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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

es nicht? All’ sein Denken fühlte er wie mit zähen Spinnweben umsponnen.

Der Hauptmann hatte ihn anfangs nicht aus seiner Obhut gelassen. Mit der Aufbietung alles Humors, dessen er fähig war, suchte er zu vertuschen und einzulenken und der Sache ihren harmlosen Charakter zu wahren. Er rettete ihn vor den Officieren die ihn mit verbrecherischem Uebermuth von Neuem zum Trinken zwingen wollten. Er erinnerte ihn alle Augenblicke an seinen verstauchten Fuß, damit diese Heuchelei wenigstens aufrecht erhalten bliebe, und nöthigte ihn zum Sitzen. Aber Nachewski entschlüpfte ihm immer wieder, als fühlte er dessen sorgende Nähe wie eine Qual. Einmal hatte er Eff’s Hand ergriffen und stotterte etwas wie: „Wollen Sie mir verzeihen, Schwager?“

„Aber was denn? Aber ich bitte Sie! Ich weiß wirklich nicht!“ lachte der liebenswürdige Eff, den Verbrecher um fassend und ihn in einen Winkel des Tanzsalons geleitend.

Von all’ den Augen, die er auf sich gerichtet fühlte, die ihn verfolgten und immer wieder aufstöberten, die ihn aus den Nischen und Winkeln, in die er sich verkroch, immer wieder heraus holten – fragende, verwunderte, neugierige Augen, einige mitleidig, andere, die ihn verhöhnten, und solche, die ihn erbarmunglos an die Wand drückten: von all’ diesen Augen waren ihm keine quälender, als die Perkisch’, das sonst so ausdruckslose Etwas von Perkisch’ zwinkernden blassen Augen.

Dieser hatte es bis jetzt vermieden, mit ihm zu sprechen – aber der Graf wußte, er würde sich einstellen – seine Blicke waren schon Pein genug! Sie hefteten sich an ihn und schrieen ihm wüthend zu: „Wo sind meine Siebentausend?“ Sie begehrten Rechenschaft über das – gebrochene Wort. Perkisch hatte ihm vor wenigen Tagen noch das feierliche Versprechen abgenommen, daß er nicht mehr spielen wollte – binnen jetzt und sechs Monaten. Es mochte auf Seiten Perkisch’ durchaus kein edles, menschenfreundliches Motiv gewesen sein, was ihn dazu veranlaßte, solches Versprechen abzunehmen, sondern nur die erbärmliche Angst um die Siebentausend, aber er, der Graf hatte es nun einmal gegeben. Nun war er eine Erklärung darüber schuldig, welche unerhörte Gewaltsamkeit einen Kavalier verleiten konnte, sein Wort zu brechen …

Anfangs war er, leicht hinkend, als Simulant umhergeschlichen. Nun vergaß er auch das. Es war die Wirkung des Champagners, die verbrecherischen Lieutenants hatten ihm so massenhaft zugetrunken. Es war auch nun Alles gleichgültig! Nebenan im Tanzsaal würde er auch wohl nicht vermißt werden – ein Glück, daß die Verstauchung ihn vom Tanzen dispensirte – seine Braut tanzte mit einer staunenswerthen Emsigkeit alle Tänze durch.

Nun hatte er sich vor der spürenden Schwatzhaftigkeit einiger alten Damen, die ihn fast eine halbe Stunde lang umlagert, in die Ecke eines kleinen Boudoirs geflüchtet, das mit feuchtduftenden Treibhauspflanzen ausgeschmückt war. Auch verbreitete die rosa Ampel nicht so viel Licht, wie die brutale Helle der Gaskronen in den übrigen Räumen. Er saß halb versteckt unter dem graciös geschwungenen Blatt einer Fächerpalme; der ausgezackte Schatten des Blattes fiel über seinen flaumbedeckten Schädel und es sah aus, als hielten diesen Schädel die langen dunklen Finger einer Gespensterhand umkrallt. Von nebenan kam das vieltönige Geräusch des Ballsaales, das eigensinnige Pochen des Klaviers und die schrillen, taktscharfen Töne der Geige, das Schleifen und Schwingen der tanzenden Füße, einzelne lauter aus dem allgemeinen Summen aufhüpfende Gesprächsstücke, hier und da ein feines Auflachen. Er sah durch die Spinnweben seiner Gedanken die flimmernden Gestalten im magischen gelben Lichte schweben und im Kreise dahinwirbeln. Wie ein phantastisches Puppenspiel kam ihm das Alles vor.

Plötzlich tauchte Mühüller’s heller Blondkopf neben ihm auf, frisch, glänzend, voll strotzenden Lebens. Er hatte immer eine geheime Scheu vor des Lieutenants Spürsinn und seiner unverhüllten Redeweise, die stets auf ihr Ziel losging, empfunden. Aber dessen Augen, trotz ihrer winzigen stechenden Pupillen, waren nicht, gleich den andern, da, um ihn zu quälen. Seltsam, er fuhlte etwas wie die vertrauenerweckende Nähe eines Arztes, und er brachte es sogar zum Schimmer eines wehmüthigen Lächelns, mit dem er das vertrauliche Nicken Mühüller’s beantwortete.

Mühüller hatte die stumme, höfliche Aechtung, mit der die Gesellschaft diesen Verbrecher behaftete, geärgert. Welche Entsetzlichkeit hat er denn begangen? Er hat sich berauscht, das geschieht auch dem wackersten Biedermann – freilich war es wohl nicht der passende Tag für diesen Rausch. In dem Rausch hat er die Zeit verschlafen – warum haben die Uhren auch solch’ rasende Eile? Er hätte seine Meldung aufrecht erhalten sollen – nichts Bequemeres als dies Glatteis! Nun, er ist doch wohl noch werth, daß man ihm einmal den Puls fühlt und sich nach seinem Befinden erkundigt!

(Fortsetzung folgt.)




Ueber chronische Katarrhe der Athmungswege.

Von Dr. M. A. Fritsche, Specialarzt in Berlin.
I.0 Der chronische Schnupfen und seine Folgezustände.

„Aber das ist ja nichts, das ist so nur ein Bischen veralteter Schnupfen, der geht im Frühjahr von selber weg,“ lautet die Antwort mancher Leute, wenn man ihnen im Winter mit ganz geschwollener, rother Nase und offenem Munde, nach Athem ringend, begegnet und sich über ihr Aussehen wundert. Und das Frühjahr kommt und geht wieder, mit ihm aber nicht, wie gehofft, der Schnupfen, denn der ist chronisch geworden und hat viel zu viel Anhänglichkeit an seinen Herrn und Besitzer, um ihn so mir nichts, dir nichts zu verlassen, wenn man ihm nicht gründlich die Wege weist. Das ist aber meist keine so ganz leichte Sache, denn der chronische Schnupfen, der im Wesentlichen auf einer bedeutenden Verdickung der Schleimhäute der Nase beruht, gehört auch zur Klasse der Dickhäuter, denen man energisch zu Leibe gehen muß. Um aber zu verstehen, in welcher Weise dies am besten zu geschehen hat, wollen wir uns doch einmal die Nase und ihren Bau etwas näher ansehen.

Die Nase ist nämlich nicht nur ein die Symmetrie beider Gesichtshälften mehr oder minder angenehm unterbrechender Gesichtsvorsprung, sondern sie hat auch, und wir müssen dies unter Hinweis auf die Mundathmung besonders betonen, den physiologischen Zweck, daß durch sie geathmet wird, und sie kann diesen Zweck nicht erfüllen, so lange ihre Kanäle auf irgend eine Weise verstopft sind. Die eingeathmete Luft soll eben, indem sie über die Schleimhaut dieser Kanäle streicht, von ihren schädlichen Beimischungen, als Staub, Rauch, Ruß gereinigt und gleichzeitig genügend erwärmt werden, bevor sie in den Kehlkopf und die tieferen Athemwege gelangt. Die Nase hat also gewissermaßen eine Art Gesundheitsamt auf dem Gebiet des Respirationswesens, und man kann dem Warnungsworte der Engländer. „Shut your mouth and save your life“ (Schließe deinen Mund und du wirst gesund bleiben!) nur beipflichten. Nur bei vollkommen frei durchgängiger Nasenpassage bleiben die entfernter gelegenen Schleimhäute der Athmungsorgane, wie die des Kehlkopfs, der Luftröhre und der Bronchien mit ihren zahlreichen feinen Verzweigungen in der Lunge selbst, vor Reizungszuständen durch die in großer Menge durch die Mundöffnung eindringende, nicht filtrirte kalte Luft bewahrt.

Wie nun immer ihre Form auch sein mag, ob krumm, ob gerade, Stumpfnäschen oder Habichtsnase: sie erscheint stets auf den nämlichen knorpligen und knöchernen Grundlagen aufgebaut, die von außen mit Haut, von innen mit Schleimhaut überzogen sind. Eine in der Mitte senkrecht sich erhebende Scheidewand (e, Fig. 1 und 2), im vorderen Theil knorplig, nach hinten knöchern, theilt sie in zwei, meist vollkommen symmetrische Hälften, deren jede drei sich von oben nach unten verbreiternde, nach ihrer Form „Muscheln“ zubenannte Knochenvorsprünge, die obere (aa), mittlere (bb) und untere (cc) Muschel, enthält. Während die hier nicht in Frage kommende obere Muschel sehr versteckt liegt, ragen die mittlere und untere Muschel, oben und seitlich angeheftet, frei in den Hohlraum jeder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_310.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)