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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 15.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Götzendienst.

Roman von Alexander Baron v. Roberts.
(Fortsetzung.)
2. Die Heinzelmännchen.

Eine öde Nummer! Oberfaul!“ rief Lieutenant Mühüller, das surrende Geräusch des Gaskandelabers, das die hohe feierliche Treppenhalle erfüllte, übertönend. „Vier Assistenzärzte und ein halber Zahlmeister – es ist zum Radschlagen!“

Es war vom neuesten „Militärwochenblatt“ die Rede. Auch der Oberstlieutenant liebte es, selbst noch nach zwanzigjähriger Inaktivität in Avancementsgesprächen zu schwelgen; er bekam das wichtige Blatt regelmäßig von Eff zugestellt.

„Es scheint Alles zu stocken dort oben,“ antwortete er, „es rückt und weicht nicht. Ze … ze … ze … zu meiner Zeit (das famose ‚zu meiner Zeit‘ der Pensionäre, das so bitter, so scharf, so wehmüthig, so stolz, so liebevoll hätschelnd zu klingen vermag), zu meiner Zeit warteten wir oft halbe Ewigkeiten auf einen Eisgang. Ich wußte es, nach dem Krieg mußte ein Umschlag eintreten. Sehen Sie, meine Herren, mit dem Avancement ist es so eine Sache –“

Und er blieb auf der Treppenstufe stehen, setzte sich förmlich in Positur, um seine besondere Avancementstheorie zum hundertsten Male aus einander zu setzen.

Um Gotteswillen – hier auf der Treppe! Er würde kein Ende finden! Der angehende Generalstäbler kam dem Unheil in seiner ruhig höflichen Art zuvor:

„Wissen Herr Oberstlieutenant schon, Stachvogel soll die …te Division erhalten!“

„I was Sie …? Ich bitte Sie, Stachvogel?! Der ist ja noch gar nicht an der Tour!“

Die Neuigkeit hatte eine erregende Wirkung, und die stramme Positur ließ sich nicht länger behaupten.

„Ze … ze … wissen Sie auch, daß ich Stachvogel noch bei meiner Schwadron als Lieutenant hatte? Später mein Adjutant.“

Er hatte ihnen oft genug von dieser Adjutantur erzählt.

Wenn er daran dachte! Wie oft hatte er Stachvogel vor der Front abgekanzelt! Freilich gewann später der Adjutant über ihn die Oberhand. Sein Untergebener damals, aber ein recht schwieriger – und nun eine Excellenz! Was wäre er selbst denn jetzt schon, wenn er geblieben wäre! Ach, all der fröhliche Glanz, der aus jener Zeit in das Dunkel seiner alten Tage herabstrahlte!

Sie hatten den Podest des Erdgeschosses erreicht. Die Thüren zu den Komptoirräumen der Firma Belzig standen offen; drinnen summte es von geschäftigem Geräusch; Arbeiter kamen mit schweren Stößen von Drucksachen und Büchern – und dort vor dem aufdringlichen Glanz des großen messingenen Schildes, das die Bezeichnung: „Otto Friedrich Belzig, Verlagsbuchhandlung“ trug, verblaßte plötzlich die ganze Herrlichkeit der Erinnerungen.

Vor sechs Jahren war es, als dieses Schild ihm zum ersten Male mit brutaler Deutlichkeit das ganze farblose Nichts seines a. D. aufgedeckt. Er stand mit

Büste für das Chamisso-Denkmal in Berlin.
Nach dem Entwurf von Julius Moser.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_237.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2023)