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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Pech“ – das unfashionable Wort stand dort, in der Hast entschlüpft. Man möchte sich seine, des Grafen, „fabelhafte Verlegenheit“ vorstellen u. s. w.

Es ist nicht wahr! Das Schreiben ist eine Lüge! Und Perkisch’ brennende Augen forschten in dem Gekritzel der Zeilen, als müßten sie den wahren Grund des Fortbleibens herausstöbern. Irgend etwas Anderes, jedenfalls nichts Gutes! Irgend eine Dummheit, die ungeheure Blamage einer moralischen Verstauchung! O seine wundervolle Provision! Aber er würde sich künftig auf eine schlauere Weise sicher stellen! Fast mit einer Gebärde der Drohung zerknitterte er den Brief.

„Herr Perkisch …“ Es war die dicke Frau Voltz, die hinter ihm stand und mit einem scherzhaften Kinderknix in die steife Seide ihrer Robe hineinraschelte. „Ich habe die Ehre, von Ihnen zu Tisch geführt zu werden, Herr Perkisch.“

„Ah, Pardon, gnädige Frau!“

Der Saal war schon leer; hinten am Ende der Zimmerflucht sah man die Rücken der letzten Paare, die im Speisesaal verschwanden. Eilig bugsirte Perkisch die starke Dame durch die Portièren.

Aber man kam noch früh genug. Das Ausbleiben des Grafen hatte eine kleine Umänderung in der Sitzordnung der Gäste nöthig gemacht. Man wollte den Platz des Bräutigams doch nicht wie den für einen etwa zu erwartenden Geist leer lassen. Auf einen rathlosen Wink des Herrn Belzig griff Mühüller zu und löste die entstandene Verwirrung, indem er mit der findigen Schnelligkeit, mit der er wohl eine Truppe zum Dienst abtheilte, die Gäste auf ihre Plätze mehr kommandirte als hinwies. In der Eile gab es verschiedene kleine Mißgriffe – aber was that es? Man saß doch endlich. So war der berühmte Dichter Kunde zwischen die taube Tante Mala und einen von Gesundheit strotzenden Boxer gerathen, der ausschließlich von Jagd und Jägerei zu sprechen pflegte und jedem, der es hören wollte, am liebsten solchen Milchsuppengesichtern gegenüber, sich gern brüstete, daß er seit der Kriegsschule kein Buch mehr angerührt. Es bedurfte der fortwährenden beschwichtigenden Blicke von Seiten seines Engels von Gemahlin, um den empörten Dichter zu beruhigen.

Bald erhob sich der Herr General und hielt mit steifer Würde den ersten Toast; das Herkömmliche, aber mit schneidiger Befehlsstimme vorgebracht. Und das Klingen und Schallen der Gläser schien endlich den Schatten verscheuchen zu wollen. Man wollte lustig sein! Man wollte sich amüsiren! So wurde an dem Filialtisch der jungen Herrschaften dekretirt. Mühüller und Olga, die hier das Präsidium der Fröhlichkeit übernommen, gaben diese Losung aus. Beide fanden sich gern zusammen, seine drastische Komik und ihre aus dem Herzen sprudelnde Heiterkeit ergänzten sich. Ja, wäre Olga nicht die mittellose Tochter eines Pensionärs gewesen und hätte Mühüller nicht bei jeder Gelegenheit geschworen, sich lieber todtzuschießen als eine Kommißheirath zu machen, so hätte man bei ihm fast eine tiefere Neigung für das niedliche Freifräulein vermuthen können.

Man meinte, Hauptmann Eff, der zwischen den beiden Sternen saß, hätte an einer Braut genug und man müßte das „Strohbräutchen“ (es klingt zwar nicht gut, ist aber doch „echt“!) aus der officiellen Langeweile des Haupttisches absondern und hier an der lustigeren Unterhaltung theilnehmen lassen. Nach dem dritten Toast zwang man Lolo, den Platz zu wechseln. Das arme Kind! Es that wohl, sie nun an dem anderen Tische mit den jungen Leuten lachen zu hören und die Wolke, die sie vergeblich von ihrer Stirn zu scheuchen versuchte, im Sonnenschein der Fröhlichkeit verschwinden zu sehen.

Die Toaste folgten sich nun in kürzeren Pausen. „Natürlich wird doch der berühmte – Kunde auch seine Rede vom Stapel lassen,“ meinte einer der Lieutenants. „Wozu ist er Dichter?“

„Er redet nie – schweigt aber sehr wirkungsvoll,“ erwiederte Mühüller und meinte, er hätte die Wendung selbst erdacht.

Die ästhetische Generalstochter warf ihm aus ihren wassergrauen Augen einen spitzen Blick zu.

„Na, wenn Sie das Schweigen nennen –“ Und der halbe Tisch horchte hinüber. Wolfgang Kunde schimpfte in Tante Mala’s Guttapertscha-Apparat hinein mit lauter, fast drohender Stimme über Hülsen und die empörend miserablen deutschen Theaterzustände. Es sah aus, als bliese er mit wüthender Anstrengung irgend ein schwieriges Instrument. Tante Mala war ganz verblüfft vor Staunen. Vergebens flehten die Blicke von Frau Kunde, daß er sich mäßigen möchte.

Perkisch’s knochige Finger spielten mit Brotkügelchen und mit grinsendem Lächeln horchte er auf Frau Voltz’ unaufhörlich tröpfelnde Unterhaltung. Er machte gar keine Anstalten zum Reden und schien die Blicke von Frau Belzig, die ihn gleichsam in allen Tonarten und mit steigendem Unwillen aufmunterten, nicht zu beachten. Sein Effekt war dahin. Er hatte den schwungvollsten und herrlichsten Toast gedichtet, der je über eines Mannes Lippen geflossen. Nun machte ihm dieser – einen so schändlichen Strich durch die Rechnung! Er gedachte ein Meisterstück der Toastkunst aufzustellen, und er wollte sich selbst übertreffen. Nun paßte nichts mehr, und er mußte einen ganz elenden Lückenbüßer einschieben. Ein wahrer Hohn, von Glück und Seligkeit zu sprechen, während seine Siebentausend Provision jeden Augenblick auf dem Glatteis ausrutschen können!

Aber sein Ruf als Tischredner stand auf dem Spiel. Er würde sich doch nicht verblüffen lassen! Er hatte schon Schwierigeres improvisirt. Ein wilder Humor befiel ihn plötzlich, hastig stürzte er den Inhalt eines Römers hinab: meinetwegen – wenn sie denn ihren Toast haben müssen, so will er sie mit Glück und Seligkeit und rosigem Himmelssegen überschütten, so viel sie dessen begehren; bis an den Hals will er sie damit vollstopfen, diese Idealitätsnarren!

Er tippte ans Glas, als erstes Signal, das Gespräch ringsum versickerte, aber der General überhörte das Signal und fuhr fort, sich über den Tisch hinüber in ausgesuchtester Galanterie mit der berauschend schönen Sängerin zu unterhalten. Ein zweites stärkeres Tippen – aber Adolf Eff’s Stimme hob sich erst recht deutlich aus dem allgemeinen Schweigen; der Erfinder war gerade dabei, die kalte Luft seines Aspirators durch ein verwickeltes System von Röhren und Ventilen, das er mit Zickzacklinien in den leeren Raum konstruirte, hindurchströmen zu lassen. Endlich brach auch er ab. Perkisch erhob sich, stand dort mit emporgezogenen eckigen Schultern, die Augen halb geschlossen wie ein affektirter Prediger, die Hände mit den leicht gespreizten Fingern lose wie zum Klavierspiel auf die Tischplatte gesetzt.

Er holte weit aus vom Frühling, von den zärtlich erweckenden Sonnenküssen und der Sehnsucht aufknospender Blüthen. Dann setzte er mit einem kühnen Sprung mitten in die Liebe hinein. Sein Kopf hob sich aus den Schultern, seine Augenschlitze öffneten sich und über das ungewisse, wie in einer bestimmten Charakteristik ausgeprägte Gesicht huschte ein Glanz wie von wirklicher Begeisterung. Es war ein feuriger Dithyrambus der wahren, der echten, der uneigennützigen Liebe. Er ließ einen Perlenregen zuckersüßer Gefühle herniederträufeln, er badete in Himmelsharfenklängen und beleuchtete die Seligkeit der Liebe mit den herrlichsten bengalischen Flammen.

„Das ist ja, um schwindlig zu werden,“ flüsterte einer der Herren am Filialtisch.

„Passen Sie nur auf, es kommt noch besser,“ schien Mühüller’s Wink zu antworten.

Die Damen saßen mit verzücktem Lächeln da; in den effektvollen Pausen, die der Redner sich für die Wirkung seiner Worte gönnte, hörte man fast den Schaum des Champagners prickeln, der von den behutsam umherschleichenden Dienern eingeschenkt wurde.

Und es kam noch besser, packender, ergreifender – Thränen wollte Perkisch sehen, Thränen sollten fließen! Er war so voll Zorn und Aerger über die Siebentausend, die ihm sicher davon rutschen würden, daß er sich Luft machen mußte, ja daß er sich selbst betäuben wollte mit seinen schallenden Worten.

Da zog er das Register der Rührung auf. Wie sinnig, wie innig, wie hold und lieblich wußte er das kreuzweise Neigen und Sehnen der beiden Herzenspaare zu schildern – wie ließ er den Jubel der endlichen Erfüllung dahinbrausen!

„Der Gauner! Der Kuppler!“ entfuhr es Mühüller.

Und dann die Bilder der Zukunft, die er vor den Augen der Gäste in rosiger Theaterbeleuchtung auftauchen ließ! Die meisten der Damen vermochten sich der Rührung nicht zu erwehren; Frau Belzig kämpfte längst mit den Thränen. Auch Melitta’s Augen glänzten feucht, Walther hielt offen vor aller Welt ihre Hand auf dem Tisch umfangen.

Natürlich mußte auch des Unglücks gedacht werden, der Schlußeffekt sollte dann mit dem allgemeinen Toast in einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_306.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)