicht modischen, so doch feinen schwarzen Anzug mit dem glänzend gebürsteten Cylinder und der schweren goldenen Uhrkette. Das Haar ist wohl ergraut, und Sturm und Unwetter haben ihre Spuren in seinem Antlitz hinterlassen, aber nichts sonst läßt auf Alter und Hinfälligkeit schließen. Im Gegentheil, die breite feste Gestalt mit der deutlichen Anlage zum Embonpoint deutet auf Kraft und Rüstigkeit hin. Aber womit beschäftigt er sich? Er hat ein Grundstück angekauft, sich ein hübsches Wohnhaus erbaut, einen Garten angelegt und später einige Aecker und Wiesen dazu erworben. In dieser kleinen Wirthschaft legt er Hand mit an, hier findest du ihn im einfachsten Anzuge Tag ein Tag aus beschäftigt. Des Abends begiebt er sich in den „Krug“ (Gasthof), um in der Zeitung nach Abgang und Ankunft der Schiffe sowie nach dem Stande der Frachten zu sehen und mit einem alten Kameraden zu plaudern. Des Sonntags besucht er mit seiner stattlichen Ehehälfte regelmäßig das Gotteshaus. Seine Lebensbedürfnisse sind, trotzdem es ihm seine Mittel erlauben, einen gewissen Aufwand zu treiben, höchst einfache geblieben. Von seinem elegant eingerichteten Wohnhause benutzt er meist nur ein Stübchen, und nur bei festlichen Gelegenheiten, wenn er seine Freunde und Verwandten bei sich sieht, werden auch die übrigen Räume geöffnet. Dann aber geht’s hoch her, dann wird nicht gespart, dann läßt er den reichen Mann sehen. Die alte deutsche Tugend der Gastfreundschaft wird überall und zu jeder Zeit gern geübt. Selbstredend hat mit dem zunehmenden Wohlstande auch die äußere Stellung unseres Freundes an Ansehen gewonnen. Er wird in die Gemeinde- und Kirchenvertretung gewählt, sein Rath wird von kleinen Leuten und Anfängern vielfach nachgesucht und materielle Unterstützung, wo es noth thut, von seiner Seite bereitwillig gewährt.

So steht er da, schlecht und recht in seinem Wesen, angesehen und geachtet bei seinen Mitbürgern, ein selbstgemachter Mann, eine Zierde jedes Gemeinwesens, der „Schiffer von altem Schrot und Korn“.




  1. Früher waren diejenigen Seeleute, welche vor dem 20. Lebensjahre 36 Monate zur See gefahren waren, vom aktiven Dienst in der Marine befreit und wurden sofort der Seewehr überwiesen. Heute müssen alle dienstfähigen Seeleute dienen, sie haben aber, sobald sie die Steuermannsprüfung bestanden haben, das Recht, als Einjährig-Freiwillige einzutreten.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 328. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_328.jpg&oldid=- (Version vom 19.5.2023)