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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Mann liebt. Es ist doch eine nette Sache, so eine Apotheke; mein Seliger behauptete immer, sie sei besser als ein Rittergut. Man muß darin den Kindern nachgeben; was sie sich einmal in den Kopf gesetzt haben, drücken sie durch. Mein Alfred ist doch auch schon seit längerer Zeit heimlich verlobt mit –“

Fräulein Selma sah mit offenem Munde die Redende an.

„Mit seiner alten Lucie. Ja, ja, mein Kind, Du hast davon nichts gemerkt. – Hätte ich übrigens den Kopf nicht so voll gehabt, so wäre ich doch am Ende dahinter gekommen, wie es zuging, daß Du den ganzen Tag Magenmorsellen geknabbert und Reglise gelutscht hast.“

„Mit Lucie Walter?“ stammelte das Mädchen. „Na, und siehst Du, Mähnerten, die Lucie hat auch nichts, gar nichts, aber Alfred liebt sie nun einmal, und schließlich haben doch die Beiden, die zusammen leben wollen, die Hauptstimme bei der Sache. – Nun sei verständig und red’ den jungen Leuten das Wort und laß uns wie früher Freundinnen bleiben und trinke Deinen Kaffee nach wie vor bei mir, wenn Du in die Stadt kommst. Denke einmal, was wir Beide Alles durchgemacht haben! Wie mein Mann starb, da hast Du neben mir auf dem Sofa gesessen und hast mit mir geweint, und als Dein Aeltester ertrank, da bin ich es gewesen, die den schweren Gang zu Dir that, um Dir die schreckliche Nachricht zu bringen. So etwas –“

Frau Mähnert weinte und gab der Steuerräthin die Hand. „Wie Gott will!“ sagte sie und ging aus der Thür, von Fräulein Selma gefolgt. Und die Frau Steuerräthin sah aus dem Fenster und rief den Einsteigenden zu: „Gut Glück! Und schickt bald eine fröhliche Nachricht!“

Dann stellte sie sich vor das Bildchen ihres Sohnes: „Gelogen habe ich niemals gern,“ sagte sie laut, „aber heute – der liebe Gott wird es mir doch nicht übel nehmen? – Eine Antwort will er haben, der Junge, gut! Aber erst muß ich schlafen.“

Als es zwölf Uhr Mittags schlug, that sich die Hausthür der Frau Steuerräthin auf, und sie ging im Pelz und Sonntagshut und in feierlich schwarzseidenem Kleide an der Mauer entlang und klingelte an der Meerfeldt’schen Pforte. Peter öffnete und führte sie hinein, Mademoiselle kam der alten Dame im Flur entgegen.

„Lucie ist oben, Madame; sie pflegt das Kind,“ sprach sie, „wollen Sie sich hinaufbemühen? Ihren Herrn Sohn werden Sie ebenfalls treffen.“

Sie stiegen mit einander die Treppe empor, Mademoiselle öffnete eine Thür und ließ Frau Steuerräthin eintreten. Dettchens Stimme scholl ihr entgegen:

„Ich versichere Euch, Kinder, ich thue es herzlich gern; ich bin glücklich, wenn ich aushelfen kann.“

„Du Seele von einer Tante!“ sagte der Doktor.

Frau Steuerräthin räusperte sich vernehmlich ein paarmal; da wandte sich der blonde Kopf, der an des Sohnes Schulter lag, und große erstaunte Augen schauten sie an.

„Die Mutter!“

Lucie war hinüber geeilt, blaß vor Ueberraschung, und still lächelnd folgte der Bräutigam.

„Du – hier?“ sagte das Mädchen noch einmal, „und wir wollten eben zu Dir gehen; ich mußte nur warten, bis Tante Dettchen mich ablöste bei der Kleinen.“

Sie beugte sich über die Hand der ernsthaften Frau, die steif wie ein Götzenbild stand und sich selbst zu wundern schien über ihr Hiersein.

„Sei mir wieder gut,“ bat Lucie. „Ach, wenn Du wüßtest, wie ich mich gegrämt habe um ihn –“

Frau Steuerräthin sah das schmale Gesicht an und die bleichen Wangen; sie bestätigten ihr vollauf die Wahrheit. Sie war so bewegt und ergriffen, daß sie sich kaum zu fassen wußte – aber zeigen durfte man das nicht. Tapfer schluckte sie die Rührung hinunter und küßte die Schwiegertochter auf die Stirn.

„Wir wollen das Alles vergessen,“ sagte sie und gab auch ihrem Sohne die Hand; „es ist gut, wenn man seinen Irrthum einsieht, so lange es noch Zeit ist zur Umkehr. Was fehlt denn der Kleinen da?“

„Sie hat sich ein wenig erkältet und muß noch im Bette bleiben.“

„Und ihr Vater ist auch hier? Welche Unvernunft, mit solchem Wurm in dieser Jahreszeit zu reisen! Wo ist er denn? Der Mann hat wohl gar keine Ahnung, wie Kinder behandelt werden müssen?“

„Mein Schwager sitzt beim Herrn Baron und erzählt von den letzten Jagden,“ berichtete Lucie, die des Bräutigams Hand nicht losließ. „Er reist Nachmittag wieder ab, und wenn die Kleine gesund ist, so wird Tante Dettchen sie zurückbringen.“

„Und vorläufig bei ihm bleiben,“ ergänzte der Doktor.

„Will er das? Wie kommt er darauf?“

„Ich habe ihm den Vorschlag gemacht,“ erklärte der Sohn.

„So, und Du?“

Der Doktor zog die Braut näher an sich.

„Für mich ist gesorgt“ sagte er glücklich. „Das Jahr soll nicht zu Ende gehen, bevor in mein Haus die Frau einzieht.“

Als die Frau Steuerräthin ging, bat Lucie sie, einen Brief mit auf die Post zu nehmen. „Frau Hortense Weber“ war die Aufschrift. Die alte Dame schob ihn in den Kasten, und als sie die Frau Postmeisterin am Fenster gewahrte, klopfte sie mit dem Regenschirm an die Scheiben.

„Sagten Sie nicht gestern, Sie hätten einen Preiskourant fertiger Herrenwäsche aus Berlin? Borgen Sie ihn mir doch einmal, Liebste, Alfred heirathet gleich nach Weihnacht und die Zeit ist so kurz.“

Die runde kleine Frau am Fenster schlug die Hände zusammen. „Mein Himmel! Also wirklich? Wohl gestern Abend? Wen denn – Sel–?“

„Lucie Walter – wen denn sonst? Das ist ja nie ganz aus gewesen; sie haben nur ein wenig – na, wie das so manchmal ist. Ihr Kleiner kann wohl den Katalog herumbringen? Guten Morgen, Liebste!“

„So!“ sagte sie im Weiterschreiten vor sich hin. „Verlobungskarten konnten sie doch nicht gut noch einmal schicken – dies thut’s auch.“




Es war am Sylvesterabend. Bei völliger Windstille schneite es, und der lockere weiße Schnee legte sich auf die Rasenplätze im Garten des Herrn Doktor Adler, auf jedes Zweiglein der hohen Bäume, auf die Spitzen und Verzierungen des Thores und breitete sich wie eine köstliche leuchtende Decke über das Dach des kleinen Hauses aus. Darunter lugten helle Fenster gar traulich hervor, und an einem derselben zeichnete sich ein Schatten ab auf den weißen Vorhängen, der behende hin- und herglitt. Das war im Eßzimmer; Frau Lucie deckte dort den Tisch. Sie erwartete offenbar Besuch; es lagen vier Kouverts auf, und inmitten der Tafel unter der Hängelampe stand eine einfache Glasschale auf hohem Fuß, in der anmuthig Tannenzweige und Christrosen geordnet waren. Tafeltuch und Servietten zeigten ein altes Damastmuster; die stammten noch aus dem Brautschatz ihrer verstorbenen Mutter und waren so fein, so seidenglänzend – ach, heut zu Tage giebt es so etwas gar nicht mehr! Mit schmeichelnder Hand strich die junge Frau über das schimmernde Linnen.

Auch die Weingläser, die Teller und Schüsseln sprachen von vergangener Zeit; wenn auch hier und da eine Stelle an den vergoldeten Rändern etwas abgenutzt war, was that es? Davon hatten in Zufriedenheit und Freude ehrenwerthe prächtige Menschen gegessen, und mit den alten Römern war schon auf Luciens Taufe angestoßen.

Die junge liebliche Frau betrachtete endlich mit verklärtem Lächeln ihr Werk, sie meinte, noch nie etwas Trauteres, Behaglicheres gesehen zu haben, als diesen einfachen runden Tisch in der mäßig großen, niedrigen Stube, und sie faltete die Hände, wie in inniger Dankbarkeit.

Da klopfte es mit leisem Finger an die Thür, und in dem Rahmen derselben stand gleich darauf Hortense, in Pelzmantel und Mützchen, auf dem noch leuchtende Schneesternchen lagen.

„Guten Abend, Luz! Ich komme etwas früher als Waldemar, er sitzt noch bei Großpapa am Bette; mich aber,“ sie küßte die Wange der kleinen Frau Doktor, „mich trieb es zu Dir, ich wollte Dich auch einmal allein haben. Dein Mann ist noch aus?“

„Zu Schlitten nach Bützow,“ erwiederte Lucie, „vor acht Uhr wird er nicht zurück sein,“ und sie nahm geschäftig den Mantel von Hortense’s Schultern.

„Ich sehe ja nur vier Kouverts?“ rief diese nicht unzufrieden, „sind wir allein?“

„Meine Schwiegermutter feiert heute bei Mähnert’s Verlobung mit, da durfte sie ja doch nicht fehlen! Und Mademoiselle gab mir einen Korb.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_286.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)