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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Man überlegte, was zu thun war, wie diese Entlobung zu insceniren sei. Und man kam überein, daß ein Luftwechsel für Lo jetzt am leichtesten über die erste Verlegenheit hinüberhelfe. Eff bot ein mehrwöchiges Asyl bei seiner guten Mama an. Er wollte die Schwägerin selbst bis nach Erfurt geleiten, so dringend auch sein Dienst ihn an Berlin fesselte. Mühüller solle inzwischen der Familie als Beistand bleiben.

Zuvor hielt er jedoch eine Andeutung dessen, was kommen könnte, für geboten.

„Ich hoffe,“ sagte er, ein wenig kleinlaut, mit erkünstelt ruhigem Ton, als gälte es nur eine eigene schwarzseherische Vermuthung zu beschwichtigen, „ich hoffe, wir werden keine Ueberraschungen zu erwarten haben. Aber man muß auf das Schlimmste gefaßt sein.“

„Wieso?“ fuhr Frau Belzig aus ihrem Pelz empor. „Was soll denn noch …? Was könnte nun noch geschehen?“

Sie zuckte mit einer entrüsteten Geste die massiven Schultern. War denn das nicht schon des Welterschütternden genug?

„Nach einer Andeutung, die – er fallen gelassen haben soll, ist ihm Alles gleichgültig – auch das Leben – gerade das! Und ich fürchte, ich fürchte – wir könnten jeden Augenblick durch etwas sehr Unangenehmes überrascht werden …“

„Nun – nun! Was denn?!“ brauste Herr Belzig auf. „Es geht ihm ja doch ungeheuer gut. Man hat ihm seine Schulden bezahlt (er lächelte bittersüß, mit einem raschen Seitenblick auf seine Gattin). Er steht ja groß da! Ich dächte, er hätte keine Veranlassung, sich gerade jetzt todtzuschießen – das meinen Sie doch?“

„Todtzuschießen – was? Hahaha!“ rief Frau Belzig ganz empört, daß Jemand ihm den Muth zu solchem Entschluß zutrauen könnte. „Er hat nicht die Kourage! Der!“

Der ganze Haß platzte mit der Silbe heraus. „Er hat einfach nicht die Kourage – hahaha!“

Es war wieder der frühere sonore, rostfreie Alt. Und Eff zog es vor, einstweilen die Gründe zu verschweigen, die einen Kavalier, oder Jemanden, der es gewesen, veranlassen könnten, sich todtzuschießen.

Am Abend, als der Hauptmann mit Lo schon nach Erfurt abgefahren war, trat Frau Belzig, von einer Ausfahrt kommend, in Belzig’s Allerheiligstes. Sie fand den Unzerreißbaren auf dem hohen Drehschemel sitzend und die Beine mit einer Künstlichkeit, die einem Gummimenschen in den Reichshallen Ehre gemacht hätte, um das Bein des Schemels verschlungen. Er hatte beide Ellenbogen aufgestützt auf ein Kontobuch und nur das Gesicht hob sich bei ihrem Eintritt empor, während die Ellenbogen in ihrer Stellung verharrten. Ein so eigenthümliches Grinsen belebte die zahlreichen elastischen Falten seiner Züge.

„Nun, Belzig?“

Er nickte ihr zu, sie möchte einmal näher treten. Zögernd folgte sie. Er klopfte mit den Knöcheln der geschlossenen Faust auf die Seite des Kontobuches.

„Hier!“

„Was denn?“

„Ich habe nur einmal einen kleinen Ueberschlag gemacht – was uns denn eigentlich Dein Graf gekostet. Hier –“

Er griff eine der Probefiguren eines neuen Puppenspiels, die stets auf seinem Pulte Parade standen, und strich mit dem Ding die Zeilen entlang – „hier die Schulden, Perkisch und Alles.“

Dann die Ziffernreihen mit der Figur herabklopfend, als wären es die Stufen einer Treppe, blieb er auf der Endsumme halten. Diese war besonders kräftig geschrieben: man sah den Federzügen die Wuth an, mit der sie hingemalt worden waren.

„Summa Summarum acht – und – fünfzig – tausend hat uns der Scherz mit dieser Grafenkrone gekostet!“

Mit dem grimmigsten Lächeln, mit einem ganz widersinnigen Ausdruck schadenfrohen Triumphes buchstabirte er ihr die Summe, die sie für den Namensgötzen bereits als Opfer gebracht, ins Antlitz.

(Fortsetzung folgt.)




Der Schiffer von altem Schrot und Korn.

Ein Lebensbild von Eduard Mehl.

Zu denjenigen Menschentypen, welche durch die fortschreitende Kultur und besonders durch den Nerv des Jahrhunderts, durch „Meister Dampf“, verdrängt werden, gehört auch der „alte Schiffskapitän“. Nicht als ob es künftig keine Schiffskapitäne und zwar tüchtige Schiffskapitäne geben werde! Aber der moderne Dampfschiffskapitän ist doch zu sehr das Kind der Alles nivellirenden Gegenwart, als daß er sich durch auffällige charakteristische Züge von andern Menschenkindern unterscheiden sollte. Anders der alte Segelschiffskapitän. Wer in unseren großen Hafenplätzen ist ihnen nicht begegnet, den wettergebräunten, breitschulterigen Gestalten mit dem selbstbewußten, derben, etwas schroffen Auftreten! Meist aus den einfachsten Verhältnissen hervorgegangen, ohne eine nennenswerthe Schulbildung aufgewachsen, ist der alte Schiffskapitän der richtige selbstgemachte Mann, der Alles, was er ist und besitzt, sich selber zu danken hat: eine Figur von so markirtem Gepräge, daß es sich wohl der Mühe verlohnt, dieselbe zu zeichnen und festzuhalten, bevor sie von der Bildfläche ganz verschwindet. Der geneigte Leser mag bei dieser Gelegenheit zugleich einen Blick thun in das eigenartige Leben und Treiben der Bewohner jener weltabgeschiedenen Küstenstriche, wohin sich bis noch vor einem Jahrzehnt nur höchst selten der Fuß eines Touristen verirrte. In jenen äußersten Vorlagerungen der Ostsee, auf der Insel Zingst, der Halbinsel Dars, dem mecklenburgischen Fischlande, ist der Schiffer von altem Schrot und Korn zu Hause. Dort findet ihn noch heute der jene Gegenden aufsuchende Badegast, meist freilich als einen Mann, der des Lebens Kämpfe bereits hinter sich hat und von seinen Renten lebt.

Schon bei der Geburt unterscheidet sich der künftige Weltumsegler von den meisten übrigen Sterblichen insofern, als bei derselben in der Regel nur die eine elterliche Hälfte, die Mutter, zugegen ist, während der Vater fern der Heimath seinem Berufe nachgeht. Erst nach Wochen, vielleicht erst nach Monden, findet derselbe bei seiner Ankunft im Bestimmungshafen die briefliche Nachricht von dem erfreulichen Familienereigniß vor. Der junge Weltbürger zu Hause muß sich ohne väterliche Pflege behelfen, gedeiht aber trotzdem in der Regel vortrefflich. Er durchschreitet alle Stadien der kindlichen Entwicklung unbeirrt, allein von mütterlicher Hand geleitet, und wenn der Vater, oft erst nach jahrelanger Abwesenheit, die Heimath und die Seinen wieder aufsucht, so findet er einen ganzen fertigen Burschen vor, dessen nähere Bekanntschaft er freilich erst zu machen hat. Auf ein Eingreifen in die Erziehung verzichtet der Vater, der vielleicht nach wenig Wochen die Seinigen wieder verläßt, grundsätzlich, da ihm das Nutz- und Erfolglose einer solchen Maßregel einleuchtet. Aber auch die Mutter beeilt sich durchaus nicht, die Natur zu verbessern; ihre Erziehungsprincipien sind die denkbar liberalsten. So wächst der Junge in einer Ungebundenheit und Naturwüchsigkeit heran, wie es anderswo bei den heutigen Kulturvölkern kaum noch vorkommen dürfte. Auch bei der körperlichen Pflege wird jeder Luxus vermieden. Hemd, Hose und Jacke sind diejenigen Bekleidungsstücke, welche trotz des rauhen Seeklimas für den größten Theil des Jahres ausreichen. Erst wenn der erste Schnee fällt, findet eine Bekleidung der Füße mit Strümpfen und Holzpantoffeln statt.

Der Spielplatz der heranwachsenden Jugend sind die großen freien Dorfplätze mit ihren Wassertümpeln, auf denen der Knabe seine selbstgebauten Schiffchen segeln läßt, und der Meeresstrand, wo er Muscheln und Bernstein sucht. So wird der Junge sechs, sieben Jahre alt, und es kommt für ihn die Zeit, wo mit dem Eintritt in die Schule die Lebensplage ihren Anfang nimmt. Die Mutter überweist ihn – einer alten Frau, die sich mit „Schulhalten“ abgiebt und an welche, was Kenntnisse und pädagagische Einsicht betrifft, keine besonderen Ansprüche gemacht werden. Mit neun Jahren hat der Schüler es bis zu einiger Uebung im Buchstabiren und Zusammenzählen gebracht; die Lesefertigkeit und die Kenntniß des Einmaleins sollen in der eigentlichen Dorfschule, der er nun überwiesen wird, erworben werden. – Diese Klasse wird von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_326.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)