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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)


Als wenn der Mann gar nicht neugierig wäre, sein Schicksal zu erfahren! Das empörte innerlich selbst Friedrich, aber seine Miene blieb steinern.

„Ich warte auf Antwort, Herr Graf!“ meldete er, das Billett überreichend.

Graf Nachewski trat unter die nächste Gaskrone und hielt zwischen Zeige- und Mittelfinger seiner Linken eingeklemmt das geöffnete Billett hoch empor, höher als nöthig gegen das Licht. Seine zwinkernden Augen entzifferten mit Mühe die Schrift. Friedrich hätte bemerken können, wie die Gestalt des Lesenden ein klein wenig vor- und rückwärts wiegte.

Das durch Wein bereits echauffirte Gesicht schien keiner Steigerung eines Ausdrucks fähig. Doch die ganze Gestalt schnellte plötzlich empor, als wenn eine verhaltene Sprungfeder losgelassen würde; die erhobenen Finger der Rechten gaben ein paar scharfschnippende Kastagnettentöne, und das Billett wurde konvulsivisch in der Linken geknittert.

„Gut, Johann! Gut! Ergebensten Gruß! Ich käme sofort!“

Und während Friedrich sich herabließ, den dargebotenen Wein am Büffett mit stummer Kennermiene zu schlürfen, erhob sich in der verhangenen Koje ein lärmendes Halloh. Eine Reihe von Hochrufen auf den Bräutigam, dazu ausgelassenes Lachen; ein Glas zerschellte klirrend beim Anstoßen. Der Name Belzig wurde wiederholt mit so eigenthümlicher Betonung genannt, und die lallende Stimme eines Betrunkenen ließ den „Goldfisch“ leben.

Friedrich meinte für sich, er sei einen minder sauren Wein gewohnt, und er ließ die Hälfte stehen.

Das „Sofort“ des Grafen aber dehnte sich noch zwei Stunden aus, so lange währte auch diese Sitzung. Bei der nun folgenden intimen Verlobungsfeier ließ Graf Nachewski, vom Wein und von der Freude angeregt, daß es nun ein für alle Mal vorbei sei mit diesem elenden Seiltanzen über Schuldenabgründen, das ganze nicht sehr ausgedehnte Repertoire seiner Liebenswürdigkeit spielen. Vielleicht machte er sich auch weis, daß hier in dem ausgebrannten Krater seines Herzens sich dennoch die Spur einer Flamme bemerkbar mache, die man Glück, Liebe und ähnlich hübsch klingend benennen könne. Die taube Tante Mala war ganz außer sich über Lolo’s Glück. Nun, und Lolo’s Heiterkeit an diesem Abend war doch wohl nicht allein der Ausdruck der Befriedigung, ihre Schwester so überglücklich zu sehen.

(Fortsetzung folgt.)




Ludwig Uhland.

Das deutsche Volk hat seine Lieblinge unter den Dichtern: es sind nicht immer diejenigen, aus deren Feder eine lange Reihe von Bänden floß – ein einziges unvergängliches Lied, ein einziges Gedicht von herzgewinnender Schönheit genügt, dem Dichter im Herzen seines Volkes eine sichere Stätte zu bereiten.

Der Sänger, dessen Säkularfeier nicht bloß im Schwabenlande, sondern in ganz Deutschland jetzt festlich begangen wird, gehört zu diesen Auserwählten deutscher Nation; seine Lieder und Balladen leben wie diejenigen Schiller’s im Munde des Volkes, und die Schwesterkünste Musik und Malerei wetteiferten mit einander, aus dem Brunnen dieser Dichtung zu schöpfen für eigene schöne Gebilde.

Ein schlichter Mann war dieser schwäbische Dichter und schlicht sein Leben, und unbequem war jede Feier und Verherrlichung dem Lebenden.

Ludwig Uhland, am 26. April 1787 zu Tübingen geboren, studirte die Rechte auf der Universität seiner Vaterstadt, wurde dann Advokat und Doktor; von 1812 bis 1814 arbeitete er im Bureau des Justizministers. Die Befreiungskriege, welche in allen Herzen den patriotischen Schwung geweckt hatten, begeisterten auch seine Muse, gleichzeitig der Kampf für Verfassung und Volksrechte, der damals in allen deutschen Staaten entbrannte. Seitdem hat sich Uhland’s Wirksamkeit nach zwei Seiten hin getheilt: er war Politiker und Gelehrter. Seine Neigung trieb ihn zum Studium altgermanischer und altfranzösischer Ueberlieferungen. Wie seine Schriften zur „Geschichte der Dichtung und Sage“ beweisen, hat er sich mit Eifer und Erfolg diesen Studien hingegeben; er hat über Walther von der Vogelweide, über das altfranzösische Epos, über die nordische Sagenlehre vom Thor geschrieben und eine Sammlung „alter hoch- und niederdeutscher Volkslieder“ herausgegeben. Im Jahre 1829 war er zum außerordentlichen Professor der deutschen Sprache und Litteratur zu Tübingen ernannt worden, trat aber schon 1833 von dieser Professur zurück, als man, nachdem er zum Abgeordneten für die zweite Kammer gewählt worden, ihn nicht von seiner akademischen Stellung dispensiren wollte. Schon im Jahre 1819 war er von dem Oberamt Tübingen in die Ständeversammlung gewählt worden; ebenso hatte er in den nächstfolgenden Jahren als Abgeordneter einen Sitz darin. Im Landtage von 1833 gehörte er zu den eifrigsten Mitgliedern der konstitutionellen Opposition, verzichtete aber 1839 auf die Wiederwahl. Im Jahre 1848 wurde er in Tübingen zum Mitglied des deutschen Parlaments erwählt, wo er sich der Linken anschloß; er starb in seiner Vaterstadt am 13. November 1862.

Dieser kurze Lebensabriß soll nur Bekanntes den Lesern in die Erinnerung zurückrufen. Uhland’s Thätigkeit als Abgeordneter und gelehrter Forscher ging nicht gleichgültig einher neben seinen dichterischen Schriften. Aus patriotischer Gesinnung flossen viele seiner schwunghaften Lieder, und aus dem Jungbrunnen altdeutscher Volkspoesie schöpfte seine Muse nicht nur Anregung und Begeisterung, sondern auch manchen willkommenen Stoff und die Tonweise, die im Herzen des Volles Wiederhall finden sollte, wie sie ihn früher gefunden hatte. Ludwig Uhland ist ein deutscher Volkssänger, aber durch edle Fassung und Haltung himmelweit von allen Bänkelsängern verschieden: er hat zuerst die Selbstherrlichkeit des deutschen Liedes verkündet:

„Singe, wem Gesang gegeben,
In dem deutschen Dichterwald!“

Das Lied aus Volksmund hat sein gutes Recht neben dem Lied der Begabten der gefeierten Sangesmeister:

Nicht an ein’ge stolze Namen
Ist die Liederkunst gebannt;
Ausgestreuet ist ihr Samen
Ueber alles deutsche Land.

Heilig achten wir die Geister,
Aber Namen sind uns Dunst;
Würdig ehren wir die Meister,
Aber frei ist uns die Kunst.“

Uhland selbst aber zählt zu diesen Meistern, welche das Volkslied geadelt haben. Nicht jeder Singsang sollte, wie oft mißbräuchlich angenommen worden, mit jenen weihevollen Versen gerechtfertigt werden, auch die freie Kunst müßte doch immer eine Kunst bleiben. In seinen „Gedichten“, deren erste Auflage im Jahre 1815 erschien, während jetzt schon die sechzigste Auflage derselben vorliegt, hat er das Volkslied, dessen Herold er war, als Meister gepflegt. Seine Lieder und Naturbilder sind stimmungsvoll, dabei gefällig, kurz und schlicht, wie es das Volkslied verlangt. Wir sind gleich dort, wohin uns der Dichter führen will; er bedarf keiner weiten Wege; wir empfinden mit ihm, wir sehen mit seinen Augen, mögen wir mit ihm die sanften Tage der ersten Frühlingszeit begrüßen oder die Winterreise machen bei kaltem Wetter und trüber Sonne. Als Blumenmaler giebt er nie einen todten Abdruck aus einem botanischen Herbarium: er beseelt seine Blumen durch die Sprache der Empfindung. Und wenn er vielfach in diesen stillen Klängen an Goethe’s Liederdichtung erinnert, so erinnert er an die Schiller’sche Poesie, wenn er begeisterte Vaterlandslieder dichtet und als Anwalt der Volksrechte in feurigen Versen auftritt.

Doch würde Uhland durch seine anmuthenden, sich sanft einschmeichelnden Lieder kaum ein gefeierter Lieblingsdichter unseres Volkes geworden sein, wenn ihm nicht der große Wurf auf dem Gebiete der Ballade gelungen wäre. Dieser große Wurf heißt „Des Sängers Fluch“, ein meisterliches Gedicht, das allein dem Namen des Dichters eine schöne Unvergänglichkeit sichert. Hier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_278.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)