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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

„Das hätte ich wohl schon gekonnt, aber ich wollte warten, bis ich zum Hauptmann avancirt und definitiv in den Generalstab versetzt bin.“

„Sie geben viel auf dergleichen, Deine zukünftigen Schwiegereltern. Es heißt, sie, die Frau Belzig, reservire ihre beiden Töchter für die Söhne Bismarck’s.“

„Laß die Scherze, Adolf! Sprechen wir von was Anderem!“

„Noch eine Frage. Ich muß wissen, wie ich daran bin. Wann wird Deine Versetzung in den Generalstab perfekt sein?“

„Warum? Sie kann jeden Tag heraus sein. Vielleicht kann es auch noch Monate dauern.“

„Und wenn das Andere, das, wovon Du nicht gerne sprichst – Du bist eben ein gelungener Kerl – auch heraus ist, darf ich dann auf Dich rechnen?“

„Wieso?“

„Nun, der betreffende Vater Deiner Erkorenen wäre doch im Stande, einem armen Kerl von Streber herauszuhelfen. Ich kann zwar anderweitig Geld bekommen, so viel ich will, mein Aspirator schlägt jede Konkurrenz; aber es wäre doch das Einfachste, es wäre das Natürlichste.“

„Ah, also das ist’s! Daher Dein Interesse an meiner Verlobung!“ lachte Walther.

„Nun, ich freue mich wirklich von Herzen auf meine schöne und liebenswürdige Schwägerin. Aber was wird sie mit einem Schwager anfangen, der sich von Milch und Hoffnung ernährt?“

„Sehr gut! Also darauf reducirt sich die ganze Aussicht, Deine Fabrik zu gründen! Wenn ich nun einen Abfall erlebe?“

„Nicht möglich!“ rief Adolf.

„Ich danke für Deine Zuversicht,“ lächelte Walther. Seine Liebe zu Melitta und Melitta's Liebe zu ihm war so felsenstark, daß sie alle Hindernisse, wenn es solche gäbe, siegreich überwinden mußte! Und in dem freudigen Bewußtsein dieser Stärke klopfte er auf Adolfs Schulter. „Nun, sei nur ruhig. Vielleicht bringen wir dann Deinen Aspirator auch noch durch.“

„Du bist ein guter Bursch, Walther, und Du befreist mich von einer großen Sorge. Diese Wechsel sind entsetzlich. Würdest Du mir bis dahin Bürgschaft leisten?“

„Gewiß, recht gern,“ antwortete Walther zögernd, „aber ohne die Klausel ‚bis dahin‘. Es wird sich Alles finden. A propos, Du bist in augenblicklicher Verlegenheit?“

„Ich muß Papier zum Zeichnen und Petroleum für die Lampe haben. Wir brauchen viel von letzterem; selbst am Mittag kann man in unserem Verließ Nichts sehen ohne Licht. Und der Hallunke von Wirth will auch das Petroleum nicht einmal mehr liefern.“

„Schon gut, schon gut.“

Ein paar Minuten darauf empfahl sich Adolf, mit Geld für Papier und Petroleum, und auch wohl mit bedeutend mehr versehen.

„Du bist ein guter Junge, Du bist ein famoser Junge, Walther!“ Und er schlug jenem zum Abschied liebkosend auf die Schulter. „Na warte, wenn erst mein Aspirator …“

Die zuschnappende Thür schnitt das Wort ab.

Walther schüttelte mit einem bedauerlichen Lächeln den Kopf. Bald darauf saß er tief in seinen Zahlen. Bis in die zweite Morgenstunde hinein instradirte er Bataillone, Schwadronen und Batterien, ließ er Züge nach der Grenze abgehen und zurückkommen und die leeren wieder von Neuem beladen, richtete er Frühstücksstationen ein und sorgte für Trinkgelegenheiten. Hier und da huschte der Gedanke an Melitta heran und gaukelte über dem unabsehbaren Gewirr der Zahlen wie ein Schmetterling über einem sonnigen Blumenfeld. Aber nur wenige Minuten lang duldete er das süße Gegaukel. Hing doch von dem kleinen Versehen einer ungenauen Abfahrtszeit die Brauchbarkeit des ganzen Planes ab, vielleicht konnte dies Versehen die Rechtzeitigkeit des strategischen Aufmarsches in Frage stellen – vielleicht konnte damit die erste Offensive verzögert werden. Nicht am wenigsten verdankt Preußen einen Theil seiner Erfolge der erstaunlichen Korrektheit seiner Mobilmachungsfahrpläne.




5.0 Die rothe Stube.

Nichts Einladenderes, nichts Freundlicheres als der gedeckte Tisch des Hauses Belzig. Er schien gleichsam das Glück des Hauses darzustellen; so strahlte, so schimmerte, so glitzerte er. Im Kamin knisterte ein Feuer, und der Schein der Flammen huschte in lustigen Reflexen über das Geschirr und das Silber der Gedecke, ließ die schweren vergoldeten Rahmen der gemalten Stillleben mit ihren unmöglichen Riesenfrüchten aus dem traulichen Dämmer, das den Raum auch jetzt zur Stunde des Frühstücks einhüllte, hervorglänzen und rief in den stets etwas bebenden Krystallen des Kronleuchters ein lebhaftes Gaukelspiel von Lichtern hervor. Nur die kostbaren Rosen auf der Mitte des Tisches verschmähten solchen Flammengruß, und es war, als ginge besonders von dem stolzen hochgelben Marschall Niel eine besondere Gluth aus. Von der anderen Seite, durch das Pflanzenwerk, das sich an der Spiegelscheibe des einzigen Fensters mit den graziösen Kontouren japanischer Arabesken scharf abzeichnete, brach die Januarsonne in einzelnen Lichtstreifen herein. Es war eine so vornehme, so diskrete, durch den Frühdunst, der heute nicht weichen wollte, zum zartesten Rosa gedämpfte Sonne.

Doch die Tischgäste wollten sich noch immer nicht einstellen. Der überaus stattliche Friedrich, ein ehemaliger Gardist, der wegen des Effektes seines Eisernen Kreuzes und der Kriegsdenkmünzen die seine Livree schmückten, besonders gut bezahlt wurde und auch jüngst erst von Frau Belzig in seinem Lohn gesteigert worden war, erschien immer wieder hinter der Portière und umkreiste mit der ganzen majestätischen Gemessenheit seines lautlosen Schrittes den Tisch. Er hatte vier Gedecke aufgelegt, davon dienten zwei nur als Dekoration, denn die beiden jungen Damen waren nach der flüchtigen Näscherei eines Imbisses früh schon nach der Eisbahn geeilt, um den herrlichen Frosttag auszunutzen. Jetzt hielt Friedrich vor dem Kamin, und die Flammengluth vergoldete das wundervolle Kunstwerk seiner weißen Kravatte und die rasirte bronzenartige Glätte seines Diplomatengesichtes. Friedrich lauschte nie, sonst hätte er dem Geknatter des Feuers zum Trotz die sonore Stimme von Frau Belzig hören können, die, wenngleich durch eine Thür gedämpft, aus einem der hinteren Zimmer herüberschallte, aber er lauschte nie, er war zu vornehm dazu. Jene Stimme sprach in hoher Erregung, durch kurze Pausen unterbrochen – vermuthlich kam „der Alte“, um die Nomenklatur der Dienstboten anzuwenden, während dieser Pausen zu Wort; aber von seinem trockenen, klanglosen, vorsichtigen Organ drang kein Laut durch die Thür.

Es war nicht Alles wie sonst! Es war etwas im Anzuge, das die Physiognomie des Hauses gewaltig verändern mußte. Ungefähr vor anderthalb Stunden, als die beiden jungen Damen eben das Haus verlassen, war Graf Nachewski erschienen, weniger nonchalant, weniger müde als sonst, fast feierlich. Natürlich hatte Friedrich dies besonders zu bemerken nicht der Mühe werth gefunden, er hätte ja, wenn er gewollt, einen Vergleich zwischen dem auffallend schäbigen Pelz des Grafen und dem herrlichen Bären anstellen können, der die begehrte Kostbarkeit seiner eigenen Gestalt so imposant auf dem Kutschbock zu drapiren pflegte. Die Unterredung mit der Herrschaft hatte eine Viertelstunde gedauert, und nun sah es fast aus, als empfände der Besitzer des Pelzes eine gewisse Verachtung für das heruntergekommene Ding und als sagte ein verhaltener Triumph in seiner Miene, daß es nun überhaupt vorbei sei mit aller Schäbigkeit und daß man nun getrost diesen Pelz den Motten überantworten könne.

Kurz nachher war Lieutenant Eff erschienen – o Pardon, Hauptmann Eff! Friedrich war natürlich durch die neue funkelnde Generalstabsuniform des Ankömmlings nicht überrascht worden, und er hatte sofort die Doppelsterne auf den Epauletten bemerkt. Man hätte sich erlauben können, zu diesem Avancement zu gratuliren; denn das leutselige und zugleich vornehme Wesen dieses Officiers war dem früheren Soldaten besonders sympathisch. Aber er begnügte sich nur, das „Herr Hauptmann!“ mit Nachdruck zu betonen.

„Wollen Sie mich Herrn Belzig melden!“ Auch hier ein so feierlicher Ton der eine innere Aufregung zu bemänteln hatte.

Gewiß, es lag etwas in der Luft; es mußte Derartiges eintreffen! Der Graf mußte um Fräulein Lolo, und Hauptmann Eff mußte um Fräulein Melitta anhalten. Aber Beide auf einmal? Etwas viel auf einen Tag! Sie haben sich doch nicht etwa verabredet? Was für Chancen diese Leute haben! Ein Graf und Einer vom Generalstab! Doch keine Glossen, Friedrich!

Plötzlich ward der Diener durch das hastige Oeffnen einer Thür aus der Betrachtung des Kaminfeuers gerissen. Laut, im gereizten, fast kreischenden Ton platzte die Stimme von Frau Belzig herein: „Für den Grafen ja! für Eff nein!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_260.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)