Seite:Die Gartenlaube (1887) 275.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Plötzlich ward er sich der Erbärmlichkeit seines zimperlichen Kleinmuthes bewußt. Er reckte sich aus dem Stuhle empor.

„Natürlich, natürlich!“ rief er, sich in die Brust werfend, mit einer überflüssigen Energie, die wohl für eine spätere, bevorstehende Scene bestimmt schien. „Natürlich hat Litta eben so viel Anrecht, glücklich zu werden, wie Du. Was der Einen recht ist, ist der Andern billig.“

Es war die offene Empörung darüber, daß seinem armen Kinde solches Unrecht zugefügt wurde. „Und nun geh’, Lo, hörst Du? Beruhige Deine Schwester. Sie soll ganz ruhig sein! Ich werde – nun geh’, hörst Du?“

Er hatte solche Eile, daß Lo sich entfernte. Fürchtete er etwa, daß er noch vor den Augen seiner Tochter wieder in seinen Kleinmuth zurückfiele? Nicht das, aber als Lo fort war, hielt er es doch für nöthig, das Haus zu verlassen und in kurgemäßem Tempo den Kanal entlang bis zur Brücke am zoologischen Garten zu laufen, um den schädlichen Folgen all der Aufregung auf seine Gesundheit vorzubeugen. Nun, und auch der zu bestehende Strauß mit Frau Belzig erforderte einen gehörigen Vorgenuß von freier Luft und Bewegung.

„Das ist ja – das ist ja –“ Frau Belzig rang vergebens nach einem Wort, um das Benehmen Lolo’s und das Komplott ihrer beiden Töchter stark genug zu bezeichnen, als eine Stunde später der Zusammenstoß erfolgte. Das war ja der offene Aufruhr – Rebellion, nichts Anderes! Sie war außer sich. Sie sprühte und prasselte vor Wuth wie ein frischangezündetes Feuer.

„Ist es denn möglich! Das kann auch nur Dir passiren, Belzig! Warum ist sie nicht zu mir gekommen? Natürlich nicht! Ich werde mit ihr reden. Bedingungen zu stellen! Ich werde mit ihr reden. Nein, ich will sie nicht sehen, ich kann sie nicht sehen! Es macht mich total krank. Eff – ist es denn möglich? Der Name macht mich krank, er bringt mich um!“ –

Und nichts Trübseligeres diesmal, als der zum Diner gedeckte Tisch, an dem der „Herr des Hauses“ einsam in Gegenwart von drei unbesetzten Kouverts saß und mit Messer und Gabel appetitlos auf seinem Teller herumschnipselte. Silber, Porcellan und Krystall schienen ihren Glanz eingebüßt zu haben und der Kronleuchter hing als eine schwere und träge Masse hernieder. Das Feuer schwelte dumpf im Kamin; hier und da gab es einzelne knallartige Detonationen, wie Schüsse in einem hingehaltenen Gefecht.

Rebellion im Hause! Selbst das leblose Geräth rebellirte. Nur allein Friedrich schritt gelassen, nichts sehend, nichts hörend, mit seiner geheimräthlichen Grandezza durch all den Aufruhr.




7.0 Zwei Sitzungen.

„Die Verlobung ihrer Tochter Lolo mit Herrn Winfried Graf Nachewski aus Stopplenberg, sowie ihrer Tochter Melitta mit dem königlichen Hauptmann im Großen Generalstabe, Herrn Adalbert Walther Eff beehren sich ergebenst anzuzeigen

  O. F. Belzig und Frau

  geb. van Schülpchen.“

Diesmal hatte sogar der famose Druckfehler versagt. Es war auch das jetzt gleichgültig. Es war überhaupt Alles gleichgültig! – Frau Belzig wird fortan kein Glied eines kleinen Fingers mehr rühren, um das Haus vor seinem Zurücksinken in das frühere Dunkel zu retten! Sie wird fortan zu Allem Ja! sagen. Ein so verzweifeltes Nicken stummer Einwilligung, das schlimmer war als die alarmirenden Tiraden ihres lauten Widerstandes; – ein so verzweifeltes gerührt mitleidiges Lächeln, vor dem Melitta noch im letzten Augenblick zurückweichen wollte. Aber die tapfere Lo blieb standhaft. „Mama wird sich allmählich beruhigen. Schließlich braucht Mama nicht die Herren zu heirathen, sondern wir!“

Bis zum Abend des folgenden Tages hatte der Kampf gedauert. Schließlich siegte die Partei der Rebellion in einer großen Rührscene, bei der die Thränen der Damen reichlich flossen. Herrn Belzig’s Gesundheit hatte entschieden während dieser Kriegsperiode gelitten, und die Farbe seines Gesichts war trockener und grauer geworden, nun durfte er endlich wieder aufathmen und in Ruhe seiner Kur leben. Gleich am andern Tage bestellte er eine neue Nachsendung seines Brunnenwassers. Mit einer Tapferkeit, die für ihn selbst staunenswerth erschien, hatte er die Partei der Mädchen gehalten. Er legte die Hand einfach auf seinen Arnheim: kein Pfennig soll für die Bezahlung von Schulden heraus, ehe nicht Melitta’s Herzen ein Recht geschehen! Als Perkisch nach und nach die Zahlen spielen ließ, die Nachewski’s Schulden bedeuteten, und die Summe nun endlich feststand, da zuckte in ihm ein Widerstand: die saure Arbeit so manchen Jahres, die in diese Versenkung hinabgleiten sollte? Aber war das Glück seines Kindes nicht eine Hand voll Zehntausender werth? Eines aber wollte er dann wenigstens wissen. „Sag’ einmal, liebst Du ihn denn wirklich, Lo?“ hatte er seine Aelteste gefragt; „wirst Du auch glücklich werden?“ Er legte dabei die eine leibliche Hand um die rundliche Taille seiner Tochter, während die andere in Gedanken den Verschluß des Arnheim gedeckt hielt.

Welch eine überraschende Frage!

„Aber Papa! Gewiß – warum soll ich nicht? Was denkst Du denn?“ stammelte sie, und sie fühlte die Blässe, die gleich einer Kälte vom Herzen in ihr Antlitz emporstieg. Doch ihre Zähnchen blinkten schon wieder lächelnd. „Gewiß lieb’ ich ihn, Pa’!“ rief sie mit scharfem Trotz.

Da zog er in Gedanken die Hand von dem Verschluß des Arnheim. Es war ein so häßliches Feilschen und Markten. Der Handelsmann Perkisch kämpfte unter der Maske der Freundschaft mit einem schier fanatischen Eifer, als gälte es, seinen eigensten Vortheil zu retten. Aus dem Lärm des Geschäftes erfuhren auch die Mädchen von dessen unerquicklichen Details: Zahlen und Zahlen, die umherschwirrten, und die Stichwörter der köstlichen Harlekinade, die der Kobold des guten Namens hier zum Besten gab. Sie sahen und staunten, wie dieser Perlisch, der durch seine hochpoetischen Toaste einen Sonnenschein über die ödesten und steifsten Diners und Soupers zu breiten wußte, so handgreiflich mit den Idealen schacherte.

Auch Frau Belzig lernte hier den redefertigen Dinergast von einer neuen Seite kennen, aber sie achtete kaum auf diese Geldaffairen in ihrer Aufregung über das Jawort, das an Eff verschleudert werden sollte. Eine letzte Hoffnung blieb ihr noch, die Adoption und an diese klammerte sie sich krampfhaft.

Die beiden Glücklichen sollten noch am Abend aus ihrem Harren erlöst werden. Lolo fürchtete, über Nacht könnte das Wetter noch einmal umschlagen. Der Hauptmann empfing die Freudenbotschaft in einer Sitzung seiner Abtheilung, aus der ihn der Bote herausholen ließ. Sein Antlitz flammte von dem inneren Aufjauchzen seines Herzens. Er wollte kommen – er würde sich beeilen, gleich wenn die Sitzung zu Ende, wäre er da!

Aber der Dienst – die Heiligkeit des Dienstes!

Während er die Thür zum Sitzungssaal öffnete, verschwand die dienstwidrige Freudenmiene, er machte seine Verbeugung gegen den vorsitzenden Abtheilungschef und setzte sich mit der sicheren Ruhe, die sein Wesen kennzeichnete, wieder vor den Papierstößen seines Platzes nieder. Und jedenfalls war die Röthe, die während der noch anderthalb Stunden dauernden Sitzung sein Antlitz belebte, kein Zeichen der Ungeduld, sondern nur die Wirkung der geschärften Aufmerksamkeit, welche die Schwüle dieser wichtigen Sitzung erforderte. Am Schlusse erlaubte sich Eff, unter Vorbehalt der vorgeschriebenen dienstlichen Meldung, dem Obersten Mittheilung von seiner Verlobung zu machen.

„O, das hätten Sie aber gleich sagen sollen – gratulire!“ rief der Bärbeißer.

Und während er Jenem die Hand reichte, war es wohl nur eine ganz flüchtige Spur des Zweifels, die sein Dienstgewissen streifte, ob denn diese Verlobung auch nicht die äußere Genauigkeit von Eff’s Referaten beeinträchtigen würde. Aber sofort mit einem zweiten Händedruck leistete er stille Abbitte. Bei Eff’s Dienststrenge war doch dergleichen nicht zu besorgen!

Weniger leicht war es Friedrich geworden, den Grafen aufzutreiben. Dessen Spur leitete von dem ziemlich dunkeln Hôtel in der Jerusalemerstraße, wo er wohnte, über verschiedene Lokale, in denen er zu treffen sein sollte, nach einem Weinkeller des Gendarmenmarktes. Während der Nachfrage am Büffett hörte Friedrich aus einer der Kojen, die mit einer Portière verhangen war, das näselnde Organ des Gesuchten, begleitet vom Klang der Gläser und dem ausgelassenen Lachen und Juchzen weiblicher Stimmen.

„Ah, Sie sind es, Johann – Pardon, ich verwechsele Sie immer. Sie heißet doch ... wie heißen Sie doch noch? Sie nehmen ein Glas Wein? Fritz, he, einen Schoppen! Nun, was bringen Sie denn?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_275.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)