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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Deutsche Städtebilder.

Stuttgart.


Im alten Schloss
StiftsKirche & SchillerDenkmal
Marktplatz in Stuttgart.
R PÜTTNER

Für eine Großstadt ist, wie man weiß, die Lage Stuttgarts und seine nächste Umgebung so ungeeignet, wie sich nur denken läßt. Eine Großstadt will Raum zur Entwicklung, Zugänglichkeit von allen Seiten, wo möglich auch einen großen Strom. Stuttgart aber liegt recht eigentlich im Kessel, ist rings von ansehnlichen Bergen umschlossen, und der Nesenbach, durch dessen Thalrinne die Stadt mit der Welt draußen in Verkehr tritt, ist kein Rhein und kein Main. Die Sache erscheint um so wunderbarer, weil kaum eine Stunde abwärts, wo der Nesenbach in den Neckar fällt, die schönste Gelegenheit zu bequemer Ausbreitung geboten war. In der That hat auch schon vor 200 Jahren kein Geringerer als Leibniz in einer seiner Flugschriften (Amsterdam 1682) den Herzog und seine Räthe darauf hingewiesen, wie günstig für die Entwicklung des Handels und der Wohlfahrt des ganzen Landes es werden müßte, wenn die Universität von Tübingen und der Hof von Stuttgart nach Cannstatt verlegt und damit dem Lande sein natürlicher Mittelpunkt gegeben würde, und noch der verstorbene König Wilhelm soll sich, wie man von bejahrten Herren erzählen hört, im Anfang seiner Regierung mit dem Gedanken beschäftigt haben. Inzwischen ist aber Stuttgart der Theorie zum Trotz in seinem Kessel thatsächlich zur Großstadt geworden, und es hat nicht an Geschichtsphilosophen gefehlt, die es ganz bezeichnend für die Hauptstadt des schwäbischen Stammes gefunden haben, daß sie sich, seitab vom Strom der Welt, in sich selbst zu vergnügen und ihre mehr oder minder berechtigten Eigenthümlichkeiten ungestört auszubilden befähigt sei. – Wie dem auch sein mag, jedenfalls ist, was Handel und Verkehr als lästige Schranke empfinden, für ein Auge, das an schönen Landschafts- und Städtebildern seine Freude hat, eine Quelle unendlichen Genusses. Stuttgart hat von jeher in seiner Art als ein Juwel unter den deutschen Städten gegolten. Es dankte das seiner Lage im weichen Schoß der schöngeformten Berge, die es in mannigfach gegliedertem Kranze umziehen, und so lange die mäßig große Stadt noch ganz im Grün der Gärten und Baumkronen eingebettet lag, bedurfte es kaum der Menschenhand, um dem Bilde nachzuhelfen. Als aber das überwältigende Wachsthum der Häusermasse mehr und mehr den Thalgrund nach allen Richtungen ausfüllte, mußte sich die Stadt auch der besondern Verpflichtungen bewußt werden, welche die Gunst dieser Lage ihr auferlegt, und seit einem Jahrzehnt etwa wetteifert das Talent erfindungsreicher Architekten und bewährter Gartenkünstler, um nicht nur das Stadtbild selbst, sondern auch die herrliche Umgebung immer reicher und eigenartiger zu gestalten.

Glänzende Straßenlinien schlingen sich an den weicheren Abhängen der Berge hin, breiten sich, von rückwärts emporgestiegen, überraschend auf den vorgelagerten steilen Hügeln aus; zahllose Landhäuser tauchen in den traulichen Schluchten und Bergfalten aus den Baumwipfeln der Gärten auf, setzen sich keck auf jeder Kuppe, jeder vorspringenden Ecke, über dem schroffen Abfall der Steinbrüche fest; in mächtigen Windungen, durch Tunnel und über Viadukte weg, steigt an der einen Langseite des Bergzugs die Eisenbahn, die nach der Schweiz, dem Gotthard führt, zu imposanter Höhe hinan, während gegenüber auf der andern Seite des Thales die Zahnradbahn kurzer Hand den steilen Berg emporklimmt. Da, wo die beiden Bahnen den höchsten Punkt erreichen, steht hier wie dort am Saume prächtiger Wälder, welche die Hochfläche bedecken, ein steinerner Aussichtsthurm, beide mit weiter Schau ins Land hinaus.

Es ist in der That ein unvergleichlicher Blick, den man von diesen Höhen genießt, auf das Häusermeer tief unten im Thalgrund mit all den Thürmen und Kuppeln und Palästen, auf die saftig grünen Rebengehänge, die rings die weichgeschwungenen Bergeshalden umkleiden, auf die dunkeln Laubmassen des langgestreckten Schloßgartens, der den Blick zu der sonnigen Breite des Neckarthales hinausgeleitet, auf die reichgesegneten Fluren des Unterlands mit all den milden Thälern und Höhenzügen.

Dort grüßt der Rothenberg mit seiner Kapelle herüber, wo die Stammburg der Württemberger stand, dort Ludwigsburg und Marbach mit ihren Schiller-Erinnerungen, dahinter der Hohenasperg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_244.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)