Seite:Die Gartenlaube (1887) 254.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

langen, weißgedeckten Tisch saßen, als ich die Thür öffnete. Ein lebhaftes Stimmengewirr ertönte mit dem Löffel- und Tassenklappern zusammen; auch Körbe mit Kuchen in jeder Gestalt machten die Runde; ich bekam eine etwas gehaltene Begrüßung von der Hausfrau und eilte im Gefühle meiner Schuld so schnell wie möglich, am unteren Tischende neben ein freundlich aussehendes junges Mädchen zu versinken, das mit unendlicher Beflissenheit sofort anfing, mir Kuchen, Kranz, Vanillenschnitte, Hefenbretzeln beizuschaffen und immer dringender nöthigte: „Ach, nehmen Sie doch!“

Ich merkte, daß das Mägdegespräch bereits in gutem Zuge war. Die Geister der jüngstverflossenen Köchinnen schwebten über der Versammlung, und aus dem allgemeinen Chor erhob sich die Stimme von Fräulein Berghaus, welche eine längere Erzählung also beschloß:

„Und darum sage ich: es ist eine vorzügliche Probe für die Tüchtigkeit einer Hausfrau, ob sie über ihre Milchreste Kontrole führen darf oder nicht!“

Hier erhob sich ein vielstimmiges Klage- und Entrüstungsgemurmel; ich dachte auch im Stillen an den Topf Milch, den Rike jeden Abend füllen und im Laufe des andern Tages verschwinden läßt. Würde ich es wagen, sie darüber zur Rede zu stellen? Nein, sicher nicht. Also auch noch weit von der guten Hausfrau!

„Ach, die Milch!“ rief eine junge Officiersgattin, „die gehört nun einmal zu den nothwendigen Uebeln; das ist ja doch auch nur eine Kleinigkeit –“

„Fünf Pfennig täglich macht in der Woche fünfunddreißig,“ bemerkte Fräulein Frida.

„Aber denken Sie sich!“ fuhr die Andere unbekümmert fort. „Neulich komme ich um zwölf Uhr in die Küche, finde den Herd weißglühend, alle Töpfe an den Rand gerückt und doch noch zischend im Ueberkochen.

‚Um Gottes willen, Babette, was fällt Ihnen ein, solch ein Feuer zu machen?‘ ‚Ei,‘ erwiedert sie mir, ‚weil noch so viel Holz im Holzstall ist, hab’ ich mir gedacht: ich will’s wegbrennen, bis das neue kommt!‘“

„Nun, da haben Sie’s noch gut gehabt mit Ihrem Eintritt in die Küche,“ sagte kaltblütig ihre Vorgesetzte, die Majorin. „Als ich neulich ins Zimmer meines Mannes trat, stieß ich im Dunkeln an einen Fuß, der von der Chaiselongue herunterhing. Es war die Köchin, die sich hier nach dem Abspülen ‚etwas ausruhte‘, wie sie sagte.“

Alles lachte.

„Ja, es ist arg,“ rief jetzt die Gutsbesitzerin von Walden, die eine lustige und resolute Frau zu sein scheint. „Ich sage Ihnen, wer, wie ich, dreißig Jahre lang Haushaltung führt, der kommt zuletzt dahin, sich die ewige Seligkeit als den dienstbotenlosen Zustand vorzustellen. Ich freue mich heute schon darauf; denn den Himmel habe ich mir an meinen verschiedenen Köchinnen und Hausmamsells redlich verdient.“

„Meine Erfahrung hat mir gezeigt,“ sagte eine andere ältliche Mama, „daß es nur zwei Sorten von weiblichen Dienstboten giebt: die Freundliche, Sanfte, Lahme, Bigotte, Schmutzige, dann die Grobe, Heftige, Unverschämte, die gut kocht und gern putzt. Ich habe fünfundzwanzig Jahre lang zwischen Beiden alternirt und bin im Augenblick wieder bei der Sanften. Aber der Schmutz wächst im Hause, und zu Ostern muß ich eben doch wieder zur zweiten Sorte greifen.“

„Ich,“ erwiederte eine geprüfte Kreuzträgerin, indem sie die Augen zum Himmel hob, „ich habe noch eine dritte Sorte kennen gelernt, die Grobe, Heftige, Unverschämte, Lahme, Bigotte und Schmutzige in Einer Person!“

„Es giebt auch noch die Flinke, Freundliche, die gut kocht –“ wehrte lachend Mama Baer vom Sofa her ab, aber es war umsonst; die Wellen gingen zu hoch.

Ich wandte mich unter ihrem Brausen zu dem jungen Mädchen an meiner Seite und sah in ein paar große, braune Rehaugen und ein rosiges Gesichtchen, von krausem braunem Haar umgeben. Wenn man dem guten Kinde das abscheuliche, grell karrirte Kleid und die Kravattenschleife von hartem Mull und gelber Kartoffelspitze hätte durch etwas Besseres ersetzen können, wäre sie sogar sehr hübsch gewesen. Sie sah mich andachtsvoll an: „Ach, Frau Assessor, ich bin so glücklich, daß ich einmal neben Ihnen sitzen darf! Ich kenne Sie schon lange; Sie werden nicht auf mich geachtet haben, aber allemal, wenn Sie mit Ihrem Herrn Gemahl draußen an unserer Sägemühle vorüber gehen (der Vater ist Holzhändler), dann sehe ich Ihnen noch lange nach, weil Sie mir gar so gut gefallen haben. Nicht wahr, Sie nehmen es nicht übel?“

„Daß ich Ihnen gefalle – gewiß nicht!“

„Nein, daß ich mich so ungeschickt ausdrücke. Aber das ist jetzt einerlei, ich bin ja so froh, daß ich überhaupt mit Ihnen reden darf.“

Na, so etwas sagt man Einem doch nicht umsonst; ich bekümmerte mich also ein wenig um sie und erfuhr, daß Klara ihre Mutter kürzlich verloren hat und nun dem Vater die Haushaltung führt. Aber bei diesem Geschäft geht es dem armen Ding noch viel schlimmer als mir! Sie hielt denn auch nicht zurück mit ihren Nöthen, sondern schüttete gleich ihr ganzes Herz aus, froh, eine theilnehmende Seele zu finden:

„Sehen Sie, beste Frau Assessor, meine Mutter war eine sehr sparsame Frau, und so lange sie lebte, hätte man denken sollen: wir dürften uns gar nichts gönnen – alle Tage Ochsenfleisch und Gemüse; dabei ist in der Küche nichts zu lernen, und so kommt es, daß ich jetzt eben ganz unerfahren bin. Der Vater aber, der mir Alles überläßt, möchte gern manchmal etwas Gutes essen, und morgen ist sein Geburtstag; da habe ich mir in den Kopf gesetzt, ihn mit einem Hasenbraten zu überraschen. Sie müssen nämlich wissen: ich habe keine selbständige Köchin genommen, sondern ein junges, recht braves Mädchen; ich habe gedacht, wir lernen zusammen. Gustel heißt sie. Nun, also heute Morgen schickt der Förster den Hasen; ich gehe erst hinauf, in meiner ‚Davidis‘ nachzulesen; dann nehme ich das Buch mit in die Küche: ‚Also, Gustel, hänge den Hasen dort an den großen Nagel und stelle eine Schüssel unter und jetzt paß auf!‘ Ich lese also langsam vor: ‚Man packt mit der linken Hand die rechte Hinterpfote des Hasen – hast Du’s, Gustel? – dann nimmt man ein scharfes Messer, schneidet rings an den Läufen das Fell ab und zieht es gegen den Leib herunter.‘ Das liest sich ganz leicht, ist aber sehr schwer auszuführen; wir zogen, die Gustel und ich, aus Leibeskräften, bis das Fell endlich herunter war. Und nun las ich wieder vor vom Aufschneiden, und wir suchten es auch so zu machen; aber das wurde schrecklich, Frau Assessor, wir verloren gleich den Kopf! Wenn Sie gesehen hätten, wie das zuging, wo wir in der Verzweiflung überall hinschnitten und wie das Blut in der Küche herumspritzte! Ich weiß nicht, wie wir mit dem Hasen fertig geworden sind – die ‚Davidis‘ hatte ich schon lange bei Seite gelegt – ich war zuletzt nur froh, als er nach einer guten Stunde endlich abgezogen und ausgenommen war! Nicht wahr, so Etwas sollte man eben gezeigt bekommen? Ach, es ist so schwer, nur nach dem Kochbuch zu kochen!“

Ja, das wußte ich am besten; das arme Ding dauerte mich deßhalb von Herzen, und ich nahm mir vor, ihr behilflich zu sein. Sie sah mich strahlend vor Dankbarkeit an, als ich ihr sagte: sie möge zu mir kommen; wir wollten ihre Sachen gemeinsam überlegen.

Die Andern waren mittlerweile von den Mägden auf den lieben Nebenmenschen im Allgemeinen übergegangen, und zwischen Massen von Punsch, Torten, Eingemachtem und kleinem Konfekt flogen verschiedene: „Da muß ich doch bitten, Frau Räthin“ und: „Nein, meine Liebe, da sind Sie ganz irrig berichtet“ hinüber und herüber. Ich setzte mich noch ein wenig zu meiner guten alten Obristin, brach dann so schnell auf, wie es überhaupt anging, und ich kann Dir sagen: ich hatte auf dem Heimweg ein ganz miserables Gefühl. Welch verlorene Zeit, nein, schlimmer als das, welcher Schaden am eigenen Innern sind solche Kaffeegesellschaften! Ich war noch ganz wild beim Nachhausekommen und wollte gerade Hugo erklären, daß ich eben doch künftig nicht mehr hingehe, als ich einen Herrn bei ihm im Zimmer traf – aber wen? Du räthst es nicht: den „großen Unbefriedigten“, jenen sogenannten interessanten Doktor Brandt, der sich vor zwei Jahren auf allen Bällen herumtrieb und Einem mit seinen Redensarten über die „Unzulänglichkeit der Existenz“ das lustigste Souper verderben konnte. Trotz seiner Weltverachtung suchte er im Stillen eine reiche Frau; aber sie sollte zugleich eben so schön als geistvoll sein, um das Opfer seiner Person einigermaßen aufzuwiegen. Nun, er fand diesen Ausbund nicht unter uns, so lebhaft er auch einstweilen bald da, bald dort Kour machte, und sich schleunigst wieder zurückzog, sobald er eine verlockendere Aussicht zu finden glaubte. Darüber mag denn sein kleines Vermögen immer „unzulänglicher“ geworden sein: eines schönen Tags war er fort, und es gab Leute, die ihm zutrauten, er möge am Ende den „Sprung ins Dunkle“ wirklich gemacht haben, den er manchmal als das Ende eines verfehlten Lebens anzudeuten liebte.

Nun, jetzt ist er hier, der „Sprung“ hat ihn in der großen Leimfabrik draußen niederfallen lassen, die bei Westwind so schrecklich riecht, daß man alle Fenster schließen muß, und dort kann er sein ästhetisches Feingefühl an der Frau seines Direktors und ihren drei dicken Töchtern erproben. Das nennt man, glaube ich, dramatische Gerechtigkeit!

Mir ist sein Erscheinen hier keine große Freude und Hugo, glaube ich, auch nicht; aber annehmen muß man sich seiner doch.

Werden wir uns zu Weihnacht sehen, liebste Marie? Ich hoffe es, ich wünsche es sehnlichst; aber ob wir wirklich heimreisen werden, das weiß ich noch nicht. O, wie himmlisch wäre es! Einstweilen hofft darauf Deine Emmy. 


Blätter und Blüthen.

Chamisso-Büste. (Mit Illustration S. 237.) Berlin hat sein Schiller- und Goethe-Denkmal; es soll auch seine Chamisso-Büste erhalten. Einen Aufruf zur Errichtung eines Denkmals für den gefeierten Sänger des „Salas y Gomez“ hatte schon im Namen des Komité’s der im vorigen Jahre verstorbene Professor Scherer 1882 erlassen; ein erneuter Aufruf von der Feder Friedrich Spielhagen’s ist im März dieses Jahres veröffentlicht worden. Spielhagen widerlegt die Behauptung, der Name Chamisso’s klinge nicht stark genug an das Ohr der Zeitgenossen, sein litterarisches Bild sei nebelhaft, das Interesse an seinen Poesien dahingeschwunden. „Fragt den Knaben, der begeistert seinen ‚Abdallah‘ recitirt, mit dem Dulder von ‚Salas y Gomez‘ verzweifelt auf die Oede des Weltmeeres starrt! Fragt die Jungfrau, die Frau, die in ,Frauenliebe und Leben‘ ihr eigen Lieben und Leben wie in einem knistallenen Spiegel ahnend vorausschaut, wehmuthsvoll noch einmal an sich vorübergehen läßt! Fragt den Jüngling, der mit ,Peter Schlemihl‘ den Schattenbildern seiner Hoffnungen und Entwürfe nachjagt! Fragt den Gelehrten, welche Hochschätzung er dem Manne zollt, der, als es noch keine Dampferlinien und tausendmeilige Eisenbahnen gab, die Erde umkreiste und von Allem, was sein klares Auge geschaut, so treubescheiden zu berichten wußte. Nun, das Angedenken eines der edelsten, liebenswürdigsten, sinnigsten Menschen, Dichter und Forscher, des geborenen französischen Aristokraten, der sich zu einem deutschen Bürger in des Wortes bester Bedeutung und – was viel mehr sagen will – in einen wahrhaft deutschen Dichter umzuwandeln verstand, ist noch nicht erloschen unter uns.“

Gewiß kann man dieser sinnvollen schönen Charakteristik eines Poeten, von dem einzelne Gedichte dem Hausschatze unserer Litteratur auf die Dauer

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_254.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)