Seite:Die Gartenlaube (1887) 279.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

ist neben der sanften Stimmenführung der andern Uhland’schen Balladen eine markige Kraft und ein dramatisches Leben bei hinreißendem Wohllaut der Sprache und der Verse: dieses Juwel ist das glänzendste in Uhland’s Dichterkrone. Daneben aber funkeln andere Balladen als kleinere Edelsteine, zum Theil leuchtend im Wiederschein mittelalterlicher Minnepoesie; ihre Helden sind in weichen Umrissen gehalten, eine sanfte träumerische Beleuchtung umschwebt diese Ritter und Sänger, Heldenkönige und Jungfräulein; sie ziehen uns an mit geheimem Zauber und ihr Bild fesselt die Empfindung und die Phantasie. Einige dieser Balladen, wie „Der weiße Hirsch“ und „Graf Eberstein“ haben neckisch schalkhafte Pointen; in „Graf Eberhard der Rauschebart“ ist ein vollerer Ton angeschlagen und aus der breiter einherwogenden Nibelungenstrophe heben sich die Gestalten markiger und plastischer hervor.

Mit allen diesen Liedern und Balladen ist schon unsere Jugend vertraut; wir wollen sie hier weder zergliedern noch beurtheilen; wir wollen sie nur wie Blumen am Festtage zu einem schönen Kranze flechten für das Haupt des gefeierten Dichters. Weniger bekannt sind seine dramatischen Dichtungen „Ernst von Schwaben“ und „Ludwig der Baier“; selten nur sind sie auf deutschen Bühnen gegeben worden, herausgeboren aus warmem Vaterlandsgefühl athmen sie den Schiller’schen Geist und schlagen im sprachlichen Ausdruck einen verwandten Ton an.

Gehört der Dichter auch dem ganzen deutschen Volke an, so wurzelt er doch im Boden seiner engeren Heimath. Justinus Kerner nennt die Natur die Meisterin der schwäbischen Dichterschule, nachdem er die Schönheiten Schwabens, die lichten Wolken, das dunkle Waldrevier, die Berge voll Reben, den blauen Neckar und die epheuumrankten Burgen seines Vaterlandes mit Begeisterung gepriesen. Das innige Naturgefühl Uhland’s fand hier ernste und dauernde Anregung. Und diese Natur, sonnig durchlichtet und durchleuchtet, spiegelt sich in seinen Gesängen wieder. Auch die Gestalten der Geschichte und Sage, welche seine Muse heraufbeschwor, mochte auch ein sanftes abendröthliches Licht sie umfließen, verloren sich nirgends in geheimnißvolle Dämmerung oder unergründliches Dunkel. Die Romantiker des märkischen Sandes beschworen die mondbeglänzte Zaubernacht des Mittelalters herauf, in welcher schattenhaft ihre Gestalten vorüberzogen und allerlei Kobolde und gespenstige Nachtgeister ihr unholdes Wesen trieben: sonnenhell ist das Mittelalter, welches Uhland besingt; vieles daraus schimmert in goldigem Glanze; krystallklar ist der Becher, in dem er uns den edeln Wein seiner Dichtung kredenzt.

Doch Uhland’s Muse hatte auch einen warmen Pulsschlag, wo es das nationale Leben der Gegenwart galt. Es liegt im schwäbischen Volksstamme eine kernige Eigenart – und auch diesen Zug finden wir bei Uhland in dem Festhalten an Ueberzeugungen, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen, in der Unerschütterlichkeit der Gesinnung. Frei von aller Renommage, sanft und still, aber fest: das war die Devise seines Lebens, seiner Dichtung. Wir würden vergebens bei ihm überströmende Ergüsse einer politischen Lyrik suchen; gleichwohl ist er ein Vorläufer derselben; er hat in einigen kräftigen und schlagenden Versen Losungen ausgegeben, die einen Nachhall gefunden bei der Nation und den Dichtern eines jüngeren Geschlechtes.

So erinnert sich das deutsche Volk des edeln schwäbischen Sängers an seinem Säkulartage mit dankbarer Hingebung, eingedenk der Goethe’schen Verse:

„So feiert ihn! Denn was dem Mann das Leben
Nur halb ertheilt, soll ganz die Nachwelt geben!“

Rudolf von Gottschall. 




Ludwig Uhland im Kerner-Hause.

Jugenderinnerungen von Theobald Kerner.

Es war ein Sommertagmorgen und die Sonne heute besonders schön über Weinsberg aufgegangen, oder erschien es nur dem Kerner-Hause so? Dieses lag in hellem Glanze und schaute aus seinen Fenstern so vergnügt in die Welt hinein, als so ihm ein besonderes Glück widerfahren; man sah ihm recht die innere Freude an. Auf den dunklen Blättern des Epheus und den Weinranken, welche das Haus umschlangen, hüpften die kleinen runden Sonnenlichter; die Amseln und Finken sangen von den Baumzweigen und im Gesträuch bald Solo, bald im Chor lustige Weisen von Liebe und Wandern, und die Sperlinge, die Stromer der Landstraße, ließen keck ihre Handwerksburschenlieder ertönen; sie konnten’s nicht gar schön, aber sie thaten ihr Möglichstes, sich geltend zu machen; es war ein allgemeines Singen ringsherum, als wäre an die Vogelwelt der Ruf ergangen:

„Singe, wem Gesang gegeben!“

Nur der zahme Storch, der entthronte Fürst der Lüfte, jetzt wie einst König Dionys ein Schulfuchs und Kritikus geworden, schritt mit steifen Schritten durch den Garten und hackte mit seinem spitzen Schnabel nach den Schmetterlingen, Fliegen, Käfern und Brummlern, die um die Blüthen flogen oder selig träumend im Blumenkelche lagen – das romantisch-lyrische Geschmeiß konnte er nicht leiden!

Was aber war geschehen, daß Haus und Garten und Vögel und Blumen, Alles so fröhlich und voll Leben war und nur der Storch, der Pedant der alten Schule, seine üble Laune nicht verbergen konnte?

In später Nacht, auf der Heimkehr von einer größeren Reise, war Ludwig Uhland gestern im Kerner-Hause eingetroffen, und im Gartenhaus drüben logirten seine alten Freunde Karl Mayer und Gustav Schwab. Sie hatten gewußt, daß Uhland komme, und wollten ihn überraschen und mit ihm und Justinus einen glücklichen Tag verleben. Jetzt durcheilte Kerner, von seinen Krankenbesuchen, die er heute früher als sonst gemacht hatte, heimkehrend, hastig den Hausgarten und rief seinem Rikele, das auf der Veranda oben mit Salatputzen beschäftigt war, zu:

„Sind die Gäste schon auf?“

„Ich habe noch nichts von ihnen gehört!“ antwortete Rikele.

„Uhland! Ludwig! Florens!“ ließ nun Kerner abwechselnd unter dem Balkone zum Sargzimmer – so genannt wegen seiner gewölbten Decke – seine Rufe erschallen, bis die Glasthür sich öffnete und Uhland herabrief: „Guten Morgen! Ich komme sogleich!“

„Wohin soll ich das Frühstück bringen lassen?“ fragte Rikele, „in das Altanzimmer oder in den Garten?“

„Ei, in den Garten! Aber wo bleiben die Andern? Schnell, Theobald,“ sagte er zu dem herbeikommenden Sohne, „geh’ ins Gartenhaus und hole Schwab und Mayer!“

Mayer war schon mit Tagesanbruch ausgeflogen dem nahen Walde zu; Schwab saß am Tische und schrieb seiner Frau. Aber in Kurzem waren die Freunde alle beim Frühstück in der Gartenlaube versammelt und seelenvergnügt; auch Uhland, aus seiner gewohnten Schweigsamkeit herausgetreten, zeigte sich voll guter Laune. Die Sonne hatte sein Gesicht auffallend gebräunt und geröthet; dazu hatte er eine sonderbare, an ihm sonst nicht gewohnte Mütze auf: sie war hoch, oben gerundet, von schwarzem und weißem Roßhaar gefertigt und hatte ein großes Schild. Uhland hatte sie sich unterwegs gekauft zum Schutze gegen die Sonne und wegen ihrer Leichtigkeit, und stimmte jetzt selbst in den Scherz der Freunde über dieselbe ein.

„Es ist eine Jockeymütze, aus den Schwänzen preisgekrönter Renner verfertigt,“ sagte der Eine.

„Es ist eine Tarnkappe!“ meinte der Andere.

„Sie hat auch etwas vom Helm des Achilles,“ scherzte der Dritte.

„Jedenfalls hat sie etwas sehr Vornehmes und mir gute Dienste geleistet, doch nach Stuttgart nehme ich sie nicht mit; ich lasse sie hier zum ewigen Andenken,“ sagte Uhland. „Ich reiste,“ erzählte er weiter, „nach Heidelberg in Gesellschaft mit einem jungen, äußerst lebendigen Herrn, der mich und die anderen Mitreisenden durch seine originellen Einfälle und Erzählungen aufs Beste unterhielt. Unter Anderem behauptete er auch, er sehe jedem am Gesicht und an der Gestalt an, was er sei. Nachdem er

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_279.jpg&oldid=- (Version vom 4.5.2023)