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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Geklapper eines Löffelchens fuhr er von Neuem mit seinen Theetassen los.

Glatteis – auch die Gruppen sprachen vom Glatteis, Alles sprach davon. Kaum, daß die Ankommenden die Rücksicht beobachteten und ihre Glückwünsche darbrachten. Es wurde Frau Belzig wirklich zu viel, dieses Glatteis. Jedem schwebte es beim Eintritt auf den Lippen, und die von der Anstrengung des „Hierherrutschens“ echauffirten Gesichter konnten ihre Freude nicht verbergen, nach so viel halsbrecherischen Fährlichkeiten endlich im Trocknen dieses Salons gelandet zu sein.

Auch Herr Belzig war wie besessen von dem Glatteis. Immer wieder eilte er hinaus, um den Hauseingang und die angrenzenden Trottoirs von neuem mit Sand bestreuen zu lassen. Eben kam er mit dem Ruf zurück. „Es wird noch Alles Hals und Beine brechen!“ Da brach sich die Ungeduld seiner Frau in gereiztem Tone Bahn. „Belzig, ich hätte an Deiner Stelle doch den ganzen Kreuzberg mitsammt dem Tempelhofer Felde ankaufen lassen, um Berlin mit Sand zu überstreuen. Meinetwegen mögen sie doch auf allen Vieren rutschen, wie Mühüller behauptete, daß er es gethan!“

Aber gleich zerschmolz dieser Unmuthsanfall unter der lächelnden Höflichkeit, mit der sie als Herrin des Hauses ihre Gäste zu empfangen gedachte. Ja, sie wollte auch nicht mit dem Zucken einer Miene einen Unterschied machen und die Schulze und Lehmann, die Namen und Namenlosen, Epauletten und Nichtepauletten: sie sollten Alle in die eine gleichmäßige Liebenswürdigkeit eingeschlossen werden.

Und einen vollen Sonnenschein ihres Lächelns, einen scharfen Sonnenschein, wie er an Sturmtagen aus den Wolken bricht, sandte sie nach dem anstoßenden Salon hinüber, wo die beiden Bräute die Glückwünsche entgegennahmen und mit zerstreut glücklichen Mienen über die prachtvollen, mit beiden Händen gehaltenen Riesensträuße hinweg die glänzenden Augen immer wieder nach der Flügelthür wandten, in deren Oeffnung jeden Augenblick ihre Verlobten erscheinen mußten.

„Sehr erfreut – sehr dankbar, daß Sie gekommen bei dem Glatteis!“

Frau Belzig wollte es versuchen, dies lächerliche Glatteis direkt zu bekämpfen, indem sie es den Ankommenden einfach aus dem Munde nahm.

Nun öffnete sich die Flügelthür vor der gewaltigen Breite einer sehr starken und rothen Dame. Ganz athemlos, in großer Erregung wackelte sie auf die Wirthin zu, die beiden Arme zum Gruß vorgestreckt, einen Umhang auf dem Boden nachschleppend. „Meine liebe – gute – Frau Belzig – das ist so entsetzlich! Ich bin halb todt – ich kann wirklich nicht mehr –“ jammerte athemlos die hohe Fistelstimme.

„Sie hat geweint wie ein Kind über das Glatteis, mitten auf der Straße,“ ergänzte nach dem ersten Gruß ihr Gatte, ein Kollege Belzig’s. Sein rothhaariges Gesicht grinste vor köstlicher Heiterkeit, und die beiden unbedeutenden Küchlein von Töchtern waren noch ganz begeistert von dem Abenteuer. Das Pferd der Droschke war also gestürzt, und sie waren genöthigt gewesen, den Weg bis zum Lützowufer per Eisbahn zurückzulegen. Die arme Mama hatte plötzlich erklärt, sie wolle nicht weiter, und sie blieb mitten auf der blendenden Fläche stehen, bebend und jammernd und zuletzt laut weinend. Nach langen Ueberredungen hatte sie endlich wieder Muth gefaßt und sich, unterstützt von Mann und Töchtern, zum Weitertappen entschlossen. Ihre vollen, bei jedem Schritte nach unten zitternden Wangen zeigten noch die Spuren der Thränen.

„Von der Genthinerstraße bis hierher haben wir genau anderthalb Stunden gebraucht,“ lachte Herr Voltz.

„O, bitte um Verzeihung, verehrteste Frau Kollegin (wie häßlich das klingt, meinte die Angeredete für sich), unsere herzlichste Gratulation! Welch’ glückliches Doppelereigniß!“

„Entsetzlich – meine liebe Frau Belzig,“ jammerte Frau Voltz, immer noch ganz von der Erinnerung an das Abenteuer befangen. Die Küchlein gaben ihren schönsten Pensionsknix zum Besten und trippelten nach den beiden Bräuten hin. Man hörte drüben das zwitschernde Geräusch von Küssen.

Frau Voltz faßte sich endlich und mit derselben Ueberschwänglichkeit, mit der sie sich über das Glatteis ausgelassen, begann sie nun, sich mit dem Taschentuch die Thränenspuren von den Backen zu tupfen und ihr Herz in Glückwunsch-Dithyramben auszuströmen.

Doch Frau Belzig horchte nach einer ganz anderen Musik. Vom Vorsaal her drang der laute Ton militärischer Stimmen, dazu das feine Geklingel von Sporen, das Klirren eines Säbels und jenes kurze Daherschleifen von Tritten, wie es eleganten Militärs eigen ist. Die Herren waren jedenfalls sehr animirt vom Glatteis. Sie mußten Baptist, der ein neues Theebrett hereingeschleppt brachte, abgefaßt haben, und eine der Stimmen unterhielt sich in halsbrecherischer Weise mit dem Franzosen. Die anderen lachten.

Und mit dieser Musik huschte die Erinnerung an das Paradies ihrer Mädchenjahre herbei, wo in den gastlichen Räumen ihres Elternhauses das ganze Husarenregiment mit dem Kommandeur an der Spitze verkehrte und wo sie ihre ersten Triumphe feierte.

Die Thür öffnete sich, und sechs Officiere, die sich jedenfalls in der Kneipe „aufgerollt“ hatten, traten ein.

„Meine gnädige Frau“ in allen Tönen und Verbeugungen, und das Scharren und Aneinanderklappen der Füße, und die hübschen, alten Redensarten des üblichen Jargons, die der Angeredeten heute noch so süß klangen wie vor fünfundzwanzig Jahren. Es waren Kameraden von Eff und Mühüller, die diese im Hause eingeführt, einige „Boxer“ von der Central-Turnanstalt und ein paar Kriegsakademiker. Natürlich stürzte man gleich nach der Gratulation auf das Glatteis. Diesmal lachte Frau Belzig von Herzen mit über die köstlichen Abenteuer, die zum Besten gegeben wurden.

Die Heiterkeit pflanzte sich sofort nach den anderen Räumen weiter, und drüben in dem Kreise junger Damen veranlaßte Mühüller eine förmliche Explosion. Frau Belzig fand für sich das Glatteis doch nicht übel – aber es mußten schon die Militärs kommen, um es zu insceniren; die vom Civil setzten sich einfach plump darauf!

Mitten in diese Heiterkeit platzte der berühmte Dichter Wolfgang Kunde herein, mit dem erhabensten Gesicht und der effektvollsten Mähne seines üppigen aschblonden Haares. Er lachte nie, und er schien diese Heiterkeit fast als eine persönliche Beleidigung aufzufassen. Welch ein verfehltes Entrée! Er hatte unterwegs seiner Frau immer schon vorgejammert, daß sie viel zu frühe kämen. Und diese entsetzlichen Officiere, die sich mit ihren Tingeltangelkünsten überall vordrängten! Er stutzte noch in der Thür, während seine Frau, eine feine Brünette in geschmackvoller Toilette, ihm ein gutes Wort zuflüsterte. Sie verehrte ihn abgöttisch und ertrug mit wahrhaft engelhafter Geduld seine berechtigten Dichterlaunen. O, sie würde schon dafür sorgen, daß er auch hier zu seinem Effekt käme!

Frau Belzig empfing den großen Mann mit äußerster Zuvorkommenheit. Sie liebte die Litteratur nicht, am wenigsten die persönliche mit ihrem Neid und ihren Honorargesprächen, aber sie wollte sich nicht außerhalb der Mode stellen und sich diese Berühmtheit für ihren Salon erhalten. Ihr Gatte stellte die Officiere vor. „Herr Kunde – Herr von So und So – Herr Kunde – Herr Lieutenant von X.“ – u. s. w. Höfliche Verbeugungen, weiter Nichts. Keiner der Officiere schien den berühmten Namen zu kennen – wie war das möglich? Wolfgang Kunde machte gar keinen Eindruck und war ganz empört.

„Kunde – Kunde wieso? Wer ist dieser – Kunde?“ fragte später einer. „Ein Dichter,“ hieß es ironisch, „jedenfalls ein gelungener Kunde!“

Herr Kunde war außerordentlich gereizt, und er zog sich an einen Thürpfosten zurück, wo er in erheuchelter Bescheidenheit, aber mit fanatischen Augen Pose stand. Seine Frau aber begann unter den Officieren zu werben und ihnen von der Berühmtheit und den Werken ihres Gemahls in ihrer unermüdlichen geschickten Weise vorzuplaudern. Sie ließ dabei alle Koketterien ihrer pikanten Persönlichkeit spielen. Die Officiere fanden sie reizend, viel zu schade für diesen – Kunden!

Endlich – endlich war Melitta’s Sehnen gestillt! Eff’s hohe Gestalt tauchte hinter einer Gruppe neuer Gäste auf, funkelnd in seiner neuen Uniform, strahlend vor Glück und Freude. Er hatte nichts von dem Kompromiß erfahren, dem er sein Glück zu verdanken hatte, und Frau Belzig wollte ihn auch nichts entgelten lassen. Was kann er dafür? Was kann der Aermste für seinen Namen? Wie liebenswürdig er war, mit welch’ herzlicher Grazie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_290.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)